Forschungskultur:Schafft Werte!

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Der Wissenschaftsbetrieb boomt. Aber ist die Menschheit deshalb im Zeitalter der Aufklärung angekommen? Natürlich nicht. Religionskriege toben. Menschen verfallen absurden medizinischen Theorien. Sekten haben ebenso Zulauf wie Diktatoren.

Von Patrick Illinger

Auch in diesem Jahr wird wieder kräftig geforscht werden. So viel lässt sich auch ohne detaillierte Kenntnis der entsprechenden Datenlage sagen. Setzt sich der Trend der vergangenen Jahre fort, werden die weltweiten Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sogar einen neuen Höhepunkt erreichen.

Die Zeitschrift Nature hat das zum Jahreswechsel mit ein paar eindrucksvollen Zahlen illustriert. So haben sich die weltweiten Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt und dürften 2015 etwa dem Bruttoinlandsprodukt Indiens entsprechen. Eine Milliarde Tassen Kaffee wird in Labors getrunken werden, alleine 234 000 Kekse werden die Polarforscher der amerikanischen McMurdo-Station am Südpol verzehren. Zwei neue Himmelskörper werden im kommenden Sommer angeflogen, Ceres, ein Asteroid zwischen Mars und Jupiter, sowie der ehemalige Planet Pluto. Und die Zahl der akademischen Publikationen wird in diesem Jahr an die Grenze von einer Million heranrücken.

Geht die Wissenschaft mit dem Erfolg richtig um?

Alles in Butter also? Ist die Menschheit endgültig im Zeitalter der Aufklärung angekommen, in dem sie all ihr Handeln auf dem ehernen Prinzip der Empirie gründet? Natürlich nicht. Religions- und andere Glaubenskriege toben. Menschen verfallen absurden medizinischen Theorien. Sekten haben ebenso Zulauf wie Diktatoren, und in den Casinos glauben noch immer Roulettespieler, den Zufall schlagen zu können.

Und doch: All den menschlichen Eigenarten zum Trotz erweisen sich Wissenschaft und Bildung weiterhin als Erfolgsmotor. Das werden auch jene spüren, die heute im Mittleren Osten Schulen schließen und archäologische Stätten zerstören. Die große Frage an jene, die in der Welt der Wissenschaft tätig sind, lautet: Geht Ihr mit dem Erfolg richtig um?

Und hier liegt eine enorme Gefahr. Die Gefahr, dass das expandierende, zunehmend auf sich selbst fixierte System Wissenschaft am eigenen Erfolg erstickt. An der Börse würde man von einer überhitzten Stimmung sprechen. Zunehmend geht es darum, möglichst viel Durchsatz zu produzieren, möglichst viele Daten und Veröffentlichungen. Die Länge der Publikationsliste entscheidet heute stärker über Karrieren als die Qualität einzelner Arbeiten oder der Einfallsreichtum eines Forschers. Nie umgesetzt wurde ein Vorstoß der Deutschen Forschungsgemeinschaft, bei Besetzungen nurmehr die fünf wichtigsten Veröffentlichungen zu berücksichtigen.

Krisenbewältigung wie in der Welt der Geheimdienste

Die Dicke von Dissertationen, die Zahl der Doktoranden am Lehrstuhl, all diese in der akademischen Welt bedeutenden Indikatoren haben zum Teil eine absurde Bedeutung erreicht. Universitäten unterhalten mittlerweile ganze Abteilungen, die sich einzig darum kümmern, das eigene Haus in internationalen Ranglisten hochzuhalten.

Forschungsorganisationen, ja sogar einzelne Institute, betreiben PR-Arbeit, die im Stil großer Unternehmen eher in strategischem Marketing als Öffentlichkeitsarbeit besteht. Berechtigten oder unberechtigten Protesten - ob gegen ein Genlabor oder gegen Tierversuche - wird manchmal eine Krisenbewältigung entgegensetzt, wie sie in der Welt der Geheimdienste üblich ist.

Das wäre vielleicht zum Jahresbeginn der größte Wunsch an die Wissenschaft, unabhängig von neuen Impfstoffen und besseren Auto-Batterien: Forscher sollten den Wert des eigenen Tuns nicht nur in Publikationslisten, Rankings und Hochglanzbroschüren sichtbar machen, sondern durch ihr Tun an sich. Schafft Werte! Nicht nur im Sinne von Daten.

© SZ vom 03.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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