Süddeutsche Zeitung

Frage der Woche:Gibt es den geborenen Verbrecher?

Die Idee, dass Menschen aufgrund ihrer Anlage kriminell werden, gilt als überholt. Doch offenbar spielen Gene eine Rolle.

Von Markus C. Schulte von Drach

Als Cesare Lombroso im 19. Jahrhundert seine Vorstellung vom geborenen Verbrecher vorstellte, löste er einen heftigen Streit aus. Der Arzt und Professor für Psychologie hatte die Theorie aufgestellt, dass Kriminelle einen besonderen Menschen-Typus darstellen.

Ihre Persönlichkeit sollte eine besonders enge Verwandtschaft zu unseren aggressiveren Vorfahren widerspiegeln und sich auch in äußeren Eigenschaften wie zusammengewachsenen Augenbrauen zeigen.

Doch spätestens nachdem sich die Nationalsozialisten bei ihren Zwangssterilisationsprogrammen für Kriminelle und Geisteskranke unter anderem auf Lambrosos Ideen berufen hatten, waren die Theorien vom geborenen Verbrecher nachhaltig in Verruf gekommen. Seine Vorstellungen waren zu simpel und zu weitgehend, seine Bezüge auf die Stammesgeschichte des Menschen erwiesen sich als falsch.

Auf der anderen Seite wächst die Zahl der Studien, die tatsächlich auf einen Zusammenhang zwischen bestimmten Erbanlagen und dem Risiko kriminellen Verhaltens hindeuten. Hatte Lombroso also doch recht? Gibt es den geborenen Verbrecher?

Was es nicht gibt, ist eine bereits in den Genen festgeschriebene Karriere als Ganove. Und anders als früher häufig angenommen, spielt nicht nur ein einziger Faktor eine Rolle, wenn es um Verhalten abseits der Normen geht. Auch die Umwelt, in der ein Kleinkind aufwächst, ist von Bedeutung. So erhöhen bekanntlich eine aggressive und inkonsequente Erziehung, ein häufiger Wechsel der Bezugspersonen oder Konflikte in der Familie das Risiko, dass der Nachwuchs sich zu einem Jugendlichen und Erwachsenen entwickelt, der sich nicht an die Gesetze hält.

Gene spielen eine Rolle

Doch wie zum Beispiel Zwillingsstudien gezeigt haben, hängen die Chancen und Risiken hier durchaus mit den Genen zusammen. So wurde vor einigen Jahren festgestellt, dass eineiige, also genetisch identische Zwillinge, mit höherer Wahrscheinlichkeit beide straffällig werden als andere Geschwisterpaare. Auch verstößt der Nachwuchs von Kriminellen selbst dann überdurchschnittlich häufig gegen das Gesetz, wenn er bereits im Kleinkindalter von nicht kriminellen Eltern adoptiert wurde.

Internationale Wissenschaftlerteams konnten darüber hinaus in den vergangenen Jahren wiederholt zeigen, dass ein ganz bestimmtes Gen wichtig zu sein scheint. Es handelt sich um das sogenannte Monoaminoxidase-A-Gen (MAO-A), das eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Hirnbotenstoffen wie Serotonin spielt.

Das Gen allein allerdings führt noch nicht in die Kriminalität. Etliche Menschen tragen die betroffene Variante, ohne auffällig zu werden. Nun ist aber bekannt, dass Jungen, die in der Kindheit misshandelt wurden, später überdurchschnittlich häufig kriminelles Verhalten zeigen. Und besonders hoch ist die Gefahr offenbar bei jenen Opfern, die auch noch die bestimmte Form des MAO-A-Gens tragen.

Offenbar ist die betroffene Form des MAO-A also kein Verbrecher-Gen. Sie macht die kindlichen Träger nur besonders anfällig für die Folgen einer Misshandlung.

Da aber auch viele Träger der anderen Erbgutvarianten kriminell werden, müssen andere Faktoren eine Rolle spielen.

Forscher der University of North Carolina in Chapel Hill haben nun kürzlich eine Studie veröffentlicht, die die MAO-A-Gen-Theorie stützt - und zugleich gezeigt, wie wichtig weitere Einflüsse sind.

Die amerikanischen Soziologen um Guang Guo hatten das Erbgut von 1100 Jugendlichen analysiert, die Probanden im Abstand von sechs Jahren zweimal zum sozialen Umfeld befragt und ihr kriminelles Verhalten untersucht. Dabei wurden Faktoren wie Familienstrukturen, Schulbesuch, aber auch Freundschaften berücksichtigt.

Wie die Wissenschaftler im Fachblatt American Sociological Review berichten, waren sie dabei auf drei Gene gestoßen, die bei den auffälligen Jugendlichen besonders häufig waren. Zum einen die bereits bekannte MAO-A-Variante. Aber auch zwei Gene, die für Rezeptoren des Hirnbotenstoffes Dopamin verantwortlich sind, fielen ihnen auf. Auch hier wirkte sich das Erbgut auf die Träger offenbar nur aus, wenn diese unter den bekannten nachteiligen Bedingungen aufgewachsen waren.

Einen Zusammenhang betonten die Forscher ganz besonders: So reduzierte zum Beispiel schon eine gemeinsame tägliche Mahlzeit mit mindestens einem Elternteil den Effekt eines der nachteiligen Dopaminrezeptorgene erheblich. Familiäre Bindungen, so die Vermutung der Soziologen, sind demnach besonders wichtig.

"Die Gene scheinen einen Einfluss auf die Kriminalität zu haben", erklärte Guo, "aber es gibt deutliche Hinweise darauf, dass soziale Einflüsse wie Familie, Freunde und Schule mitbestimmen, wie die genetischen Varianten sich auswirken." Positive soziale Einflüsse könnten demnach den nachteiligen Effekt der Gene reduzieren, wähend ein Fehlen der sozialen Kontrollen ihre Wirkung verstärke.

Keine deterministische Wirkung

"Unsere Forschung bestätigt, dass die Gene nicht deterministisch wirken", sagte Guo. Wichtig sei, sowohl genetische als auch soziale Faktoren als Ursache des kriminellen Verhaltens zu berücksichtigen.

Im praktischen Umgang mit Verbrechern könnten die Erkenntnisse einerseits zu einer neuen Einschätzung der Schuldfähigkeit führen. Andererseits bedeutet eine genetisch bedingte Tendenz zu kriminellem Verhalten, dass eine Resozialisierung den Betroffenen besonders schwerfallen könnte.

Auf jeden Fall aber belegt die Studie, wie wichtig es ist, Kindern möglichst gute Bedingungen zu bieten. Die Gene sind es demnach nicht, die Menschen zu einer Karriere als Verbrecher verdammen.

Gänzlich auszuschließen ist es allerdings nicht, dass Menschen auf die Welt kommen, die unabhängig von der Umwelt - aber auch von den Genen - wenig Chancen auf eine normale Sozialisation haben. So können etwa hirnorganische Schäden zum Auftreten einer sogenannten antisozialen Persönlichkeitsstörung führen. Den Betroffenen, die auch als Psycho- oder Soziopathen bezeichnet werden, mangelt es an der Fähigkeit, Mitgefühl zu entwickeln und ihre Handlung zu kontrollieren, während sie andererseits in der Lage sein können, soziales Verhalten vorzutäuschen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Patienten zu Kriminellen werden, ist sehr hoch. Käme jemand aufgrund eines vorgeburtlichen Traumas mit einer entsprechenden schweren Störung zur Welt, entspräche er wohl am ehesten dem Bild des geborenen Verbrechers.

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