Fotosynthese:Dünger aus der Krone

Pflanzen haben immer Bedarf an Stickstoff. Nur Bakterien im Boden könnten ihn verwerten, hieß es stets. Schaffen es auch Mikroben in den Blättern?

Von Elizabeth Pennisi

Pappeln sind die am schnellsten wachsenden Bäume außerhalb der Tropen. Selbst auf unwirtlichem Boden können sie in weniger als zehn Jahren 30 Meter in die Höhe schießen. Sharon Doty sagt, das sei das Verdienst von Bakterien, die in den Blättern der Bäume leben.

Während die Blätter damit beschäftigt sind, Sonnenlicht in chemisch gebundene Energie etwa in Form von Zucker zu verwandeln, holen die Mikroben Doty zufolge Stickstoff aus der Luft und stellen ihn dem Baum sozusagen als Dünger für sein rasantes Wachstum zur Verfügung.

Mit dieser Behauptung widerspricht die Pflanzenmikrobiologin von der University of Washington in Seattle radikal dem traditionellen Lehrbuchwissen. Danach wird nämlich Stickstoff fast ausschließlich von Bodenbakterien, die auf den Wurzeln vieler Pflanzen leben, aus der Luft geholt und für die Gewächse nutzbar gemacht. Dass dieser lebenswichtige Vorgang auch in Baumwipfeln stattfinden soll, ist für viele Botaniker eine radikale Idee. "Wir kämpfen gegen ein Dogma", sagt Doty.

Stickstofffixierende Bakterien weiter verbreitet als angenommen

Die Forscherin musste ihre Hypothese vor einigen Tagen auf einem Kongress über Symbiose verteidigen, der im kalifornischen Yosemite-Nationalpark stattfand. Sie berichtete dort von den ersten direkten Hinweisen, dass Pappeln dank bakterieller Hilfe Stickstoff erhalten - und dass die Mikroben auch anderen Pflanzen einen Boost geben könnten.

Unterstützung bekam sie von der Mikrobiologin Carolin Frank, die an der University of California in Merced der Frage nachgeht, wie Bäume auf nährstoffarmen Böden gedeihen. Auch die Zirbelkiefer, ein langsam wachsender Baum in den steinigen Hochlagen der nordwestamerikanischen Gebirge, bekommt Stickstoff von Bakterien, die in den Nadeln leben, vermutet Frank.

Beide Biologinnen glauben, dass stickstofffixierende Bakterien viel weiter verbreitet sind als bisher angenommen wurde. Sie könnten vermutlich auch den Ertrag von Getreide auf kargen Böden steigern. In Dotys Labor wuchsen zumindest nach ihren Angaben mehrere Pflanzenarten besser, nachdem sie mit Pappelbakterien besiedelt wurden. Zuletzt hat sie das erfolgreich mit Reis versucht. Andere Pflanzenphysiologen sind noch sehr skeptisch - aber interessiert: "Wenn es solche Bakterien bei mehreren Baumarten geben sollte, wäre das eine riesige Entdeckung", sagt der Mikrobiologe Douglas Cook von der University of California in Davis.

Experimente "stehen noch aus"

Bereits seit den 1990er-Jahren bringen neue Erkenntnisse das alte Dogma "Stickstofffixierung findet nur in den Wurzeln statt" gelegentlich ins Wanken - zum Beispiel durch die Entdeckung der sogenannten Endophyten. Das sind Bakterien, die in Pflanzen leben, statt nur auf ihnen, und ihre Wirte wahrscheinlich mit Stickstoff versorgen. "Allerdings", schränkt Cook ein, "die Experimente, die das wirklich beweisen könnten, stehen noch aus und sie sind nicht trivial".

Das wesentliche Argument, das gegen die Existenz solcher Bakterien spricht, liegt in der Schwachstelle eines entscheidenden Enzyms. Die sogenannte Nitrogenase der Bakterien bindet den Stickstoff aus der Umgebung. Pflanzen haben dieses Enzym nicht, brauchen aber Stickstoff unbedingt zum Leben. Die Nitrogenase funktioniert aber nur gut, wenn sie keinen Kontakt zu Sauerstoff hat. Im Boden ist das kein Problem, an der Luft jedoch sehr wohl. Cook und andere argumentieren deshalb, dass das Schlüsselenzym nicht in Blättern arbeiten könne, wo die Fotosynthese ständig Sauerstoff freisetzt.

