Frage der Woche:Lässt sich das Denken lenken?

Drogen, Elektroden, Computer-Chips - die Versuche, die Herrschaft über das Gehirn von Tieren und Menschen zu erlangen, sind vielfältig. Aber sind sie auch erfolgreich?

Markus C. Schulte von Drach

Der Traum, die Gedanken anderer Menschen zu beherrschen, ihre Wünsche und Handlungen zu kontrollieren und zu lenken, ist alt. Und tatsächlich hat es konkrete Versuche gegeben, ihn zu verwirklichen.

Frage der Woche: Hirnschrittmacher können offenbar auch bei Zwangsstörungen helfen. Haben sie also Einfluss auf unsere Gedanken?

Hirnschrittmacher können offenbar auch bei Zwangsstörungen helfen. Haben sie also Einfluss auf unsere Gedanken?

(Foto: Foto: dpa/Deutscher Zukunftspreis)

So wurden offenbar die Angeklagten in den sowjetischen Schauprozessen in der dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts einer sogenannten Gehirnwäsche unterzogen. Im China Mao Zedongs wurde versucht, den Widerstand gegen das System im Rahmen von Umerziehungsprogrammen zu brechen.

Während des Korea-Krieges Anfang der fünfziger Jahre beobachteten amerikanische Psychologen, dass von Koreanern und Chinesen gefangen genommene US-Soldaten offenbar so beeinflusst worden waren, dass sie mit den Kommunisten zusammenarbeiteten. In der Folge setzte sich der Begriff der Gehirnwäsche im Westen durch.

Auch die Idee, das Gehirn von Menschen irgendwie zu kontrollieren, wurde in manchen Kreisen populär. Was etwa das US-Verteidigungsministerium und die CIA alles versuchten, um Versuchspersonen zu manipulieren, ist nicht bekannt. Einige Experimente allerdings gelangten an die Öffentlichkeit und wurden vom US-Senat in mehreren Anhörungen diskutiert.

Demnach hatten Wissenschaftler des Auslandsgeheimdienstes zum Beispiel Versuchspersonen bewusstseinsverändernde Drogen verabreicht - teilweise ohne deren Wissen. Die Versuche wurden eingestellt und von der US-Regierung offiziell verurteilt. Eine gezielte Manipulation war offenbar auch nicht gelungen.

Kampfstier gestoppt

Allerdings beschränkten sich die Versuche der Amerikaner nicht nur auf den Einsatz von Drogen. Große Hoffnung setzten sie zum Beispiel in die Versuche von José Delgado von der Yale University in New Haven, Connecticut. Der in Spanien geborene Hirnforscher hatte 1965 in einem aufsehenerregenden Experiment gezeigt, dass sich das Verhalten über ins Gehirn eingepflanzte Elektroden mittels Funk beeinflussen lässt.

Delgado provozierte einen Kampfstier in einer Arena. Als das mit einer Elektrode im Schädel ausgestattete Tier auf ihn losging, jagte er ihm mit Hilfe einer Fernbedingung einen Stromstoß ins Gehirn. Der Stier bremste ab und ließ den Wissenschaftler in Ruhe. Delgado stattete daraufhin auch die Gehirne von Katzen, Affen und sogar Menschen mit Elektroden aus, mit dem Ziel, Bewegungen, Gefühle, das Sexualverhalten, das Gedächtnis und den Denkprozess selbst von seinem Funkgerät aus zu beeinflussen.

Der Wissenschaftler entwickelte gar die Idee einer "psychozivilisierten Gesellschaft", in der Straftäter und psychisch Kranke unter anderem mit Hilfe seiner Methoden kontrolliert werden sollten. Selbst der US-Senat interessierte sich in den siebziger Jahren für die Ideen und Experimente von Forschern wie Delgado.

Doch die Wissenschaftler scheiterten mit ihren Versuchen, herauszufinden, an welcher Stelle im Gehirn uns ein Extra-Stromstoß oder chirurgische Eingriffe zu zivilisierteren Menschen machen würde. Delgados Versuchstiere reagierten zwar auf seine "Befehle", doch von gezielter Kontrolle konnte keine Rede sein. Seine Versuche stießen zunehmend auf ethische Bedenken, schließlich gab er auf.

