Forschung und Ethik:Im Netzwerk der Hoffnungen

Eine Tagung über Werturteile zeigt: Moralische Rechtfertigungen lassen sich für fast jede Art von Forschung konstruieren.

Werner Bartens

Die zeitliche Übereinstimmung war wohl Zufall: Im Bundestag legten am Mittwoch Forscher dar, warum ihre Arbeit mit embryonalen Stammzellen unbedingt erleichtert werden sollte. Seit längerem blicken sie neidisch auf das Ausland und beschweren sich über schlechtere Arbeitsbedingungen in Deutschland.

Forschung und Ethik: In der Forschung ist vieles möglich, die Ethik liefert bisweilen wohlfeile Argumente dazu.

In der Forschung ist vieles möglich, die Ethik liefert bisweilen wohlfeile Argumente dazu.

(Foto: Foto: dpa)

Schließlich hatte der Bundestag im Frühjahr 2002 nach hartem Ringen und breiter gesellschaftlicher Debatte beschlossen, dass in Deutschland nur mit embryonalen Stammzellen geforscht werden darf, die vor dem 1. Januar 2002 ,,gewonnen'' wurden. Jetzt, so die Klage der Forscher, die sie bereits im Dezember 2006 im Namen der DFG ähnlich formuliert hatten, seien die Zellen veraltet und dies benachteilige hiesige Wissenschaftler. Forscher wollen neue Zellen aus wenige Tage alten Embryonen entnehmen und damit arbeiten dürfen, auch wenn die Embryonen danach absterben.

Während sich die Stammzellforscher in Berlin beklagten, begann in Karlsruhe die Konferenz ,,Werturteile''. Dort wurde verhandelt, auf welchen ethischen Grundlagen Entscheidungen für Medizin und Forschung getroffen werden. Unter anderem standen die Diskussion um Embryonenschutz, Stammzellforschung und Schwangerschaftsabbruch auf dem Programm. ,,Schließlich muss sich der Mensch wie nie zuvor selbst Grenzen setzen, wo bislang die Natur ihm Grenzen gesetzt hat'', sagte Ludger Honnefelder, Bioethiker an der Universität Bonn.

Man konnte den Eindruck gewinnen, die Philosophen, Juristen und Mediziner in Karlsruhe wappneten sich bereits für zukünftige Debatten, die ihnen die Fortschritte der Wissenschaft bald aufzwingen könnten. Soren Holm, Bioethiker an der Universität Cardiff, versuchte zu erklären, warum die Stammzellforschung in Großbritannien besonders viel Freiraum genießt. Die religiösen Traditionen seien bei diesem Volk der Seefahrer und Entdecker vergleichsweise gering ausgeprägt, so Holm.

Auf die Vorreiterrolle des Landes - das erste Retortenbaby 1978, das erste Klonschaf 1997 - seien die Briten eher stolz, als dass sie ethische Erosion befürchteten. Zudem vermutet Holm, dass die Philosophie Kants auf der britischen Insel kaum Einfluss gehabt habe, weswegen das Konzept der Menschenwürde für die englische Debatte um Embryonenschutz nicht wichtig sei. Es sei zwar nicht alles erlaubt, so Holm. ,,Doch das einzige, was die Stammzellforschung mit Embryonen in England unterbinden kann, ist ein Versagen der Technik als Forschungsmethode.''

Claudia Wiesemann, Ethikerin an der Universität Göttingen, plädierte dafür, den Kontext menschlicher Beziehungen in den Debatten um Schwangerschaftsabbruch und Embryonenforschung stärker zu betonen. ,,Durch die rein biologisch-technische Definition von Embryonen und Stammzellen, geht die soziale Bedeutung von Fortpflanzung und Elternschaft verloren'', sagte Wiesemann. ,,Dadurch wird die moralische Dimension der Debatte unkenntlich, und die Ethik der Verantwortung verschleiert, die auch auf der Liebe zum Kind fußt und aus freien Stücken erfolgt.''

Dabei sei gerade das Ethos der Elternschaft und die langsam wachsende, persönliche und intime Verantwortungsübernahme für Kinder eine moralische Universalie. ,,Warum nicht diese, Europa einigende moralische Einschätzung zur Grundlage der Rechtsprechung machen, wenn es um Embryonen außerhalb des Körpers geht?'', fragte Wiesemann. Die Präsidentin der Akademie für Ethik in der Medizin sprach sich für einen Embryonenschutz aus, der nicht Gefahr läuft, mit jeder neuen zellbiologischen Technik wieder ad absurdum geführt zu werden.

Menschsein ohne Vorbehalte

Dan Brock von der Harvard-University konnte sich mit dieser Position nicht anfreunden. ,,Klar, sie gehören zu uns und nicht zur Spezies Frosch'', sagte der Ethiker über embryonale Stammzellen. Aber das verhelfe ihnen nicht zum moralischen Status bereits Geborener. Eine Blastozyste - wie der Embryo innerhalb der ersten Tage genannt wird - ,,hat nichts, was ihr den moralischen Status eines Menschen verleiht, kein Bewusstsein, keine Autonomie, kein Gefühl, nichts''. Auch das Potential eines ,,Früh-Embryos'', sich zum Menschen zu entwickeln, zählte für Brock nicht. Hätte Kerry 2004 die Wahl gegen Bush gewonnen, wäre er US-Oberbefehlshaber geworden. ,,Was nützt ihm dieses Potential, was leitet er daraus ab - wer befehligt die Truppen im Irak?'', fragte Brock.

Brock stellte die Frage, wen die Zuhörer retten würden, wenn ein Brand in einer Klinik für künstliche Befruchtung ausbrechen würde: 100 dort eingelagerten befruchteten Eizellen oder ein achtjähriges Mädchen, dass sich dort aufhält. Die Kritik an der Regelung in Großbritannien, wonach Embryonen bis zum 14.Tag für die Forschung verbraucht werden dürfen, wischte Brock ebenfalls hinweg. Das Kontinuitätsargument, das besagt, dass es willkürlich sei, menschliche Eigenschaften ausgerechnet zwei Wochen nach der Befruchtung beginnen zu lassen, sei falsch, so Brock. Natürlich sei es auch willkürlich, das Wahlrecht mit vollendetem 18. Lebensjahr zu verleihen. Trotzdem sei es klar, dass ein Fünfjähriger noch kein Wahlrecht ausüben dürfe.

Dietmar Mieth, Bioethiker an der Universität Tübingen, forderte mehr Transparenz in der Debatte um Embryonenforschung. Das beginne mit dem Begriff therapeutisches Klonen. ,,Noch hat diese Forschung keinem Patienten geholfen, so dass von humanem Forschungsklonen gesprochen werden sollte'', so Mieth. Jetzige Kranke sollten nicht von der Wissenschaft instrumentalisiert werden, indem Forscher vage Heilsversprechen machten. Auch fachlich seien viele Fragen ungeklärt. Wieso, fragte der Ethiker, sollten gesunde Zellen ein krankes Organ gesund machen und nicht selbst krank werden. Auf der Skala der Embryonen-Forschung von 0 bis 100 sei der jetzige Stand zwischen 0 und 5, ,,und es ist unklar, ob wir je über 5 hinauskommen''.

Mieth kritisierte die aus vagen Zuschreibungen konstruierte Welt der Stammzellforschung. ,,Hier handelt es sich um ein Netzwerk der Hoffnungen, ohne dass etwas produziert wird, was Menschen hilft - weder Heilung, noch Forschungserfolg.'' Aus ethischer Sicht gebe es zudem ein ,,Menschsein ohne Vorbehalte'' - ein moralischer Status wird nicht zuerkannt, sondern er ist da.

Outsourcing der Ethik

Es war Mariachiara Tallacchini vorbehalten, Rechtsphilosophin in Piacenza und Mailand, die Rolle der Ethik zu hinterfragen. Schließlich hätten die komplexen Themen der Biomedizin dazu geführt, dass Ethik nicht mehr nur eine moralische Haltung in der Gesellschaft sei. ,,Ethik ist oft die Ethik der Experten'', so Tallacchini. Zudem werde Ethik von Regierungen von oben nach unten verordnet, und nicht mehr als Grundkompetenz der Zivilgesellschaft verstanden. Tallacchini warnte davor, ,,dieses Ding namens Ethik'' zu benutzen, um Werte auszulagern.

Indem sie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und ,,neue Ethiken fabriziert'' werden, würden kontroverse Themen entpolitisiert und neutralisiert. Dies legitimiere den Markt und erlaube liberalere Regelungen - und die Ethiker drohen zu Helfershelfern der verschiedenen Interessengruppen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu werden. Um dies zu verhindern, hatte Ludger Honnefelder bereits empfohlen: ,,Was alle angeht, muss auch unter Beteiligung aller entschieden werden.''

Die Ethiker zeigten, was sie alles rechtfertigen können, wenn man sie nur lässt. Sie freuten sich ihrer flexiblen Deutungsmacht - einer offenbar ungewohnten Position, obwohl sie durch die Berufung in Ethik-Kommissionen, -Räte und -Akademien bereits aufgewertet wurden. Wahrscheinlich war diese Inflation der Räte gemeint, als Mariachiara Tallacchini vom ,,Outsourcing der Ethik'' sprach.

Am Ende blieb der Eindruck, dass sich jeder seine passende Gebrauchsethik zurechtlegen kann, wenn er nur den richtigen Experten konsultiert. Dies kam nach dem Vortrag von Dan Brock schön zum Ausdruck. Da wurde der Ethiker aus Harvard gefragt: ,,Habe ich Sie richtig verstanden, dass ein Konsens in dieser Frage nur möglich ist, wenn alle Ihren Argumenten folgen?''

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