Forensik:Der Nachbar hat den Hund vergiftet!

Forensic Veterinarians

Mal liefert auch das Skelett eines Tiers - hier eines Hundes - den Pathologen noch Informationen über sein Ableben.

(Foto: Bebeto Matthews/AP Photo)

Oder ist er eines natürlichen Todes gestorben? Spezialisierte Forensiker klären Gewalttaten gegen Tiere. Sie haben immer mehr zu tun.

Von Nadine Zeller

Die Pfoten des Schäferhundmischlings hängen schlaff über der Kante des Sektionstisches. Von einer Sekunde auf die andere war der Hund umgefallen, tot. Unerklärlich für die Besitzer. Neben dem Tisch steht ein Mann, in der Hand hält er ein Wellenschliffmesser. Dann geht es los. Der Sektionsgehilfe, ein gelernter Metzger, setzt den ersten Schnitt an. Ein Krachen und die Rippenbögen brechen auseinander. Nach und nach arbeitet er sich vor.

Als das Aufschneiden der Knochen erledigt ist, beugt sich Tierpathologe Ingo Schwabe über die auseinanderklaffenden Körperhälften der Hundeleiche. Er möchte herausfinden, woran das Tier gestorben ist. Als er dessen Bauchhöhle öffnet, flutet Blut über den Sektionstisch. "Das ist jetzt nicht normal", sagt Schwabe trocken. Das sandfarbene Fell der Hündin färbt sich rot. Ein Schwall Fäulnis wabert durch die Halle. Gut, dass den Besitzern diese Erfahrung erspart bleibt.

Blut, Verwesungsgeruch, gewetzte Messer - daran hat sich Ingo Schwabe längst gewöhnt. Der 47 Jahre alte Familienvater - eckige Brille, weiße Metzgerschürze, grünes Hemd - arbeitet seit 14 Jahren im Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart (CVUA) als Tierpathologe. Er hat tote Riesensalamander, Pfeilgiftfrösche, Wölfe und Katzen obduziert, einmal sogar eine Giraffe. Die Wilhelma, der zoologisch-botanische Garten Stuttgarts, liegt quasi um die Ecke. Rund 7000 tote Tiere landen jährlich auf den Sektionstischen der CVUA. Bei etwa 60 Fällen handelt es sich um Straftaten. Tendenz steigend.

"Da bekomme ich dann mumifizierte Katzen auf den Sektionstisch"

Steht der Verdacht im Raum, dass ein Tier getötet oder gequält wurde, wird Schwabe zum Gerichtsmediziner. Er sichert dann Beweise für die Staatsanwaltschaften oder Tierbesitzer und arbeitet somit forensisch. Vor zwei Tagen parkte ein mittelaltes Pärchen seinen Wagen vor dem Eingang des Instituts. Im Kofferraum lag ihr Hundemischling in eine Decke gehüllt. Tot. Die Frau weinte. Nur drei Stunden seien sie weg gewesen, erzählte sie. Als sie zurückkamen, lag der Hund auf der Seite und regte sich nicht. Wie könne das sein? Es ging ihm doch noch gut, als sie sich verabschiedet hatten. Sie wollen - nein, müssen - jetzt wissen, warum ihr Hund gestorben ist. Und Tierpathologe Ingo Schwabe soll es ihnen sagen. Eine Fähigkeit, die zunehmend gefragt ist.

Die Deutschen nehmen den Tierschutz ernst und bringen viele Fälle zur Anzeige. Das Bundeskriminalamt erfasste im vergangenen Jahr 6527 Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. Zwar fehlt es an Statistiken, wie viele davon in Strafverfahren mündeten, doch die Tiermediziner bestätigen: Die Zahl der privaten Tierobduktionen steigt. Die Menschen achten stärker auf das Tierwohl, rufen schneller die Polizei und ziehen beherzter vor Gericht. Starb das teure Pferd wegen eines Ärztepfuschs? Wurde die Katze vom Nachbarn vergiftet? Hat der Förster den Hund beim Waldspaziergang angeschossen?

In letzter Zeit beschäftigen Schwabe auch häufiger Fälle sogenannten Animal Hoardings, wenn sich vermeintliche Tierliebhaber etwa 30 Katzen in einer Zweizimmerwohnung halten. "Da bekomme ich dann mumifizierte Katzen auf den Sektionstisch, weil die Polizei nach der x-ten Klage endlich mal die Wohnung geräumt hat und festgestellt hat, ups, da sind ja auch Tiere verendet." Er muss dann unter anderem herausfinden, wie lange sie schon tot sind. Sorgfalt ist gefragt.

Viele Fragen soll Ingo Schwabe also beantworten - und immer häufiger auch vor Gericht. Erst kürzlich war der Tierpathologe zu einem Mordprozess geladen. Ein Dealer hatte eine Frau umgebracht und anschließend die Wohnung angezündet, um die Spuren zu verwischen. Als die Ermittler am Tatort auftauchten, lagen neben der Frauenleiche zwei tote Katzen. Hatte der Täter sie getötet oder starben sie durch das Feuer? Schwabe konnte nachweisen, dass die Tiere an einer Rauchvergiftung starben.

