Frage der Woche:Warum fluchen wir?

Lesezeit: 3 min

Weltweit werfen Menschen mit Kraftausdrücken um sich, wenn sie sich so richtig ärgern. Muss das eigentlich sein?

Markus C. Schulte von Drach

In jeder Sprache kennt man sie, und wer behauptet, noch nie einen ausgestoßen zu haben, lügt oder ist ein Heiliger: Flüche und andere Kraftausdrücke. Zwar unterscheiden sie sich von Region zu Region und von Kultur zu Kultur. So tendieren die Deutschen eher zur Fäkalsprache ("Scheiße"), die Briten beziehen sich häufiger auf sexuelle Vorgänge ("Fuck"). Dazu kommen natürlich Bezüge zur Magie wie "verdammt", "verflucht", oder zur Religion - etwa "Himmelhergott noch mal".

Auch bei uns fluchen immer mehr Menschen auf Englisch. (Foto: Foto: iStockphoto)

Doch was auch immer gesagt wird: Dass es sich um einen Fluch handelt, erkennen wir auch bei uns wildfremden Menschen, die sich in einer uns unbekannten Sprache ausdrücken.

Fluchen, so scheint es, gehört ins menschliche Verhaltensrepertoire einfach hinein. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass die frühesten schriftlichen Hinweise auf Flüche etwa 5000 Jahre alt sind, wie Guy Deutscher von der niederländischen Universität Leiden festgestellt hat.

Offenbar fällt es uns schwer, unserer Wut und unserem Frust ohne Schimpfworte Ausdruck zu verleihen. Und zwar trotz aller Bemühungen von Eltern und Pädagogen, dem Nachwuchs beizubringen, nicht zu fluchen. Geflucht wird weiter und in allen sozialen Schichten, von Männern und Frauen, Jungen und Alten, privat und am Arbeitsplatz.

Ganz ohne Wirkung bleibt das Tabu der Gesellschaft zwar nicht. So halten wir uns unter Arbeitskollegen mehr zurück als unter Freunden. Aber eine Zukunft ohne Kraftausdrücke können sich viele Wissenschaftler nicht vorstellen. Das hat Gründe. So merken sich zum Beispiel Kleinkinder tabuisierte Schimpfworte besonders gut, weil sie sich dadurch die Aufmerksamkeit ihrer Eltern sichern können.

Deutliche Reaktion bei Mama und Papa

Was sie da sagen, wissen sie nicht - und es spielt auch keine Rolle. Aber sie verstehen schnell, dass es damit etwas Besonderes auf sich hat. Und dass sie sicher sein können, mit den verbotenen Ausdrücken eine deutliche Reaktion bei Papa und Mama hervorzurufen.

Dazu kommt, dass diese Begriffe im Gehirn offenbar über einen anderen Pfad verarbeitet werden als das gewöhnliche Vokabular. Dabei spielt das limbische System eine große Rolle. Diese Struktur ist wichtig für die Emotionen und stellt eine Art Gegenpol zu unserem präfrontalen Cortex dar - dem Hirnteil, der für das rationale Denken verantwortlich ist.

Gehen die Gefühle mit uns durch, dann verlieren wir nicht nur einen Teil der Kontrolle über unser Verhalten, sondern eben auch über unsere Ausdrucksweise. Und gerade jene Worte, die uns streng verboten wurden, dringen nun über unsere Lippen.

Tatsächlich lernen wir die Begriffe, die wir möglichst schnell wieder vergessen sollten, besonders gut. Das zeigt zum Beispiel eine Studie von Donald MacKay und Hadley Christopher von der University of California in Los Angeles (UCLA). Die Forscher hatten Versuchspersonen eine Reihe von Begriffen gezeigt. Wie sie feststellten, konnten sich die Studienteilnehmer an Tabu-Wörter besser erinnern als an neutrale Begriffe ( Journal of Experimental Psychology. Learning, Memory, and Cognition, 2006).

In einem ähnlichen Experiment konnten Timothy Jay vom Massachusetts College of Liberal Arts in North Adams und seine Kollegen kürzlich zeigen, dass Tabu-Wörter wie Nigger, Bitch, Cock oder Shit auch besser erinnert werden als mit Gefühlen assoziierte Worte wie Friend, Love, Kiss oder Anger ( American Journal of Psychology, Bd. 121, S. 83, 2008).

Und wie tief die Kraftausdrücke in unserem Gehirn eingegraben sind, zeigt das Verhalten vieler Alzheimer- und anderer Demenzpatienten. Während sie sich selbst an die Namen der vertrautesten Personen nicht mehr erinnern können, bleibt ihr Repertoire an Schimpfworten und Flüchen groß, wie Timothy Jay festgestellt hat.

Warum aber fluchen wir? Oder besser: Was haben wir davon? Viele Psychologen und Sprachwissenschaftler sind überzeugt davon, dass die verbalen Ausbrüche helfen, Stress abzubauen.

Anders als der Anblick von Gewalt oder das Malträtieren eines Sandsacks scheint Fluchen eine gewisse kathartische Wirkung zu besitzen. Und es ist allemal besser, das Gegenüber zu beschimpfen als zu verprügeln.

Wenn also das Schimpfen und Fluchen zum Menschen einfach dazugehört und zugleich hilft, sich abzuregen, müssen alle, die hoffen, durch Gesetze und Gebote eine Gesellschaft ohne Schimpfworte zu erreichen, eine Illusion begraben.

Auf der anderen Seite ist es natürlich gut, dass gewisse Begriffe im normalen Sprachgebrauch weiterhin verpönt und dem Fluchen vorbehalten bleiben. Was bliebe sonst zu sagen, wenn man mal so richtig sauer ist?

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: