Süddeutsche Zeitung

Fortpflanzung beim Menschen:Vorrat an Eizellen doch nicht begrenzt?

Bislang war man davon ausgegangen, dass Frauen keine neuen Eizellen produzieren können, während Männer ihren Spermienvorrat ständig auffrischen. Diese Lehrmeinung haben US-Wissenschaftler nun offenbar widerlegt.

Frauen, so besagte die bislang vorherrschende Lehrmeinung, verfügen schon bei der Geburt über eine begrenzte Zahl von Eizellen, die mit jedem Menstruationszyklus abnimmt. Anders als Männer, die Zeit ihres Lebens Spermien produzieren können, nahm man bei ihnen an, dass ihr Vorrat an sogenannten Oozyten nicht aufgefrischt wird.

US-Wissenschaftler berichten nun allerdings von einem Experiment, das zeigt: Frauen können offenbar doch bis ins Erwachsenenalter neue Eizellen produzieren.

Jonathan Tilly und seinem Team vom Massachusetts General Hospital in Boston ist es gelungen, bestimmte Stammzellen aus Eierstöcken zu isolieren. Diese seltenen, von Tilly als "oogonial stem cells" (OSC, Eizellen produzierende Stammzellen) bezeichneten Zellen können sich im Labor so entwickeln, dass sie Eizellen gleichen.

Um nun herauszufinden, wie sie sich in einem Eierstock verhalten, injizierten sie solche Zellen in menschliches Eierstockgewebe, das dann unter die Haut einer Maus gepflanzt wurde.

Wie die Mediziner im Fachmagazin Nature Medicine berichten, entdeckten sie dort innerhalb von zwei Wochen unreife Ovarialfollikel - Eizellen plus Hilfszellen. Und einige der Eizellen leuchteten grün. Die Wissenschaftler hatten die eingesetzten Stammzellen gentechnisch so manipuliert, dass sie ein grün fluoreszierendes Protein (GFP) herstellen. Das Leuchten scheint demnach zu belegen, dass diese Eizellen tatsächlich von den Stammzellen stammen.

"Das ist schon sensationell", sagte Georg Griesinger von der Uniklinik Schleswig-Holstein in Lübeck mit Blick auf die Studie. Nach Ansicht des Leiters der Sektion für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin ist es sehr gut vorstellbar, dass sich die aus den Stammzellen hervorgehenden Eizellen zu einem späteren Zeitpunkt auch künstlich befruchten lassen. Dafür müssten aber noch viele Vorarbeiten geleistet werden, um die Sicherheit des Verfahrens zu gewährleisten.

Die US-Wissenschaftler hatten mit der Saitama Medical University in Japan zusammengearbeitet. Von dort stammten die menschlichen Eierstöcke, die die Forscher verwendeten. Es handelt sich um Spenden von 22- bis 33-jährigen Frauen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen.

Jonathan Tilly hatte seine Theorie von den Eizellen produzierenden Stammzellen bereits vor acht Jahren aufgestellt, nachdem er beobachtet hatte, dass bei Mäusen zu viele Oozyten während jedes Menstruationszyklus' sterben, als dass der bei der Geburt vorhandene Vorrat für ein Mäuseleben ausreichen würde. Ihre Erklärung, dass demnach Stammzellen neue Eizellen produzieren müssten, war damals aber angezweifelt worden.

2009 hatten chinesische Forscher allerdings tatsächlich Eizellen produzierende Stammzellen in Mäuse-Eierstöcken identifiziert. Zweifel gab es jedoch weiterhin daran, dass solche Zellen auch bei Menschen existieren. Dieser Streit ist nun vermutlich gelöst.

Die Erkenntnis könnte dazu führen, dass sich eines Tages eine unbegrenzte Zahl menschlicher Eizellen produzieren lässt. Die Forscher erwägen bereits die Einrichtung einer Stammzellenbank, in der die Zellen eingefroren, gelagert und jederzeit entnommen werden können, wenn eine Frau ein Baby bekommen möchte - etwa wenn eine Chemotherapie die Eizellen im Körper zerstört hat. Im Gegensatz zu den Eizellen selbst seien die Ei-Stammzellen nicht empfindlich, was die Lagerung einfacher mache.

Die Wissenschaftler weisen im Rahmen ihres Artikels darauf hin, dass ihre Arbeit für sie einen finanziellen Nutzen haben kann: Tilly ist Mitgründer des US-Unternehmens OvaScience, das die Erkenntnisse vermarkten will. In einer Mitteilung seines Instituts erklärt Tilly: "Die Entdeckung von Eizell-Vorläuferzellen in menschlichen Eierstöcken, (...), öffnet die Tür für neuen Techniken zur Fruchtbarkeitsbehandlung von Frauen."

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