Selten erfahren Tierpathologen wie derlei Gerichtsprozesse enden. Meistens schicken ihm die Ermittler einen Vorbericht, er seziert das Tier, schickt die Proben ins Labor und schreibt einen Befund für die Staatsanwaltschaft. "Die Tierforensik steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen", sagt Schwabe. In Großbritannien sei es üblich, Tierpathologen zum Tatort dazu bestellen. Tiervergehen würden dort viel konsequenter geahndet.

So bringt die englische Tierschutz-Organisation "Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals" regelmäßig Tierschutzverstöße vor Gericht. In Deutschland hingegen besitzt nur das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen ein Dezernat für Umweltvergehen. Die allermeisten Straftaten an Tieren werden daher nicht aufgeklärt. Ein zerfledderter Wanderfalke auf dem Acker, ein toter Wolf im Wald - es lässt sich nur schwer zurückverfolgen, wer dafür verantwortlich ist. Bei der Obduktion können Pathologen aber zumindest meistens klären, wie das Tier ums Leben kam.

Neben der Hundeleiche auf Schwabes Sektionstisch in Fellbach liegen jetzt Herz, Leber und Milz nebeneinander aufgereiht. Der Verwesungsgeruch ist in alle Winkel des Raumes vorgedrungen. Die Hündin ist seit zwei Tagen tot. "Ja, so Fleischfresser verbreiten ein spezielles Gerüchlein", sagt Schwabe gut gelaunt. Die veterinärmedizinisch-technische Assistentin und der Sektionsgehilfe grinsen schief. Schwabe schneidet jetzt die Hauptbronchien auf. "O.B.B.", sagt er, an seine Assistentin gewandt - ohne besonderen Befund.

Doch mit der Lunge des Tieres stimmt was nicht. Eine gesunde Lunge fällt nach dem Todeseintritt in sich zusammen, bei dieser hier sind die Lungenbläschen zerrissen. Es scheint ihnen an Blut gemangelt zu haben. Schwabe beugt sich tiefer über die Hundeleiche. Kann er den rätselhaften Tod klären?

130 Euro für eine Sektion

Bringen Menschen ihre verstorbenen Tiere zu Schwabe, hoffen sie fast immer auf Absolution. "Die Frage, ob sie den Tod in irgendeiner Form mitverschuldet haben, führt sie in vielen Fällen hierher", sagt Schwabe. 130 Euro kostet eine Sektion, das muss man sich leisten wollen. Rund siebzig Prozent der Tiere auf Schwabes Sektionstisch sind Nutztiere wie Schafe, Rinder, Ziegen.

Die Landwirte gehören zu Schwabes Stammkunden. Ist beispielsweise ein Rind krank, wollen sie wissen, ob auch der Rest der Tiere gefährdet ist. Auch Zoonosen - also Krankheiten, die auch auf den Menschen übertragen werden können - muss der Tierpathologe feststellen. Seine Arbeit ist wichtig für die Verbraucher. Doch obwohl Untersuchungen von Nutztieren bislang überwiegen, steigt die Zahl der Haustierobduktionen.

Als Pathologe bewegt sich Schwabe in einem Spannungsfeld. Viele Halter behandeln die Tiere wie Kinder oder einen Partner: Geht es den Schützlingen schlecht, bricht für sie eine Welt zusammen. Die Besitzer des Mischlings weinten, als sie die Hündin Schwabe übergaben.

Der Tiermediziner versteht das. Er hat selbst einen Zwergdackel. Sein Büro hängt voller Tierbilder, von Kinderhand gezeichnet. Schwimmende Robben, Vogelklauen, ein Bär. Dennoch reagiert Schwabe allergisch, wenn Menschen Tiere dazu benutzen, ihre psychischen Probleme zu bewältigen. Trauernden Tierbesitzern hilft er gern. Hysterischen weniger. "Sie glauben ja nicht, wie viele Menschen zu uns kommen und behaupten, der Nachbar habe ihr Tier vergiftet", sagt er. Dabei sei es in all den Jahren exakt ein Mal vorgekommen. Schwabes Befunde schaffen dann rasch Klarheit. Er spart den Gerichten Arbeit - die meisten Besitzer sehen nach der Diagnose von einer Klage ab.

"In dem Fall hat uns die Diagnose praktisch angesprungen"

Nicht nur Schwabes Obduktionen zeigen, wie wichtig die Arbeit der Tierpathologen für die Gesellschaft ist. Das wird auch am Berufsalltag von Claudia Szentiks deutlich. Wird in Deutschland ein toter Wolf aufgefunden, landet er wahrscheinlich auf ihrem Sektionstisch. Die Tierpathologin vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin hat allein im vergangenen Jahr 47 Wölfe obduziert.

