Ist dieses Kind wirklich das eigene? Einem Mann kann auf diese Frage eigentlich nur ein Gentest hundertprozentige Sicherheit geben. Sonst bleibt ihm nichts anderes übrig, als der Partnerin zu vertrauen. Oder, so wird zumindest häufig behauptet, auf die Ähnlichkeit mit dem Nachwuchs.
"Ganz der Vater" heißt es oft. Aber sind Babys dem biologischen Vater tatsächlich ähnlicher als der Mutter? Oder sind Männer besonders sensibel, wenn es darum geht, zu erkennen, ob sich die eigenen Gene im Gesicht der Kleinen widerspiegeln?
Vor dem Hintergrund der Evolution scheint es natürlich auf den ersten Blick Sinn zu machen, wenn ein Mann eigenen und fremden Nachwuchs bereits in der Wiege unterscheiden kann.
Schließlich muss das Interesse, in fremde Kinder zu investieren, evolutionsbiologisch gesehen geringer sein, als biologische Söhne und Töchter zu unterstützen. Doch die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Ähnlichkeit zwischen Vater und Baby sind widersprüchlich.
So machte Mitte der 90er Jahre eine Studie von Wissenschaftlern der University of California in San Diego Schlagzeilen. Nicholas Christenfeld und Emily Hill hatten festgestellt, dass einjährige Säuglinge ihrem Vater mehr ähneln als ihrer Mutter - und zwar dem Urteil objektiver Betrachter zufolge. Die Forscher vermuteten, dass dies dem Baby zum Vorteil gereicht, da ein von der Vaterschaft überzeugter Erzeuger eher in den Nachwuchs investiert.
Adoption nach Ähnlichkeiten
Spätere Untersuchungen unterstützten diese Vermutung. So legten etwa Steven Platek und seine Kollegen von der University of Liverpool ihren Versuchsteilnehmern Kinderbilder vor und fragten sie, welchen Nachwuchs sie am ehesten adoptieren würden, welcher ihnen am besten gefiele, und bei welchem Kind sie am wenigsten Widerstand gegen Alimente leisten würden.
Was die Probanden nicht wussten: Es handelte sich bei den Fotos um Aufnahmen von Erwachsenen, die mit Hilfe eines Computers mit Kinderbildern verschmolzen worden waren. Das Ergebnis waren Bilder von Kindern, die Ähnlichkeiten mit den jeweiligen Erwachsenen aufwiesen. Und eines der Fotos zeigte die gemorphte Aufnahme der Versuchsteilnehmer selbst.
Die Probanden reagierten tatsächlich am positivsten auf jene Aufnahmen von Kindern, für die ihr eigenes Foto verwendet worden war. Ähnliche spätere Studien ergaben auch ähnliche Ergebnisse.
Wie Frank Marlowe und Coren Apicella von der Harvard University in Cambridge, USA, vor drei Jahren berichteten, spiegelt eine von Vätern selbst wahrgenommene große Ähnlichkeit mit dem Nachwuchs sich nicht nur in dem Grad der Bereitschaft wieder, grundsätzlich in diesen zu investieren. Gerade Männer, die von der Mutter ihrer Kinder getrennt leben, zahlen offenbar auch weniger widerwillig Unterhalt, wenn ihnen die Kinder wie aus dem Gesicht geschnitten erscheinen.
Vergangenes Jahr bestätigten Anthony Volk und Vernon Quinsey von der Queen's University in St. Catharines, Kanada, die Beobachtung, dass Männer jene auf Bildern gezeigten Kinder am ehesten adoptieren würden, die ihnen ähnlich sehen. Bei Frauen spielt die Ähnlichkeit dagegen keine so große Rolle.
"Wir glauben", so Volk und Quinsey, "dass die bisherige Forschung die Hypothese unterstützt, derzufolge Männer die Ähnlichkeit zwischen Eltern und Kindern berücksichtigen, und das, obwohl die Hinweise im Gesicht ein schlechtes Maß für die Verwandtschaft sind."
Betonung durch die Mutter
Tatsächlich scheint dieses Maß für Väter nicht besonders geeignet zu sein, um auf Nummer sicher zu gehen. Mehrere Untersuchungen in den vergangenen zehn Jahren zeigten - im Widerspruch zur Studie von Christenfeld und Hill -, dass unvoreingenommene Beobachter keine größere Ähnlichkeit zwischen Nachwuchs und Vater feststellen können als mit der Mutter.
Und wie die Französin Alexandra Alvergnea und ihr Team von der Universität von Montpellier 2007 berichteten, konnten ihre Versuchsteilnehmer Kinder anhand von Fotos recht gut einem Elternteil zuordnen.
