Forschung in Großbritannien:Ende der Milliarden-Sause an britischen Elite-Unis

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Britische Universitäten gehören nicht nur optisch zur Weltspitze. Hier das Corpus Christi College, Cambridge. (Foto: David Illíff; User Diliff via commons.wikimedia.org)

Britische Forscher wie Stephen Hawking sind vom geplanten EU-Ausstieg entsetzt. Hinter den Kulissen beginnt jetzt das Tauziehen um Geld, Studenten und mächtige wissenschaftliche Behörden.

Von SZ-Autoren

Universitäten wie Cambridge und Oxford gehören zur Weltspitze, viele Forscher des Vereinigten Königreichs arbeiten eng mit Kollegen in ganz Europa zusammen. Mit nur einem Prozent der Weltbevölkerung liefert das Land rund sieben Prozent der global gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und fast ein Sechstel der am häufigsten zitierten Publikationen. Dabei stammt fast ein Viertel der etwa in Cambridge forschenden Wissenschaftler aus anderen EU-Staaten. Welche Folgen könnte ein Brexit für das britische Wissenschaftssystem haben?

Sind britische Wissenschaftler so geteilter Meinung wie das Volk?

Es gibt britische Wissenschaftler, die sich für einen Austritt aus der EU aussprechen, aber sie sind in der Minderheit. Noch vor dem Referendum hatte die Zeitschrift Nature in einer Umfrage unter 2000 Forschern ermittelt, dass mehr als vier Fünftel sich klar für einen Verbleib in der EU aussprechen. Nur jeder achte Befragte befürwortete den Austritt. Mehr als die Hälfte der Wissenschaftler nannte eine Abkopplung Großbritanniens "äußerst schädlich" für die Forschung. Nach der Entscheidung kam es zu einer Flut von emotionalen Meinungsäußerungen. Der Physiker Stephen Hawking sprach von einer "Katastrophe für die britische Wissenschaft und die Universitäten". Lord Rees, Chefastronom des Landes und ehemaliger Vorsitzender der Royal Society, nannte das Referendum "zutiefst deprimierend". Die Schottin Anne Glover, ehemalige oberste Wissenschaftsberaterin der EU, sagte, sie sei von ihrem eigenen Land "beschämt". Eine Gruppe von Brexit-Befürwortern mit dem Namen "Scientists for Britain" argumentiert zwar, es gebe die Möglichkeit, weiterhin mit speziellen Verträgen an EU-Fördergeld zu gelangen. Doch die meisten Wissenschaftler fürchten einen erschwerten Zugang zu EU-Mitteln, Reise- und Zuzugs-Beschränkungen und eine abnehmende Attraktivität des Vereinigten Königreichs als Forschungsstandort.

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(Patrick Illinger)

Wie reagieren die Universitäten?

"Wir nehmen das Ergebnis mit Enttäuschung zur Kenntnis", schreibt der Vizekanzler der Universität Cambridge, der Immunologe Leszek Borysiewicz, in einerMail. "Meine Einstellung zu diesem Thema ist wohl bekannt, aber 52 Prozent der Wähler im Referendum stimmten damit nicht überein." "Das ist nicht das Ergebnis, das wir uns gewünscht oder für das wir gekämpft haben", heißt es in einem Statement von Universities UK, einem Verband von 133 Universitäten. "Unsere Priorität wird es sein, die Regierung zu überzeugen, sicherzustellen, dass Mitarbeiter und Studenten aus EU-Ländern weiterhin an Britischen Universitäten arbeiten und studieren können." Das Imperial College in London empfiehlt unterdessen seinen Mitarbeitern, vorsichtshalber eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen.

(Kai Kupferschmidt)

Wie viel Fördergeld bekommen die Briten aus den EU-Töpfen?

