Forscher im Polizeidienst:Stumme Zeugen lügen nicht

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Egal ob Biologen, Mediziner oder Chemiker: Wissenschaftler, wie etwa die vom Landeskriminalamt Niedersachsen, sind für die Aufklärung von Verbrechen wichtiger denn je.

Dietrich Inhülsens Zeigefinger ragt aus dem Futter einer durchlöcherten Jacke. Jede Öffnung beäugt er akribisch, nestelt am Stoff und vermisst die Löcher millimetergenau. Die Jacke ist stummer Zeuge einer blutigen Messerstecherei.

Die Linien auf den Handinnenseiten beinhalten bei jedem Menschen einzigartige Merkmale. (Foto: Foto: dpa)

Inhülsen will wissen, ob ein sichergestelltes Messer zu den Einstichen im Stoff passt. Der Biologe gehört zu den Mitarbeitern des niedersächsischen Landeskriminalamtes (LKA) in Hannover, die mit wissenschaftlicher Genauigkeit nur ein Ziel verfolgen: Mögliche Straftäter be- oder entlasten.

Inhülsen streift seinen Kittel ab, schiebt sich die roten, runden Brillengläser ein Stück höher auf die Nase und packt Klebefolie aus. "Mal sehen, was mir dieses Sakko so alles verrä", sagt der Biologe, drückt die Folie auf das Jackett und legt das Ergebnis unter ein großes Mikroskop. "Eine einzige Faser", sagt der Wissenschaftler im Polizeidienst, "kann ganze Bände sprechen."

Der Forscher überführte schon Unfallverursacher, die nach einem Crash den toten Beifahrer ans Steuer hievten. Eine gute Spurenlage verrate alles. "Ansonsten machen wir hier viel Mageninhalt", sagt Inhülsen trocken über eine seiner Spezialdisziplinen.

Der Verdauungszustand der letzten Mahlzeit kann Rückschlüsse auf den Eintritt des Todes zulassen - und damit auf Tatzeiten und Alibis. Auch mit Erkenntnissen über Tierhaare, Erde unter Schuhen und mikroskopisch kleine Pollen hat Inhülsen schon Kriminelle hinter Gitter gebracht.

Oft müssen Inhülsen und seine Kollegen vor Gericht aussagen. Wissenschaftliche Gutachten dieser Art haben nach Angaben des Vorsitzenden des Niedersächsischen Richterbundes, Jürgen Possehl, an Bedeutung gewonnen.

Besonders die Zahl psychologischer Gutachten zur Schuldfähigkeit von Beschuldigten oder Glaubwürdigkeit von Zeugen sei "deutlich angestiegen". Kriminaltechnische Gutachten seien jedoch auch früher schon oft eingeholt worden.

"Nur sind heute die Möglichkeiten einfach größer", sagt der Jurist. Und es sei die Tendenz zu erkennen, Gutachter nur zu bemühen, "um einfach überzeugender zu wirken".

Kriminaltechniker Inhülsen hat mittlerweile ermittelt, dass das Sakko keine direkten Nachbarn im Kleiderschrank hat. Routine für den Experten, der sich laufend auf dem aktuellen Stand halten muss - erst vor kurzem habe er sich mit FBI-Kollegen zum Fachsimpeln getroffen.

Schräg unter Inhülsens Büro ist die Daktyloskopie beheimatet. Bei der Wissenschaft der Fingerabdrücke hat sich seit mehr als 100 Jahren im Kern nichts verändert: Die Linien auf den Handinnenseiten beinhalten bei jedem Menschen einzigartige Merkmale.

"Die übrigens auch die Füße hinterlassen", weiß Fingerabdrucksexperte Klaus Kolbe. Eine Datenbank beim Bundeskriminalamt erleichtert seine Arbeit: Der Computer vergleicht tausende Abdrücke und spuckt verwandte Bilder aus. Dann folgt die manuelle Feinarbeit - wie vor 100 Jahren.

"Wir suchen zwölf individuelle Merkmale. Selbst eineiige Zwillinge weisen Unterschiede auf", sagt Kolbe. Die liegen vor, wenn sich die so genannten Papillarlinien der Handinnenseiten treffen, teilen, beginnen, enden oder Muster bilden.

Kolbe hat schon die unterschiedlichsten Spurenträger untersucht. Teilweise Kurioses wie Vibratoren oder Sado-Maso-Peitschen. Sein Kollege Marco Meyer im Flur nebenan hat es hingegen oft mit nur einem Beweismittel zu tun: Autolack. "Wir haben eine Datenbank, in der alle gängigen Autolacke seit den 80er Jahren gespeichert sind", sagt der Diplom-Chemiker.

Bei Fahrerflucht beispielsweise rekonstruieren Meyer und seine Kollegen anhand kleinster Splitter den Tathergang. Auch Rückständen an Einbruchswerkzeugen oder Fesseln spüren sie nach. "Verwertbares finden wir sogar noch im Waschmaschinenfilter."

Stumme Zeugen, die nicht lügen können, kommen auch bei Sigrid Gehring und Manfred Karohl auf den Tisch. Die beiden LKA-Kollegen werten Handschriften aus. "Das sind individuelle Bewegungsspuren", sagt Gehring. Und die fänden sich auf Verträgen, Kreditaufnahmen, Überweisungsaufträgen, Lastschriften und Testamenten - und zwar nicht selten gefälscht oder nachträglich verändert.

Gehring und Karohl haben es auch mit Erpresserschreiben zu tun. Bei ihrer Arbeit beäugen sie charakteristische Merkmale der Schrift wie geschwungene Bögen, Buchstabenansätze, Größe, Ausrichtung oder die Position der i-Punkte. "Schrift ist manchmal so individuell wie ein Fingerabdruck", sagt Gehring. "Es bleiben oft keine Zweifel, wer geschrieben hat."

Liegt die Schriftprobe eines Verdächtigen vor, ist der Vergleich wie eine Gegenüberstellung. "2008 ist ein schönes Jahr für uns", sagt Gehring. Handschriftliche Achten nämlich seien besonders individuell.

© dpa/Heiko Lossie - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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