Aber Szentiks sieht auch größere Raubtiere. Die Pathologin hat vor sechs Jahren Deutschlands bekannteste Tierleiche obduziert: Eisbär Knut. Ein aufwendiger Fall, sagt sie knapp. Sie will lieber über Wölfe reden. Mehr als jedes zehnte Wolf-exemplar, das auf ihrem Sektionstisch lande, sei keines natürlichen Todes gestorben, sagt die Tierpathologin. Meistens würden sie erschossen, seltener vergiftet. Wer in Deutschland Wölfe tötet, begeht eine Straftat. Doch um die Täter zu überführen, braucht man Beweise.

Und dazu sind Tierpathologen auf detaillierte Polizeivorberichte angewiesen. Szentiks fände es gut, wenn bei Totfunden von Tieren grundsätzlich Kriminalbeamte hinzugerufen würden - auch um Missverständnisse auszuräumen. Denn immer wieder werden Fälle, in denen Haushunde Nutztiere gerissen haben, Wölfen zugeschustert. Dabei gibt es Rissbilder, die ganz eindeutig dem Wolf zuzuordnen sind - vorausgesetzt, man ist früh genug am Tatort. Umgekehrt können aber auch Tierbesitzer Gewissheit finden, wenn ihr Hund plötzlich tot im Wald liege und der Förster behauptet, er habe ihn beim Wildern erwischt. Dann helfen DNA-Spuren des Rehs im Maul des Hundes um herauszufinden, ob er wirklich am Wildern war.

Die Obduktion ist mittlerweile beendet. Die Diagnose deutet alles auf einen bösartigen Tumor in der Milz hin. Der Hund ist also auf natürliche Weise gestorben. Niemand trifft eine Schuld. Nicht immer ist von Anfang an klar, ob ein Fall eine forensische Dimension hat. Schwabe zeigt auf das dunkle Gewebe. "In dem Fall hat uns die Diagnose praktisch angesprungen", sagt er. Der Tumor habe in die Bauchhöhle geblutet. Dieses Blut habe dann in anderen Gefäßen gefehlt - beispielsweise in der Lunge. Bei dieser Art von Milztumor erkennt man häufig keine Symptome, bis es zu einer Blutung kommt. Es ist ein typischer Hundetumor. Meist wirkt der Hund über längere Zeit einfach etwas müde.

Nicht immer ist die Ursachensuche so einfach. Nachdem Ingo Schwabe die Hygieneschleuse passiert hat, läuft er beschwingt den Gang entlang in Richtung Labor. Statt Metzgerschürze trägt er jetzt einen schwarzen Hoodie und Turnschuhe. Er liebt Rockmusik, spielt selber in einer Band. Nachher ist noch Probe. Lab Daddys nennen sie sich, Labor-Papas. In der eigentlichen Sektionshalle arbeitet er nur sechs Stunden pro Woche. Die meiste Zeit verbringt er Im Labor "Das hier ist meine schärfste Waffe", sagt er und deutet auf das Lichtmikroskop.

Seine Befunde und Gutachten müssen gerichtsfest sein. Deshalb gilt es, anhand von Gewebeproben Beweise zu sichern. Ein typischer Fall: Ein Rennpferd ist tot, die Besitzer verklagen den Tierarzt wegen Behandlungsfehlern. Die Tiere kosten viel Geld und sind entsprechend hoch versichert - Summen von bis zu einer Million Euro sind nicht unüblich. Vor Gericht geht es dann häufig um folgende Fragen: Starb das Pferd wegen Dopings oder hat der Arzt Fehler gemacht, etwa einen Tupfer vergessen? Wurde eventuell nachgeholfen?

Dass verschiedene Tierarten eine so unterschiedliche Anatomie aufweisen, macht die Sache nicht einfacher. Gerade wenn es um die Bestimmung des Todeszeitpunktes geht, bleiben Fragen offen: Während etwa der Temperaturabfall des Menschen nach Eintritt des Todes immer gleich verläuft, fällt er bei verschiedenen Tierarten und Rassen sehr unterschiedlich aus, weil Gewicht, Felldichte und Oberfläche stark variieren.

Gewebeproben legt Schwabe 24 Stunden in Formalin ein, um deren Zersetzung zu stoppen. Dann entwässert der Tiermediziner das Gewebe, durchtränkt es mit Paraffinwachs, schneidet es schließlich in drei bis fünf Mikrometer dicke Scheiben und färbt es. Unter seinem Lichtmikroskop kann er die Präparate dann in tausendfacher Vergrößerung betrachten.

Es ist ein Aufwand, der nicht übertrieben ist. Letztlich geht es nämlich nicht nur um die Tiere. So einige Studien zeigen nämlich, dass Menschen, die Tiere schlagen oder quälen, auch überdurchschnittlich oft zu Gewalttätern werden. Nicht zuletzt deshalb ist das Aufdecken von Straftaten an Tieren auch im Interesse der Gesellschaft.

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