Im Rahmen des aktuell wichtigsten europäischen Förderprogramms mit dem Titel Horizon 2020 sowie weiteren Strukturfonds hat die EU von 2014 bis 2020 insgesamt 120 Milliarden Euro für Forschungszwecke zu verteilen. Aus Vorgängerprogrammen hatten Forscher in Großbritannien zwischen 2007 und 2013 8,8 Milliarden Euro Forschungsmittel erhalten. Im gleichen Zeitraum hatte das Land 5,4 Milliarden Euro in die Brüsseler Fonds einbezahlt. Brexit-Befürworter argumentieren, dass es sich dabei nur um drei Prozent der britischen Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung handele. Doch sind solche Drittmittel für die Forschung genau jene Sahnehauben, die jenseits der Grundfinanzierung von Universitäten und Instituten innovative Projekte möglich machen. So zeigte ein Bericht der Technologie-Beratung Digital Science, dass etwa 140 Millionen Euro aus EU-Mitteln in die britische Krebsforschung geflossen sind, was 40 Prozent aller Steuermittel dieses Forschungszweigs sind. Eine fast so hohe Quote gilt für die Informatik und Computertechnik, die mit mehr als einer Milliarde Euro aus Brüssel gefördert wurde. Ironischerweise sind Universitäten und Institute in einigen antieuropäisch gestimmten Landesteilen Britanniens besonders stark von EU-Fördermitteln abhängig. Mitunter kommen dort mehr als 80 Prozent des Forschungsgeldes aus Brüssel. Aber auch die fünf Spitzenuniversitäten Cambridge, Oxford, UCL, Imperial College und Edinburgh beziehen ein Fünftel ihrer öffentlichen Finanzmittel aus EU-Töpfen.

(Patrick Illinger)

University of Oxford (Foto: Hugo Pardo Kuklinski via commons.wikimedia.org)

Haben britische Wissenschaftler im Fall des Austritts noch die Chance auf EU-Fördermittel?

Well, wie die Briten sagen würden, it depends. Aus dem EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizon 2020 werden nicht nur Projekte aus den Mitgliedsländern gefördert, sondern auch aus derzeit 14 assoziierten Staaten. Dazu zählen beispielsweise Norwegen, die Türkei und Israel. Ferner gibt es Abkommen mit Drittstaaten zu einzelnen Bereichen der Forschungszusammenarbeit. Eine weitere Teilnahme an Horizon 2020 ist also nach dem Brexit keineswegs ausgeschlossen.

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Künftig als assoziierter Staat dabei zu sein, wäre für britische Forscher indes nur die zweitbeste Lösung. Denn wie das Beispiel der Schweiz zeigt, kann dieser Status auch wieder entzogen werden: Im Anschluss an das Ende 2013 ausgelaufene 7. Forschungsrahmenprogramm der EU war eine erneute Assoziierung der Schweiz vorgesehen. Nachdem die Schweizer jedoch im Februar 2014 mit der "Masseneinwanderungsinitiative" darauf beharrten, die Zuwanderung zu beschränken, und das sogenannte Kroatien-Protokoll nicht unterzeichneten, lehnt die EU eine Vollassoziierung ab. Schweizer Forscher können seither nur noch aus einigen Teilprogrammen von Horizon 2020 Fördergeld beantragen. Mit der selbstverständlichen Teilhabe eines Mitgliedslandes wird es also nach dem Austritt aus der EU vorbei sein.

(Wiebke Rögener-Schwarz)

Müssen gar EU-geförderte Forschungsprojekte abgebrochen werden?

Dazu mögen sich weder die Generaldirektion Forschung und Innovation noch der Europäische Forschungsrat ERC äußern. Für Spekulationen sei es zu früh, sagt die Sprecherin der Generaldirektion Lucia Caudet. Doch ist wohl kaum mit Rückforderungen zu rechnen: Wenn die Verhandlungen im Herbst beginnen und die Zweijahresfrist ausgeschöpft wird, nähert sich das bis 2020 geltende Programm Horizon 2020 schon seinem Ende. Auch eine Verlängerung der Verhandlungsfrist sei möglich, so Caudet. Bis dahin sei Großbritannien EU-Mitglied, mit allen Rechten und Pflichten, wie auch der ERC bestätigt.

(Wiebke Rögener-Schwarz)

Was passiert mit der Europäischen Arzneimittelagentur EMA?

Die EMA ist zuständig für die Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln für Tiere und Menschen innerhalb der EU, und sie sitzt in London. Das dürfte sich nun ändern. Das Tauziehen um die Behörde und ihre rund 900 Mitarbeiter hat bereits begonnen. So hat der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller Politiker aufgefordert, die EMA nach Bonn zu verlegen. Dort sitzt auch die deutsche Behörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte - und der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller. Schweden, Dänemark und Italien haben aber ebenfalls Interesse bekundet. Wo immer die EMA am Ende ein neues Zuhause findet: es wird Probleme geben. Die pharmazeutische Industrie in Großbritannien und Deutschland sei eng verflochten, schreibt der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. "Es wird unsere Unternehmen große Anstrengungen kosten, die neuen bürokratischen Hürden zu nehmen, die nun in der Folge des Austritts Großbritanniens aus der Union auf uns zukommen."