Allerdings wurden Ähnlichkeiten eher zwischen den Neugeborenen und den Müttern festgestellt. Für Mädchen blieb dies die nächsten Jahre über so, während Jungen im Alter zwischen zwei und drei Jahren offenbar eine Ähnlichkeit zu ihrem Vater entwickelten.
Es gibt allerdings noch einen Faktor, der möglicherweise eine Rolle bei der Wahrnehmung der Väter spielt. Bereits im Jahre 2000 hatten zum Beispiel D. Kelly McLain und ihre Kollegen von der Georgia Southern University, Statesboro, USA, Mütter nach der Geburt im Krankenhaus besucht und gefragt, wem das ein bis drei Tage alte Baby ähnlicher sehe: Dem Vater, so erklärte die Mehrheit der Mütter.
War der beim Besuch der Forscher selbst anwesend, so tendierten die Frauen noch stärker dazu, auf die Ähnlichkeit mit dem Mann hinzuweisen. Auch hier identifizierten unvoreingenommene Beobachter anhand von Fotos aber häufiger die Mutter als den Vater zutreffend. Exakt die gleichen Ergebnisse ergab die Studie von Alexandra Alvergnea im vergangenen Jahr ( Evolution and Human Behavior, Bd. 28, S. 135, 2007).
Frühe Entwicklung in der menschlichen Evolution
Offenbar, so das Fazit, tendieren Väter mehr oder weniger unbewusst dazu, der Ähnlichkeit zwischen ihnen und dem Nachwuchs eine gewisse Bedeutung zu geben, wenn es um die Frage geht, ob und wieviel sie in bestimmte Kinder investieren. Manchmal liegen sie damit richtig, manchmal falsch - das hängt einfach davon ab, wie stark das Aussehen des individuellen Säuglings durch die Gene der Eltern geprägt wird. Deshalb sollte sich ein Mann, der seine Züge im Kinde nicht entdecken kann, nicht ins Bockshorn jagen lassen.
Darüber hinaus scheinen sich Mütter zu bemühen, den Partner in der Überzeugung zu bestärken, ein Kind sei von ihm. Das kann erstens der Versuch sein, den von Natur aus misstrauischen Mann zu beruhigen, der ja auch fast immer wirklich der Vater ist.
Alvergnea vermutet, dass sich diese Strategie bereits früh in der menschlichen Evolution entwickelt hat. Schließlich ist es eine Tatsache, dass die Bereitschaft der Männer, sich um den Nachwuchs zu kümmern, stark nachlässt, wenn sie Zweifel an der Vaterschaft hegen.
Völlig abwegig ist aber - zweitens - diese Sorge nicht. Studien in unterschiedlichen Gesellschaften auf der ganzen Welt zeigen, dass etwa fünf bis zehn Prozent aller Kinder nicht bei ihrem Erzeuger aufwachsen, sondern bei einem Mann, der sich fälschlich für den biologischen Vater hält.
Es gibt allerdings auch evolutionsbiologische Gründe, daran zu zweifeln, dass sich beim menschlichen Nachwuchs eine besondere Ähnlichkeit mit dem Vater herausgebildet haben sollte.
Zwar ist die Unterstützung durch den Vater im Interesse des Kindes. Doch für ein Kuckuckskind ist es natürlich genauso wichtig, unerkannt zu bleiben, wie für die Mutter.
Überhaupt setzen Babys offenbar eher auf das gut funktionierende Kindchen-Schema - Stupsnase, große Augen, hohe Stirn -, um positive Gefühle bei möglichst allen Erwachsenen auszulösen. Und es wirkt fast schon wie eine Herkunftsverschleierungsstrategie, dass so viele Babys mit blauen Augen und blonden Haaren ins Leben starten.
Seitensprünge hätten sich in der Evolution sonst kaum durchgesetzt
Und schließlich sind da noch die evolutionsbiologischen Interessen der Väter der Kuckuckskinder. Könnte der gehörnte Mann fremden und eigenen Nachwuchs einfach unterscheiden, würde er die Kinder, die nicht von ihm sind, kaum unterstützen.
Für den eigentlichen Vater wäre das Risiko, enttarnt zu werden, zu groß und der zusätzliche Fortpflanzungserfolg zu gering. In der Evolution hätten sich Seitensprünge dann kaum als so häufig auftretendes Verhalten durchsetzen können.
Offenbar gibt es demnach auf allen Seiten ein gewisses Interesse daran, die Abstammung nicht zu deutlich zu zeigen.
"Ganz der Papa" ist demnach manchmal eine zutreffende Beschreibung, manchmal der - vermutlich unbewusste - Versuch, einen misstrauischen Partner zu beruhigen, und manchmal einfach nur eine dreiste Lüge.