Ein anderer Ansatz, Einfluss auf das Gehirn zu nehmen, sind Elektroschocks ins sogenannte Belohnungszentrum. Bereits in den fünfziger Jahren hatten kanadische Forscher Ratten dazu gebracht, sich selbst über einen Hebel Stromstöße dorthin zu verpassen. Von der Lust überwältigt vergaßen die Tiere zu fressen und zu trinken - und amüsierten sich zu Tode.

Mit Hilfe von zwei weiteren Elektroden in die Hirnregionen, die Signale von den rechten und linken Schnurrhaaren verarbeiten, gelang es John Chapin und Sanjiv Talwar von der State University of New York in Brooklyn 2002, Ratten tatsächlich über Funk zu steuern: Die Tiere lernten, bei der Simulation einer Berührung von rechts oder links in diese Richtung abzubiegen, da sie dann mit einer angenehmen Erregung des Belohnungszentrums rechnen durften.

Nun setzten die Forscher den Tieren einen Funkempfänger auf den Rücken - und schon konnten sie sie mit ihrer Fernbedienung über eine Entfernung von 500 Metern "steuern". Sogar offene Flächen, die Ratten sonst vermeiden, bewältigten die ferngesteuerten Nager. Allerdings hat die Manipulation Grenzen. Selbstmord durch einen Sprung aus großer Höhe begehen die Tiere nicht.

Lässt sich das Denken lenken?

Aus China berichteten vergangenes Jahr Wissenschaftler der Technischen Universität Shandong von ähnlichen Erfolgen bei Tauben. Die Vögel bewegten sich angeblich nicht nur auf Befehl nach links und rechts, sondern auch nach oben und unten.

Doch kann man davon sprechen, dass die Gedanken der Tiere gelenkt wurden? Bei ihnen wurde das Bedürfnis nach Stromstößen ins Belohnungssystem erzeugt, so dass sie motiviert waren, den gefunkten Wünschen der Forscher zu folgen. Das so etwas funktioniert, ist seit der Konditionierung von Pawlows Hund belegt.

Gezielte, lenkende Eingriffe in das Denken von Tieren oder gar Menschen waren diese Versuche nicht. Und der Einsatz sogenannter Hirnschrittmacher, die über Elektroden Stromstöße ins Gehirn zum Beispiel von Parkinsonpatienten oder Menschen mit Zwangsstörungen abgeben, blockieren Verhaltensweisen nur. Sie lösen Handlungen nicht gezielt aus.

Dies aber könnte eine Technik ermöglichen, die Forscher um Theodore Berger von der University of Southern California in Los Angeles entwickeln. Die Wissenschaftler wollen in ferner Zukunft den Hippocampus - eine Hirnstruktur, die für das Abspeichern neuer Informationen eine wichtige Rolle spielt - durch Computerchips ersetzen. Vordergründig geht es ihnen darum, Menschen mit Hirnschäden zu helfen, etwa Schlaganfall- oder Alzheimer-Patienten.

Dass aber auch die Forschungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums Berger finanziell unterstützt, hängt mit anderen Möglichkeiten zusammen, die sich im Hintergrund abzeichnen.

Die Hoffnungen der Militärs erinnern an Science Fiction: Soldaten wie zum Beispiel Kampfpiloten könnten einen Gedächtnis-Chip erhalten, der sie in Extremsituationen schneller mit notwendigen Informationen versorgt als ihr eigenes Gehirn dies könnte. Mühsames Training solcher Situationen wäre dann nicht mehr notwendig - wenn es denn überhaupt möglich wäre.

Eine solche Technik ist Zukunftsmusik. Doch sollten die Träume der Militärs dereinst in Erfüllung gehen, sollten Kampfpiloten ihre Flugzeuge mit Hilfe von Programmen steuern, die über einen Computerchip einlaufen, geben die Flieger die Kontrolle zumindest zum Teil an die Programmierer ab. Und was bei den Fliegern gehen wird, wird sich mit Sicherheit auch bei anderen Menschen einsetzen lassen.

Es ist damit zu rechnen, dass es in der fernen Zukunft möglich sein wird, Denken zu lenken. Die Frage ist, ob wir das wollen. Ob wir uns vielleicht sogar, wie einst José Delgado, eine psychozivilisierte Gesellschaft wünschen. Oder ob sich der Einsatz der Technik noch wird verhindern lassen, wenn sie erst einmal ausgereift ist.

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