Das Vertrauen in die Wissenschaft ist größer als vielfach vermutet – und das weltweit. So lautet das – zumindest auf den ersten Blick – beruhigende Ergebnis der größten post-pandemischen Studie zum Thema. Ein Forscherteam um Viktoria Cologna von der ETH Zürich und Niels Mede von der Universität Zürich hat die Arbeit jetzt im Fachjournal Nature Human Behaviour veröffentlicht.
Die insgesamt 241 Forscher und Forscherinnen hatten die Ergebnisse der sogenannten Tisp Many Labs Studie analysiert, in der Daten von knapp 72 000 Menschen aus 68 Ländern der Welt erhoben worden waren, insbesondere auch aus dem globalen Süden. Dies sei die erste für die ganze Welt repräsentative Studie seit der Corona-Pandemie, die in allen Regionen der Welt der Frage nachgehe, ob Wissenschaftler geschätzt werden, in welchem Maße sie in der Öffentlichkeit aktiv werden sollten, und ob die Wissenschaft die richtigen Themen priorisiert.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die meisten Menschen in den meisten Ländern ein relativ hohes Maß an Vertrauen in die Wissenschaftler haben und sich wünschen, dass sie eine aktive Rolle in Gesellschaft und Politik spielen“, sagt Studienleiterin Viktoria Cologna laut einer Pressemitteilung. Die Studie habe keine Beweise für die oft gehörte Behauptung gefunden, dass die Wissenschaft unter einer Vertrauenskrise leide.
So ergab sich aus den Daten bei der Vertrauenswürdigkeit im globalen Durchschnitt ein Wert von 3,62, wobei die Skala von 1 (sehr gering) bis 5 (sehr hoch) reichte. Sie liegt damit wieder auf präpandemischen Niveau und klar über dem Mittelwert. Die Forscher hatten den Begriff Vertrauenswürdigkeit aus den Dimensionen Kompetenz, Wohlwollen, Integrität und Offenheit zusammengesetzt und die Studienteilnehmer nach ihren entsprechenden Wahrnehmungen befragt. Außerdem glaubten 78 Prozent aller Befragten, dass Wissenschaftler ausreichend qualifiziert seien für hochwertige Forschung, 57 Prozent hielten sie für ehrlich und 75 Prozent stimmten der Aussage zu, dass man mit wissenschaftlichen Methoden am ehesten der Wahrheit nahekommt.
Zumindest der Mythos vom gefährlich niedrigen Vertrauen in die Wissenschaft ist jetzt ausgeräumt
Dabei zeigten sich überraschende regionale Unterschiede. So lagen Deutschland (3,49), die Schweiz (3,45) und Österreich (3,42) nur im unteren Mittelfeld. Am meisten Vertrauen in die Wissenschaft haben der neuen Studie zufolge die Menschen in Ägypten (4,30) und Indien (4,26), am wenigsten in Albanien (3,05) und Kasachstan (3,13).
Doch gerade die Aussagen zu den regionalen Unterschieden kommentieren nicht an der Studie beteiligte Wissenschaftler kritisch. Solche Unterschiede seien „mit Vorsicht zu interpretieren“, sagte etwa Johannes Starkbaum vom Institut für höhere Studien (IHS) in Wien dem Science Media Center, allein schon, „weil bereits die Wörter Wissenschaft und Wissenschaftler:in in den Ländern unterschiedlich gedeutet werden“. Ähnlich der Kommunikationswissenschaftler Matthias Kohring von der Universität Mannheim: „Mehr als grobe Tendenzen lassen sich nicht ablesen.“ Einig sind sich allerdings diverse Kommentatoren, dass die neue Studie zumindest den Mythos vom gefährlich niedrigen Vertrauen in Wissenschaft ausräume: „Kein gemessener Ländermittelwert liegt unterhalb des Mittelpunkts der verwendeten Fünf-Punkte-Skala“, sagte Frank Marcinkowski von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Allerdings plädieren manche Kommentatoren für eine etwas feinere Analyse. Vielleicht gebe es keine umfassende Vertrauenskrise gegenüber der Wissenschaft, anders sehe es aber wahrscheinlich aus, wenn man sich bestimmte konflikthafte Themenfelder anschaue, etwa Klimawandel, Gentechnik oder bis vor Kurzem den Umgang mit der Covid-19-Pandemie.
Frank Marcinkowski gibt jedoch zu bedenken: „Ich würde uneingeschränktes Vertrauen in Wissenschaft – genauso wie in die Politik – eher für ein Warnsignal halten“. Technokratische Einstellungen deuteten auf Unzufriedenheit mit demokratischer Politik hin: Wer fordere, dass Experten mehr Einfluss auf politische Entscheidungen bekommen sollen, tue das in der Regel, weil er Parteien oder Politik nicht mehr zutraue, die Probleme zu lösen.
Mit Material des Science Media Centers (SMC)