Frage der Woche:Warum halten wir keinen Winterschlaf?

Jeden Morgen dieselbe Frage: Warum können wir bei dieser Kälte nicht einfach im Bett bleiben und bis zum Frühjahr durchschlafen?

Markus C. Schulte von Drach

Schon bei dem Gedanken wird uns bei diesem Wetter ganz warm ums Herz: Einfach für die nächsten Monate in die gemütliche Höhle zurückziehen, in die dicke Bettdecke kuscheln und von den Fettreserven leben, die wir uns im Sommer und Herbst zugelegt haben. (Was für eine großartige Gelegenheit, einfach zu essen, was man will, und dann völlig ohne Stress abzunehmen.)

Frage der Woche: Siebenschläfer schlafen lange. Sehr, sehr lange.

Siebenschläfer schlafen lange. Sehr, sehr lange.

(Foto: Foto: AP)

Warum aber steht uns diese Verhaltensweise nicht zur Verfügung, wo doch andere Säugetiere den Winter so hinter sich bringen? Einige Voraussetzungen haben wir ja ganz offensichtlich: Wir essen - wenn wir die Gelegenheit dazu haben - meist mehr als wir brauchen und legen Fettreserven an, die uns nicht gefallen. Viele von uns schlafen gern und möchten morgens das Bett am liebsten gar nicht verlassen. Der Mangel an Sonne trübt unsere Stimmung und macht manche Menschen sogar depressiv. Doch offenbar sind wir trotzdem nicht in der Lage, Winterschlaf zu halten.

Leben auf Sparflamme

Winterschlaf ist ein schlafähnlicher Zustand, bei dem die Körpertemperatur der Tiere auf Werte wenige Grad über dem Gefrierpunkt absinkt. Der Stoffwechsel wird herabgesetzt, Atmung und Herzschlag verlangsamen sich stark. Die Tiere leben gewissermaßen auf Sparflamme, so dass die im Sommer und Herbst angefressenen Fettreserven zum Überleben ausreichen. Nur selten erwachen die Tiere aus diesem sogenannten Torpor, um Nahrung aufzunehmen.

Die bekanntesten Winterschläfer sind sicher Igel, Siebenschläfer und Haselmäuse sowie Murmeltiere, die sich sogar zu einer Art Schlafkommune zusammenfinden, um sich gegenseitig zu wärmen. Außerdem halten auch Fledermäuse einen Winterschlaf.

Diese Tiere suchen sich allein oder mit Artgenossen einen passenden Ort, etwa Erdhöhlen, Baumstämme oder Laubhaufen, die sie mit Hilfe von Pflanzenteilen und Haaren auspolstern und isolieren. Dann rollen sie sich zusammen, um eine möglichst geringe Oberfläche zu bieten, über die Körperwärme abgegeben wird.

Andere Tiere, die manchmal als Winterschläfer bezeichnet werden, halten allerdings nur die sogenannte Winterruhe. Das gilt zum Beispiel für Braunbären, Eichhörnchen, Dachse und Waschbären. Diese Tiere machen es sich zwar auch in ihrer Höhle oder ihrem Bau gemütlich und reduzieren ihren Stoffwechsel. Allerdings senken sie ihre Körpertemperatur nicht so stark ab. Sie schlafen nicht so fest, wachen häufiger auf, suchen Nahrung oder gehen an zuvor angelegter Vorräte, um ihre Fettreserven aufzufrischen.

Manche Wissenschaftler gehen allerdings inzwischen davon aus, dass Winterschlaf und Winterruhe eine künstliche Abgrenzung ist. Schließlich könnte man den Winterschlaf als besonders intensive Form der Ruhe betrachten, oder die Winterruhe als leichtere Form des Schlafes.

