Süddeutsche Zeitung

"Flaggschiff"-Projekt:EU will eine Milliarde Euro für Quantentechnologie ausgeben

  • In einem Dokument der EU-Kommission wird ein neues Forschungsprojekt zur Quantentechnologie angekündigt.
  • Für die Erforschung der "zweiten Quantenrevolution" sollen Wissenschaftler rund eine Milliarde Euro erhalten.
  • Ähnliche Großvorhaben wie das "Human Brain Project" waren in die Kritik geraten. Die Initiatoren des neuen Vorhabens wollen aus den Fehlern lernen.

Von Kai Kupferschmidt

Die Revolution wird im Nebensatz angekündigt: Eine Milliarde Euro solle in den nächsten Jahren in ein Mega-Forschungsprojekt zur Quantentechnologie gesteckt werden, schreibt die EU-Kommission da. Das Flaggschiff-Projekt soll Europas Beitrag zur "zweiten Quantenrevolution" sein, die eines Tages etwa Quantencomputer hervorbringen könnte, heißt es aus der Kommission. Das Dokument war bereits am Dienstag veröffentlicht worden, aber erst ein Bericht des Fachblatts Nature hatte für Aufmerksamkeit gesorgt.

Wie genau das Projekt aussehen soll, ist noch unklar. Die Europäische Kommission bereite die Initiative zurzeit vor und plane einen Start 2018, sagt eine Sprecherin. Forscher aus der ganzen EU sollen daran zusammenarbeiten. Ein Teil des Geldes wird voraussichtlich von der EU-Kommission kommen, ein Teil von Mitgliedsländern und Industriepartnern.

Kritik am bestehenden "Human Brain Project"

Die leise Ankündigung steht in krassem Kontrast zu dem Wirbel, der um die beiden bereits laufenden Flaggschiff-Projekte gemacht wurde. 2014 waren aus Dutzenden Bewerbungen zwei Milliarden-Euro-Projekte ausgewählt worden: Eines erforscht das vor wenigen Jahren entdeckte Material Graphen, das aus einer einzigen Lage von Kohlenstoffatomen besteht und etwa als Energiespeicher oder im Flugzeugbau Anwendung finden könnte. Das andere, das Human Brain Project, war angetreten, das menschliche Gehirn im Computer zu simulieren und hatte unter anderem damit geworben bei der Entwicklung neuer Medikamente gegen Alzheimer und andere Leiden helfen zu können.

Doch die Aufmerksamkeit war damals auch nach hinten losgegangen. Das Human Brain Project wurde massiv kritisiert: Die Ziele seien unrealistisch, das Management undurchsichtig. Nachdem hunderte Forscher mit einem Boykott gedroht hatten, wurde das Projekt umstrukturiert, der Hirnforscher Henry Markram, der als Visionär galt, wurde entmachtet. Man habe aus dem Ärger gelernt, sagt der Quantenphysiker Tommaso Calarco von der Universität Ulm. "Wir wollten nicht so starten, wie sie gestartet sind."

Hoffnung auf neue Erfindungen

Stattdessen hatten Calarco und andere Forscher ein "Quantenmanifest" entworfen, das inzwischen von mehr als 3000 Forschern aus Universitäten und Unternehmen unterzeichnet wurde. Darin fordern sie ein Milliarden-Euro-Programm, damit die EU in der "zweiten Quantenrevolution" nicht abgehängt wird. Als erste Quantenrevolution bezeichnen Forscher die Entdeckung der seltsamen Regeln, die auf der Ebene der Elementarteilchen gelten, etwa dass Lichtwellen sich mitunter wie Teilchen verhalten und Teilchen wie Wellen.

Die Erkenntnis trieb die Entstehung von Laser, Transistor und Magnetresonanztomograph. Bei der zweiten Quantenrevolution gehe es nun darum, gezielt einzelne Quantensysteme, etwa ein einzelnes Photon oder Atom, zu manipulieren. Das könnte etwa zu genaueren Uhren, ultrasensiblen Sensoren und sicher verschlüsselten Nachrichten führen. Ein langfristiges Ziel sind laut Quantenmanifest neuartige Computer, die komplexe Rechenprobleme deutlich schneller lösen könnten. Außerdem wollen die Forscher Interaktionen auf subatomarer Ebene besser simulieren, um so etwa die Eigenschaften neuer Materialien vorhersagen zu können.

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