(Kai Kupferschmidt)

Was passiert mit Briten in EU-Behörden?

Für Briten, die bei der EU-Kommission, etwa in der Generaldirektion Forschung und Innovation, beschäftigt sind, hat Präsident Juncker beruhigende Worte. Man werde ihnen nicht einfach den Stuhl vor die Tür stellen, betonte er in einer Rede am 24. Juni und versicherte: "Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Ihnen in diesem schwierigen Prozess zu helfen." Unsicher ist die Perspektive der Beschäftigten in den sonstigen EU-Behörden. So berichtet die Europäische Chemikalienagentur in Helsinki, wo 31 Briten arbeiten: "Es ist derzeit unklar, wie und wann der Rückzug des Vereinigten Königreiches sich auf sie auswirken wird." Ein Netzwerk von EU-Behörden arbeite an einem gemeinsamen Vorgehen. Besser dran sind die Beschäftigten des European Molecular Biology Laboratory (EMBL) mit Standorten unter anderem in Heidelberg und in Hinxton, UK. Als zwischenstaatliche Einrichtung ist das EMBL keine EU-Institution und vom Brexit nicht betroffen.

(Wiebke Rögener-Schwarz)

Was passiert mit dem Erasmus-Programm?

Erasmus heißt das weltweit größte Förderprogramm für Aufenthalte an ausländischen Universitäten. Wie es nach dem Brexit weiter geht, hat die Europäische Kommission noch nicht mitgeteilt, fest steht aber, dass alle bestehenden Verträge erfüllt werden. Der Bestandsschutz gilt für Studierende, die nach Großbritannien gegangen sind oder bald gehen werden sowie für britische Studierende im Ausland. Die EU-Kommission notierte auf ihrer Website, dass EU-Recht solange gelte, bis Großbritannien die Union verlassen hat. Dies schließe alle Erasmus-Programme ein. Ein Ausstieg Großbritanniens wäre ein harter Schlag für das Programm. "England ist eines der wichtigsten Austauschländer für deutsche Studierende", sagt Hanns Sylvester, Direktor der Nationalen Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Doch gebe es auch für Nicht-EU-Mitglieder die Möglichkeit, bei Erasmus mitzumachen.

(Hanno Charisius)

Was sagt die Humboldt-Stiftung?

"Der Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union wird gravierende Folgen für die Wissenschaft haben", warnt der Generalsekretär der Humboldt-Stiftung Enno Aufderheide in einem Statement. Das beginne damit, dass Forscher aus Großbritannien sich nicht mehr wie bislang ohne Grenzen überall in Europa bewegen und arbeiten können. Umgekehrt würden viele herausragende Wissenschaftler, die bislang mit Mitteln der europäischen Forschungsförderung in Großbritannien tätig sind, das Land verlassen. Forschungskooperationen würden ungleich schwieriger werden. Und das britische Wissenschaftssystem müsse auf mehrere Milliarden Euro europäischer Forschungsgelder verzichten, die für die nächsten Jahre bereits eingeplant waren.

(Kathrin Zinkant)

Was wird mit den Studenten aus der EU in Großbritannien?

Spitzenuniversitäten wie Oxford und Cambridge ziehen Studenten aus der ganzen Welt an. Im vergangenen Jahr waren mehr als 120 000 aus der EU an britischen Universitäten eingeschrieben. Gerade in den Mint-Fächern stellen EU-Studenten mit mehr als zehn Prozent der Doktoranden einen großen Anteil. Ein Grund dafür: Solange das Vereinigte Königreich Teil der Europäischen Union ist, gelten für EU-Studenten dort die gleichen Gebühren wie für Briten. Der Brexit könnte das Studium jetzt deutlich teurer werden lassen. Nach der Entscheidung versuchten viele Universitäten ihre Mitarbeiter und Studenten zu beruhigen. Der Tenor: Die Zukunft sei zwar unsicher, aber unmittelbar ändere sich noch nichts. Die Universität Aberdeen ging noch einen Schritt weiter. Sollten sich Gebühren für EU-Studenten während ihres Aufenthalts ändern, werde die Universität die zusätzlichen Kosten tragen, wurde versichert.

(Kai Kupferschmidt)

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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