"Ich glaube, wir überzeugen die Zweifler allmählich"

Doty versucht, Antworten auf diese wichtigen Fragen zu finden. Der erste Verdacht, dass Stickstofffixierung auch oberhalb der Grasnarbe ablaufen kann, kam ihr, als sie vor 15 Jahren versuchte, Zellkulturen von Pappeln anzulegen. Dabei wurde der Nährboden immer wieder von Bakterien überwuchert. Sie waren genetisch verwandt mit bekannten Mikroben, die Stickstoff binden. Sie isolierte die Mikroben auf einem Medium ohne zugesetzten Stickstoff und sah, dass sie noch immer wuchsen. Den lebensnotwendigen Stickstoff mussten sie dazu aus der Luft nehmen.

Seither hat die Forscherin aus Seattle zeigen können, dass die Pappelbakterien auch das Wachstum von Roggen, Mais, Gras und Tomaten anregen können. Reiskeimlinge, die sie für vier Stunden in einer Lösung mit den Pappelbakterien einweichte, hatten diese Mikroben später überall in ihrem Pflanzenkörper; sie wurden größer und schwerer. Behält Doty Recht, wäre das ein Segen für die Landwirtschaft, die den notwendigen Stickstoff bislang kostspielig als Dünger auf die Felder bringt.

Bakterien für Stickstoffversorgung verantwortlich

Skeptiker merken an, dass die Bakterien auch Hormone absondern könnten, die das Wachstum anregen. Auch das wäre ein interessanter Befund, und immerhin müsste man nicht die Lehrbücher umschreiben. Doch Doty hält ihre Versuche mit den Bakterien auf dem stickstofffreien Nährboden bereits für aussagekräftig genug, um diesen Einwand zu entkräften. Einen weiteren Beleg sieht sie in einem Experiment eines ihrer Mitarbeiter. Der hatte Pappelzweige mit einer schwereren Variante von Stickstoff begast, die so nicht in der Natur vorkommt. Nach einer Weile konnten die Forscher diese Stickstoffform überall im Pflanzengewebe nachweisen. Laut Doty ist dies ein weiterer Beweis dafür, dass Bakterien in den Blättern für die Stickstoffversorgung verantwortlich sind.

Carolin Frank kommt ebenfalls zu diesem Schluss. Nachdem sie 2012 entdeckt hatte, dass 30 bis 80 Prozent der Bakterien in den Nadeln von Zirbelkiefern mit bekannten Stickstofffixierern verwandt sind, regte sich zunächst Skepsis in der Mikrobiologin. "Ich hatte Zweifel, die mir nachts den Schlaf raubten", erinnert sie sich.

Altes Dogma wird in Frage gestellt

Dann startete auch sie ein wichtiges Experiment. Sie legte einen Nadelzweig in ein Einmachglas und leitete etwas Acetylengas in das Gefäß. Nach einer Weile konnte sie in dem Glas auch Ethylen messen. Sie sieht hier das Nitrogenase-Enzym am Werk, das nicht nur Stickstoff aus der Luft binden, sondern auch Acetylen in Ethylen verwandeln kann. Die Verwandlung sei der Beweis, dass stickstoffbindende Bakterien weit ab von jeder Wurzel lebten.

Inzwischen scheinen weitere Forscher der Idee etwas abgewinnen zu können. "Die Haltung verändert sich", hat der Pflanzengenetiker Gerald Tuskan vom Oak Ridge National Laboratory in Tennessee beobachtet. Noch sei die Skepsis nicht in Glauben umgeschlagen. Doch das alte Dogma werde inzwischen vorsichtig infrage gestellt.

Tuskan und seine Kollegen haben mehr als 3000 verschiedene Mikrobenarten auf und in Pappel gefunden, viele von ihnen sind mit dem Nitrogenase-Enzym ausgestattet. Manche von ihnen, hat er beobachtet, leben in engen Gemeinschaften als Biofilm; hier gibt es Bereiche, die sehr arm an Sauerstoff sind. Dort könnte die Nitrogenase sehr wohl funktionieren. Noch ein Hinweis auf Stickstofffixierung in Blättern. "Ich glaube, wir überzeugen die Zweifler allmählich", sagt Carolin Frank, "einschließlich uns selbst".

Dieser Artikel ist im Original in Science erschienen, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weit. Infor.: www.aaas.org, www.sciencemag.org. Dt. Bearbeitung: hach

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