Wie lange die Tiere schlafen oder ruhen, hängt von der Art und den Umständen ab. Siebenschläfer zum Beispiel begeben sich, je nach Witterung, bereits zwischen August und Ende Oktober zur Ruhe und wachen im März oder April wieder auf. Igel schlafen drei bis vier Monate. Braunbären ziehen sich zwischen Oktober und Dezember zurück und tauchen zwischen März und Mai wieder auf.

Wann ist es Zeit für das Bett?

Woher die Tiere wissen, dass es Zeit für das Bett ist, ist noch nicht endgültig geklärt. Lange diskutiert wurde eine niedrige Temperatur als Auslöser. Doch scheint es eher die Tageslänge zu sein, die zu einer Veränderung des Hormonhaushalts und schließlich zum Winterschlaf führt. Dass es Zeit zum Aufstehen ist, wird offenbar durch die höheren Temperaturen im Frühling und vermutlich durch die zunehmende Menge von Stoffwechselprodukten im Körper angezeigt.

Warum halten wir keinen Winterschlaf?

Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Winterschläfern und -ruhern einerseits und Menschen andererseits ist, dass die Körper der Tiere durch die lange Bewegungslosigkeit nicht so stark leiden. So bilden sich bei Menschen, die zum Beispiel aufgrund einer Krankheit lange Zeit ans Bett gefesselt sind, die Muskeln zurück. Wer einen Braunbären in seinem Winterquartier stört, wird dagegen feststellen, dass das bei diesen Tieren nicht der Fall ist.

Eine wichtige Rolle scheint hier das Hormon Hibernation Induction Trigger (HIT) zu spielen, das bei Bären, Murmeltieren, Eichhörnchen und anderen Tieren nachgewiesen wurde. Das opioid-ähnliche Molekül schützt offenbar das Gewebe. Es wird deshalb untersucht, ob man mit HIT den Muskelschwund bettlägeriger Menschen oder von Astronauten, die längere Zeit in der Schwerelosigkeit arbeiten, bremsen kann.

In Experimenten mit HIT ist es auch gelungen, ein Schweineherz für mehrere Stunden in eine Art Winterschlaf zu versetzen und so seine Lebensdauer zu verlängern. Das macht die Forschung interessant für Transplantationsmediziner.

Auch andere Substanzen, die bei Winterschläfern identifiziert wurden, werden überprüft - etwa DADLE, eine ebenfalls opiumähnliche Substanz. Erdhörnchen, denen das Protein injiziert wird, fallen in den Winterschlaf - selbst in der falschen Jahreszeit. Und auch menschliche Zellen werden von DADLE in ihrer Aktivität gebremst, meldeten Wissenschaftler der Universität im italienischen Pavia.

Eine Methode, Menschen abzukühlen und in eine Art Winterschlaf zu versetzen, könnte sich auch eignen, Schwerverletzte oder Organempfänger in eine Art künstliches Koma zu versetzen, um die Zeit bis zur geeigneten Behandlung zu überbrücken.

Im Schlaf durch den Weltraum

Und Astronauten würden im tiefen Kälteschlaf die langen, langweiligen Reisen zwischen den Planeten und Sternen überleben, ohne der eigentlich verstreichenden Zeit entsprechend zu altern, hofft man zum Beispiel bei der Nasa und der Esa. Schließlich griffen bereits die Raumfahrer in Arthur C. Clarkes Sience Fiction "2001: Odyssee im Weltraum" oder die Astronauten in "Alien" auf diese Methode zurück.

Einen Durchbruch gab es bislang noch nicht - nur Hoffnung. Immerhin entdeckten Forscher 2001 auf Madagaskar die erste bekannte Affenart, die eine Art Winterschlaf hält. Die Fettschwanzmakis sind zwar nicht gerade unsere nächsten Verwandten - aber immerhin Primaten.

Warum halten wir keinen Winterschlaf?

Auch kennt man inzwischen einige Gene, die offenbar bei der Umstellung des Stoffwechsels bei Winterschläfern eine Rolle spielen - und diese Gene findet man auch im menschlichen Erbgut. Nur werden sie offenbar bei uns anders an- und abgeschaltet. Theoretisch aber, so vermuten einige Fachleute, sollte es demnach auch Menschen möglich sein, Winterschlaf zu halten.

