Flutszenario nach Erdbeben:Kaliforniens Albtraum

Golden Gate Bridge in San Francisco turns 75

Golden Gate Bridge in San Francisco: Kommt es zu einer Überflutung an Kaliforniens Küsten, dann wäre die Bay Area am schlimmsten betroffen.

(Foto: dpa)

Eine Riesenwelle, Überflutungen von acht Metern Höhe, zehn Milliarden US-Dollar Schaden: Kommt es vor Alaska zu einem Erdbeben, dann droht Kalifornien ein Horrorszenario. Wissenschaftler und Behörden arbeiten an Evakuierungsplänen - und an einer App.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wer an der kalifornischen Küste spazieren geht, der sieht bisweilen am Straßenrand ein blaues Schild, auf dem ein weißes Männchen vor einer Flutwelle auf einen Berg flüchtet. Darunter ist der Hinweis vermerkt, sich bei einem Erdbeben auf einen Hügel oder ins Landesinnere zu begeben.

Der Spaziergänger mag sich wundern, warum diese Warnung mehr als 600 Meter entfernt vom Strand angebracht ist, an dem sich gerade die Wellen des Pazifischen Ozeans brechen. Dabei könnte es sein, dass diese Hinweise bald noch weiter ins Hinterland versetzt werden müssen.

Der United States Geological Survey (USGS) hat eine Studie veröffentlicht, wonach ein Erdbeben vor der Küste Alaskas eine Flutwelle auslösen könnte, die einen Schaden von mehr als zehn Milliarden US-Dollar anrichtet und bei der etwa eine Million Menschen in Sicherheit gebracht werden müssten. Dieses Szenario würde sich bei Erdstößen der Stärke 9,1 entwickeln - ähnlich dem Seebeben vor zwei Jahren vor der Küste Japans, das zur Atom-Katastrophe von Fukushima geführt hatte. In Kalifornien richtete damals der sich nach Osten bewegende Tsunami bereits einen Schaden von 100 Millionen Dollar an.

Eine Überflutung von acht Metern Höhe bis tief ins Land

"Die amerikanische Regierung muss sich die Frage stellen, ob es eines Tages schlimme Konsequenzen für Kalifornien geben könnte durch einen Tsunami, den ein weit entferntes Erdbeben auslöst. Die Antwort darauf lautet leider: Ja", sagt Lucile Jones. Sie ist Wissenschaftlerin beim USGS und Leiterin der Studie, an der mehr als 150 Wissenschaftler beteiligt waren.

Die Menschen in der Mitte und dem Süden Kaliforniens leben ohnehin in ständiger Angst davor, dass die Erde zu wackeln beginnt. Nun kommt noch die Furcht vor einer Welle hinzu, wenn es etwa 5000 Kilometer nördlich ein Erdbeben gibt. "Und das wird nicht nur eine Welle sein, es wird nicht einmal wie eine Welle aussehen - es werden eher Schwalle sein", sagt Jones: Eine Überflutung von acht Metern Höhe bis tief ins Land. Gefahr bestehe auch durch die Strömung, die Erde an der Küste verschiebt und teilweise wegreißt.

Es ist ein Horrorszenario, das die Wissenschaftler da zeichnen. "Es ist hypothetisch, aber nicht ausgeschlossen", sagt Jones über die Studie, bei der Wissenschaftler ein Erdbeben im März 2014 - dem 50. Jahrestag des Karfreitagsbebens von 1964 - simuliert und die Folgen berechnet haben. Am schlimmsten würde es im Norden die Anrainer der San Francisco Bay treffen und weiter südlich die Metropole Los Angeles. Der Flughafen Oakland wäre ebenso komplett unter Wasser wie die Inseln Alameda (Oakland) und Balboa (Newport Beach). Verheerend wäre die Flutwelle vor allem für die Häfen in Long Beach und Los Angeles - durch die Zerstörungen könnten Rohöl und Abwasser in den Pazifik gespült werden. Die entstehenden Brände dürften sich aufgrund der Hitze und Trockenheit in Kalifornien schnell ausbreiten.

Eine Handy-App zur Frühwarnung

Den Menschen bliebe nicht viel Zeit, auf diese Flutwelle zu reagieren - weshalb der USGS nun mit den Behörden in Kalifornien zusammenarbeitet, um sich auf dieses Szenario einzustellen. "Wenn wir feststellen, dass da wirklich ein großer Tsunami auf uns zukommt, haben wir noch dreieinhalb Stunden Zeit, bis der erste Schwall hier in Kalifornien ist", sagt Jones.

Vor allem das Frühwarnsystem - in den USA werden die Einwohner derzeit vor allem über das Fernsehen vor Unwettern und Naturkatastrophen gewarnt - soll verändert werden. Es wird gerade eine Applikation für Mobiltelefone entwickelt, durch die Bewohner bedrohter Gebiete schneller und direkter informiert werden können. Zudem soll die Gefahrenzone erweitert werden, über die Handy-App sollen die Menschen dann erfahren, wie weit sie mindestens fliehen müssen, um sicher zu sein. Fernsehen kann diese Information nicht liefern. "Wer sich in einer Gefahrenzone befindet, wird nicht riskieren zuzusehen - er wird fliehen", sagt Jones. Also genau das tun, was die Schilder am Straßenrand raten.

Die komplette Studie kann direkt unter folgendem Link (große Datei) oder auf der Seite des USGS abgerufen werden.

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