Frage der Woche:Gibt es eine Midlife-Crisis?

Wenn ältere Herren ihre Partnerin verlassen, ihren Job kündigen und sich ein Sport-Cabrio zulegen, vermutet man gern eine Midlife-Crisis. Aber gibt es diese Krise wirklich?

Markus C. Schulte von Drach

Im Leben vieler Männer kommt offenbar eine Zeit, in der der unbezwingbare Wunsch nach einem Sport-Cabrio, einer neuen Liebe, einem neuen Beruf oder überhaupt nach einem neuen Leben entsteht.

Frage der Woche: Die Midlife-Crisis - gibt es die wirklich?

Die Midlife-Crisis - gibt es die wirklich?

(Foto: Foto: iStock)

Etwa im Alter zwischen 35 und 50 Jahren kleiden sich diese Herrschaften in Leder und leben eine bislang unterdrückte Leidenschaft für Motorräder aus. Sie entdecken, dass es noch immer Tanzlokale gibt - die inzwischen natürlich nicht mehr so heißen.

Und sie ruinieren gut funktionierende, langjährige Partnerschaften, indem sie Frauen nachsteigen, die ihre Töchter sein könnten. Sie kündigen gute Jobs und treffen ihresgleichen bei dem Versuch, den Mount Everest zu besteigen.

Entschuldigt wird dies alles mit zwei Worten: Midlife-Crisis.

Zur Rede gestellt erklären die Betroffenen, dass das, was beruflich oder in der Partnerschaft hinter ihnen liegt, doch noch nicht alles gewesen sein dürfe. Das Leben müsse wieder einen neuen Sinn bekommen. Man gehöre noch nicht zum alten Eisen. Es müsse mehr geben als die tägliche Routine.

"Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne"

Dann wird auch gern mal Hermann Hesse zitiert mit den Worten, "jedem Anfang wohnt ein Zauber inne". Und es wird schnell klar: Da spürt jemand das erste Nagen des Alters und dass auch er nicht unsterblich ist. Und dass die Chance, Lebensziele tatsächlich noch zu verwirklichen, erheblich geschrumpft ist.

Was der Umwelt als dem Alter unangemessenes, albernes Verhalten erscheint, entpuppt sich als verzweifeltes Festhalten an der unwiderpringlich verlorenen Jugend. Und tatsächlich sind die Betroffenen nicht immer lustorientierte Playboys, die sich weigern zu akzeptieren, dass die Uhr auch für sie abläuft. Sie leiden wirklich unter Unzufriedenheit, Unsicherheit, Stimmungsschwankungen. Sie sind häufig gereizt, wütend, ängstlich und traurig - und stecken andererseits häufig voller Tatendrang.

Akute Auslöser können Entwicklungen im sozialen Umfeld sein, etwa die Auflösung von Familienstrukturen, nachdem die Kinder aus dem Haus sind, die Trennung von einer Partnerin oder der Tod der eigenen Eltern. Arbeitslosigkeit oder Sackgassen im - möglicherweise langweiligen - Berufsleben werden zunehmend als frustrierend erlebt.

Dazu kommen spür- und sichtbare körperliche Veränderungen: Die Potenz lässt nach, die Haare fallen aus, die Leistungsfähigkeit nimmt ab und das Körpergewicht zu. Und man ertappt sich dabei, wie man ein Interesse an der Anti-Falten-Creme der Partnerin entwickelt.

Und tatsächlich können die Symptome einer Midlife-Crisis auf die Entwicklung einer problematischen Identitäts- und Sinnkrise hinweisen oder gar auf eine psychische Erkrankung.

Es gibt sie also wirklich, die Midlife-Crisis. Wenn sie sich allerdings zu einer echten Krise entwickelt, nennt man sie nicht mehr so. Und ein Problem wird sie nur für eine Minderheit.

Denn das Selbstwertgefühl ist bei den meisten Männern groß genug, um die kritischen Selbstreflexionen zur Lebensmitte ohne größeren Schaden zu überstehen. Viele gehen die Probleme auch aktiv an, ohne gleich den Sinn des eigenen Lebens grundsätzlich in Frage zu stellen.

Die meisten sind mit ihrem Leben zufrieden

So hat vor einigen Jahren zum Beispiel eine Studie der MacArthur Foundation unter 8000 US-Bürgern gezeigt, dass zwar jeder den Begriff midlife crisis kannte. Aber nur 23 Prozent der befragten Männer im Alter zwischen 25 und 74 Jahren sah sich selbst als Betroffene.

Und als Folge des Alters wurde die Krise lediglich von acht Prozent betrachtet, während die übrigen 15 Prozent als Ursache ein konkretes Ereignis in ihrem Leben angaben. Und die meisten Männer erklärten, mit ihrem Leben zufrieden zu sein.

Demnach ist die Bedeutung der Midlife-Crisis in der öffentlichen Wahrnehmung übertrieben. Wäre diese anders, fänden wir grauhaarige Männer, die mit offenem Hemd im Sport-Cabrio vor der Disco auf und ab fahren vermutlich auch nicht so albern, sondern normal.

Eine interessante Erklärung für einige typischen Verhaltensweisen von Männern im Midlife-Crisis-Alter bieten übrigens Evolutionspsychologen an.

Die älteren Herren versuchen demnach, mit Hilfe schneller Autos und flotter Kleidung Jugend und Dynamik zu demonstrieren, um für jüngere Frauen interessant zu erscheinen.

Die Ursache liegt im unbewussten Wunsch nach weiterer Fortpflanzung. Wenn die eigene, gleichaltrige Partnerin die Wechseljahre hinter sich hat, kann sie auf normalen Wege keine Kinder mehr empfangen. Männer dagegen bleiben bis ins hohe Alter zeugungsfähig. Also versuchen sie, sich eine neue, jüngere Partnerin zu suchen. Und rechtfertigen ihr Verhalten mit einer angeblichen Suche nach einem neuen Sinn im Leben.

Wer bei sich die Symptome einer Midlife-Crisis festzustellen glaubt, könnte übrigens versuchen, sich klarzumachen, was er wirklich erreicht hat und ob mehr überhaupt möglich war. Vielleicht bemerkt der eine oder andere dann, dass er mit dem, was er geschafft hat, eigentlich sehr zufrieden sein kann.

Und es mag in jedem neuen Anfang ein Zauber wohnen. Bekanntlich aber arbeiten selbst Zauberer mit Illusionen.

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