Doch wie lässt sich dieser Zustand auslösen? Kälte und kurze Tage reichen bei Menschen ja offensichtlich nicht aus. 2005 ist es Forschern des Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle gelungen, Hausmäuse, die wie Menschen eigentlich keinen Winterschlaf halten, für einige Stunden in einen Zustand zu versetzen, der dem Kälteschlaf der Haselmäuse im Winter immerhin sehr ähnelt.

Mark Roth und seine Kollegen hatten allerdings keine Hormone gespritzt oder Gene angeschaltet. Sie hatten einfach die Atemluft der Tiere mit Schwefelwasserstoff versetzt und "warmblütige in kaltblütige Tiere verwandelt", wie Roth dem Magazin LiveScience erklärte. Innerhalb von Minuten reduzierten die Körperzellen der Mäuse ihre Aktivität fast auf null. Die Tiere fielen in eine Art Winterschlaf, aus dem sie offenbar unbeschadet wieder erwachten. Und Fadenwürmer, die dem Gas ausgesetzt waren, lebten um bis zu 70 Prozent länger als ihre Artgenossen.

Eigentlich ist das stinkende Gas hochgiftig. Allerdings produziert es unser Körper in geringen Mengen auch selbst. Es spielt in mehreren Bereichen eine wichtige Rolle: So schützt es Nervenzellen vor oxidativem Stress, stärkt Nervenverbindungen und hilft, den Blutdruck zu regulieren. Doch was den Forschern in Seattle an Mäusen gelungen ist, hat bei Schweinen und Schafen bislang nicht funktioniert. Vermutlich ist unser Stoffwechsel einfach viel zu kompliziert, als dass man Menschen mit Hilfe einiger Hormongaben, Giftstoffen und der Manipulation einiger Gene zu Winterschläfern machen kann - noch dazu mit der Erwartung, dass keine schweren Nebenwirkungen auftreten.

Schließlich handelt es sich bei Winterschlaf und Winterruhe um jahrtausendealte Anpassungen an spezielle Umweltbedingungen. Wir Menschen aber sind in Afrika entstanden, vermutlich in einer Region, in der die jährlichen Temperaturschwankungen und die Nahrungssituation ganz anders waren als im Lebensraum von Braunbär und Siebenschläfer.

Eine Frage der Anpassung

Eine Anpassung an den Winter und extrem unterschiedliche Tageslängen war nicht notwendig. Dagegen zeichnen den Homo sapiens zwei Eigenschaften ganz besonders aus: seine Unspezialisiertheit und seine Fähigkeit, sich mit Hilfe seiner Hände und mit Werkzeugen gegen schlechte Umweltbedingungen zu wappnen oder seinen Lebensraum zu verändern. Deshalb konnte der nackte Affe die Erde von den Tropen Afrikas bis nach Alaska und Sibirien besiedeln: Braucht er ein Fell, zieht er eines an, braucht er eine Höhle, baut er sich ein Haus, wird ihm kalt, macht er Feuer.

Und wenn die Nahrung zu knapp wird und der Winter zu kalt, macht er es so, wie es das British Medical Journal im Jahre 1900 von der Landbevölkerung im russischen Pskov berichtete. Angeblich zogen sich die Familien dort seit Menschengedenken "beim ersten Schneefall in ihre Hütten zurück, legten sich um den Herd, stellten alles Ringen mit den Problemen der menschlichen Existenz ein und schliefen". Einmal am Tag wurde jeder wach, verspeiste etwas Brot, trank einen Schluck Wasser und legte sich wieder hin. Außerdem wechselten sich die Familienmitglieder während ihres als lotska bezeichneten Winterschlafs als Hüter des Feuers ab. Erst nach sechs Monaten kamen sie wieder aus ihren Hütten heraus!

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