Süddeutsche Zeitung

Kommunikation im Tierreich:Flusspferde erkennen Freunde an der Stimme

Flusspferde können Artgenossen durch deren Stimme unterscheiden. Was teilen sich die Tiere sonst noch mit?

Von Tina Baier

Die ausgefeilte Sprache des Menschen ist etwas Besonderes. Allerdings nicht so besonders, wie man lange Zeit dachte. Auch viele Tiere kommunizieren über Laute und teilen sich dabei die erstaunlichsten Dinge mit, wie Bioakustiker nach und nach herausfinden. Delfine beispielsweise erkennen sich gegenseitig an individuellen Namen, Elefanten informieren sich per Infraschall über große Entfernungen hinweg, dass es Zeit ist aufzubrechen, und Paviane haben verschiedene freundliche Grunzer, mit Bedeutungen wie "Ich tu dir nichts", "Ich will mit dir kuscheln" oder "Ich will dein Kind anfassen".

Bei den meisten Tierarten ist man aber noch weit davon entfernt, die Bedeutung ihrer Lautäußerungen zu verstehen. Von Flusspferden zum Beispiel weiß man zwar, dass sie ständig Töne von sich geben, und zwar sowohl über als auch unter Wasser. Doch was sich die Tiere damit mitteilen, ist Menschen bislang ein Rätsel. Die Biologin Julie Thévenet von der französischen University of Saint-Etienne hat jetzt untersucht, was es mit einer unter Flusspferden besonders häufigen Lautäußerung auf sich hat: dem "Wheeze Honk", auf Deutsch in etwa "Keuch-Huper", der kilometerweit zu hören ist.

In der Welt der Tiere gibt es liebe und böse Feinde

Für ihre Studie, die gerade im Fachmagazin Current Biology erschienen ist, nahm Thévenet mit ihren Kollegen zunächst Wheeze-Honk-Rufe von Flusspferden aus verschiedenen Seen im Maputo Special Reserve auf, einem Naturschutzgebiet in Mosambik. Danach wählten die Wissenschaftler sieben Flusspferdgruppen aus, denen sie die Rufe verschiedener Artgenossen vorspielten. Dabei beobachteten sie, wie die Tiere reagierten. Fünf Gruppen beschallten sie nacheinander mit dem Wheeze Honk eines unbekannten Artgenossen aus einem weit entfernten See, mit dem Keuch-Huper eines "Nachbarn" aus einem nahe gelegenen See und mit dem Ruf eines Flusspferds aus demselben See. Zwei Gruppen bekamen lediglich den Ruf des weit entfernten Fremden und den des Gruppenmitglieds zu hören.

"Die Reaktionen der Tiere waren eindeutig", sagt Thévenets Kollege Nicolas Mathevon. "Das hatten wir nicht erwartet." Eindeutig aggressiv reagierten die Flusspferde auf die Rufe von unbekannten Artgenossen aus einem weit entfernten See: Sie brüllten zurück und begannen, Kot zu versprühen, um ihr Territorium zu markieren. Bei den Lauten von Tieren aus einem benachbarten See fielen diese Reaktionen deutlich moderater aus, und wenn es sich um den Ruf eines Gruppenmitglieds handelte, antworteten die Flusspferde zwar auch oft, fingen aber in der Regel nicht an, ihr Revier zu markieren.

Die Wissenschaftler folgern aus diesem Ergebnis, dass sich Flusspferde am Wheeze Honk gegenseitig erkennen können. Er sei so etwas wie eine "vokale Unterschrift", vermutet Mathevon. Außerdem zeige die Untersuchung, dass sich Flusspferde, die in einem See zusammenleben, als Gruppe mit einem gemeinsamen Revier begreifen. Das war bisher nicht ganz klar.

Wie die Flusspferde in der aktuellen Untersuchung reagieren viele "territoriale" Tierarten, die ein bestimmtes Gebiet für sich beanspruchen und verteidigen, aggressiver auf einen unbekannten Artgenossen als auf ein bekanntes Tier aus einem angrenzenden Territorium, schreiben die Wissenschaftler in Current Biology. Verhaltensforscher sprechen vom "Dear Enemy Effect", dem "Lieber-Feind-Phänomen".

Flusspferde können gleichzeitig über und unter Wasser sprechen

Der Wheeze Honk, der in der aktuellen Studie untersucht wurde, ist nur ein Ruf aus einem riesigen Repertoire von vielen verschiedenen Lauten, mit denen Flusspferde kommunizieren. Die Tiere können knurren, grunzen, schnauben und sogar schreien. Manchmal geben sie Weinlaute von sich, meist aber nur kurz. Und wenn sie mit anderen Flusspferden interagieren, sind oft Klicklaute zu hören.

Abgesehen von der ungewöhnlich großen Vielfalt hat die "Sprache" der Flusspferde aber noch eine andere Besonderheit: Sie funktioniert sowohl an Land als auch unter Wasser. Ein Teil der Laute wird nur unter Wasser verwendet, andere sind ausschließlich für die Kommunikation an Land gedacht. Und etwa ein Drittel ist "amphibisch", das heißt, die Laute können sich gleichzeitig im Wasser und in der Luft ausbreiten. Für diese Form der Kommunikation tauchen die Tiere halb ab, sodass sich Augen und Nasenlöcher über der Wasseroberfläche befinden, Maul und Kehle darunter.

Die menschliche Sprache ist zwar viel differenzierter als die Lautäußerungen der Flusspferde - an der Aufgabe, gleichzeitig über und unter Wasser zu sprechen, würden Menschen aber scheitern. Unter anderem deshalb, weil Schallwellen an der Grenze zwischen Wasser und Luft brechen. Die vermeintlich einzigartige Fähigkeit des Menschen, Fremdsprachen zu lernen und zu verstehen, gibt es dagegen auch im Tierreich. Der Trauerdrongo etwa, ein afrikanischer Sperlingsvogel, kann Alarmrufe von etwa 50 verschiedenen anderen Tierarten imitieren. Wenn er wie ein Erdmännchen ruft, das seine Artgenossen vor einer Schlange warnt, oder wie ein aufgeregter Kronenkiebitz, flüchten die alarmierten Tiere und lassen dabei ihr Futter fallen. Das frisst dann der sprachbegabte Vogel.

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