Richard Nixon hat es 1971 mit dem War on Cancer versucht, Barack Obama verkündete vor drei Jahren den Cancer Moonshot - jetzt will auch Anja Karliczek (CDU) mit einem Forschungsgroßprojekt gegen die Erkrankung vorgehen. Am Dienstag hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung gemeinsam mit Gesundheitsminister Jens Spahn in Berlin die Nationale Dekade gegen Krebs vorgestellt. Zehn Jahre gezielte Forschungsförderung sollen die Situation von Patienten in Deutschland verbessern.
SZ: Die Versprechen der Politik im Kampf gegen Krebs sind oft umfassend. Was ist Ihre Vision zur Nationalen Dekade?
Anja Karliczek: Immer noch ist Krebs in Deutschland die zweithäufigste Todesursache. Krebs macht Angst. Ich weiß das selbst aus der Familie, und so viele Menschen kennen das, Betroffene, Angehörige, Freunde. Das langfristige Ziel heißt: Heilung. Wir müssen uns auf dem Weg aber Zwischenziele stecken. Besser mit Krebs leben zu können, mehr Lebensqualität für die Erkrankten und die Angehörigen zu erreichen, das wären bereits Fortschritte.
Wie wollen Sie das erreichen?
Wir wollen, dass Patienten schneller von Forschungsergebnissen profitieren. Wir wollen aber auch umgekehrt Informationen, die vom Patienten kommen, wieder in die Forschung überführen. Eines unserer Ziele sind Netzwerke aus Forschung und Versorgung. Dadurch können Daten besser zusammengeführt und die heutigen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz noch besser genutzt werden. Wir wollen dafür alle zusammenbringen, die Erkenntnisse über diese Krankheit haben - Forscher, Ärzte, Pfleger, Patienten, auch Stiftungen.
Wie viel Geld stellen Sie dafür bereit?
Wir richten uns hier sehr eng am Bedarf aus und starten mit einer Förderung von großen klinischen Studien über 60 Millionen Euro zum Start der Dekade. Wir werden im Lauf der Dekade entscheiden, wo unsere Förderung den größten Nutzen bringen kann. Wir geben aber bereits seit vielen Jahren viel Geld für die Krebsforschung aus. Wir fördern beispielsweise das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg seit fast 50 Jahren. Insgesamt fließen jährlich mehr als 200 Millionen Euro in die Krebsforschung. Das werden wir jetzt noch einmal erheblich aufstocken.
Und worum geht es inhaltlich?
Krebsfrüherkennung soll zum Beispiel verbessert werden. Hier gibt es ein Problem mit zu späten Diagnosen und auch mit Fehl- und Überdiagnosen, mit falschen Verdachtsdiagnosen. Künstliche Intelligenz kann hier helfen. Wenn man die Daten aus den Screenings zusammenbringt, und wenn man diese Daten wissenschaftlich gut aufarbeitet, lassen sich zutreffende Diagnosen besser stellen. Gerade, wenn es um bildgebende Verfahren geht. Und wir wollen Prävention insgesamt stärken.
Wo wird der Schwerpunkt liegen?
Krebs ist individuell. In der personalisierten Medizin bekommen wir jetzt den Fortschritt durch neue Technologien. Auch physikalische Anwendungen liefern neue Möglichkeiten, zum Beispiel Lasersysteme, die einzelne Krebszellen aufspüren können. Einen ersten konkreten Schwerpunkt setzen wir mit der Förderung großer klinischer Studien. Damit wollen wir die gängige Praxis in Prävention, Diagnose und Behandlung überprüfen. Die Empfehlungen, die daraus abgeleitet werden, können den Patienten direkt zugutekommen. Es ist das erste Mal, dass wir solche Studien in diesem Maßstab unterstützen.
Anja Karliczek, geboren 1971, absolvierte als Bankkauf- und Hotelfachfrau ein BWL-Fernstudium und zog zweimal per Direktmandat in den Bundestag. Seit 2018 ist sie Bundesministerin für Bildung und Forschung.
(Foto: dpa)Sie sprechen viel von Beschleunigung. Doch Therapien müssen sorgfältig geprüft werden, bevor man sie anbietet.
Bisher gibt es nur den Weg aus der Forschung zum Patienten. Aber die Ergebnisse am Patienten wieder zurück zu spiegeln in die Forschung - was macht das Medikament? Wirkt es? All das soll schneller und effektiver werden, indem wir den Informationsaustausch stärken.
Ist das nicht genau das, was Studien leisten sollten, bevor neue Therapien oder Tests auf den Markt kommen?
Es geht uns nicht darum, durch Beschleunigung mehr Therapien auf den Markt zu bringen. Wir wollen Informationen bündeln und dadurch eine höhere Wirksamkeit erzielen. An so vielen Stellen werden Daten gesammelt, was aber bisher fehlt, ist eine Vernetzung dieser Informationen.
Genetische Analysen, um zum Beispiel bei Brustkrebs über eine Chemotherapie zu entscheiden, sind längst auf dem Markt, aber ein Nutzen ist oft nicht belegt. Kann Vernetzung daran etwas ändern?
Vernetzung kann helfen bei der Erkenntnis, wann etwas nützlich ist und wann nicht. Damit wollen wir keine Studien ersetzen, die durchgeführt werden, bevor ein Medikament oder eine Therapie auf den Markt kommt. Unser Ziel ist es, die Informationen, die wir heute an den Patientenbetten sammeln, zu nutzen, um bessere Ergebnisse erzielen zu können. Das ist ein Teil des Fortschritts, den wir jetzt schaffen können. Zehn Jahre sind ein guter Zeitraum, um sich darauf zu konzentrieren. Die Zeit, die in Projektförderungen meist vorgesehen ist, wäre zu kurz.