Wo auch immer Charles McCombie hingeht, warten besorgte Menschen. Sie tragen Schilder, sie brüllen in Megafone. Sie haben Angst vor dem, was McCombie zu ihnen bringen will, irgendwann einmal: Atommüll. Der britische Atomphysiker sucht weltweit nach passenden Orten für nukleare Endlager. Seit 35 Jahren berät der Experte Regierungen in dieser Frage. Für die Dokumentation "Die Reise zum sichersten Ort der Erde" hat der Schweizer Regisseur Edgar Hagen den Experten begleitet.
Die Bilder, die auf der Reise um die Welt entstanden, sind eindrucksvoll: Nächtliche Großeinsätze gegen Castor-Gegner in Deutschland. Indianer, die im amerikanischen Westen um einen heiligen Berg trauern, der zur radioaktiven Müllkippe werden soll. Castoren, die scheinbar ohne Ziel zwischen Ländern hin- und hergeschoben werden. Der Film macht schnell klar: Ob in der Wüste Gobi, im Outback Australiens oder tief unter den Alpen - einen perfekten Aufbewahrungsort für Atommüll zu finden, ist eine Illusion.
Wohin mit den Fässern? Die Suche nach einem atomaren Endlager gestaltet sich schwierig.
(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)SZ.de: Sie haben den Atomphysiker Charles McCombie begleitet, der seit 35 Jahren ein Endlager für radioaktiven Abfall sucht, einen absolut sicheren Ort - ohne erfolg. Dennoch gibt McCombie nicht auf. Was macht ihn so optimistisch?
Edgar Hagen: Er geht davon aus, dass sich niemand mehr um den Atommüll kümmern würde, sobald die Atomenergie einmal gestoppt ist. Das ist für ihn die Motivation hinter der Endlagersuche. Aus der Sicht eines Atomenergie-Gegners heißt das: Man versucht nur eine Lösung zu finden, um die Atomenergie weiter betreiben zu können.
Andererseits steckt da natürlich ein Funken Wahrheit drin: Wer wird sich noch darum kümmern, wenn das keine Energiequelle mehr ist? Ist es für junge Menschen attraktiv, Nuklearingenieur zu werden mit der Perspektive, sich nur um die Entsorgung zu kümmern? Ich glaube, das kann attraktiv sein, aber es verlangt den Leuten schon einiges ab. Und das wird auf uns zukommen.
Atomphysiker Charles McCombie ist seit 35 Jahren in schwierigster Mission unterwegs: Er sucht weltweit Standorte für Atommüllendlager.
(Foto: W-Film)Wie beurteilt McCombie die Risiken der Kernenergie?
McCombie ist in der Zeit groß geworden, in der Reaktorforschung für die schnellen Brüter (zur Anreicherung von Plutonium, Anm. d. Red.) betrieben wurde. Die Nukleartechniker sind davon ausgegangen, dass man die nächsten Tausend Jahre damit bestreiten könnte, in einer Art Perpetuum Mobile. Es stellt sich langsam raus, dass es nicht so ist. Es funktioniert so nicht - diese Abfälle sind da und die Risiken enorm. Wenn etwas passiert, sind die Auswirkungen für die Gesellschaft riesig.
Trotzdem bleibt der Mann optimistisch.
Er glaubt, was er sagt. Wir waren in einer Art Spannung, sind von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgegangen.Unsere Vereinbarung bei der Reise war, wir machen einen fairen Kampf. Ich wusste, dass seine Suche nicht hinhauen kann. Ich glaube aber, dass wir ein Gespräch eröffnen müssen über diese Gräben hinweg. Diese Nuklearwelt ist so zubetoniert, um sich vor der Gegnerschaft zu schützen. In der Entsorgungsfrage ist das ein Riesenproblem. Als ich den Film gemacht habe, hatte ich den Eindruck, dass mit die besten Leute in der Entsorgungsfrage bei den Gegnern sitzen. Die setzen sich damit auseinander, weil sie überzeugt davon sind, dass man sich damit auseinandersetzen muss. Die machen das nicht als Job für vier oder sechs Jahre, die machen das lebenslang. Bei den Leuten in Gorleben hat sich zum Beispiel sehr viel Kompetenz aufgebaut - und diese Kompetenz sollte man nicht geringschätzen.
Atomindustrie und Politiker reden nicht mit den Gegnern?
In Deutschland gibt es die Endlager-Kommission, sie berät, wie man die Suche nach einem Endlager neu aufstellt. Die Umweltverbände haben lange gesagt, wir bleiben da draußen. Bei ihrem Widerstand geht es um Gorleben - denn diesen Standort hat die Politik nicht aufgegeben, man hält ihn auf dem jetzigen Stand. Man müsste versuchen, den Gegnern hier entgegenzukommen, ihre Kompetenz mit an Bord zu ziehen. Stattdessen glaubt man immer noch, dass man das durchkriegt.
Wenn einige Umweltverbände sich dann aber Gesprächen verweigern, ist das nicht auch eine vertane Chance?
Sie sind ausgestiegen, weil Gorleben eine erzwungene Geschichte ist. Das muss man verstehen. Da wurde der Bevölkerung etwas aufgedrängt. Man hat geglaubt, der Salzstock wäre eine sichere Umgebung, aber so ist es nicht. Im Film zeigen wir einen Salzstock in Mexiko, der ebenfalls als Endlager diskutiert wird. Da wird nebenan nach Öl gebohrt. Überall wo Salz ist, sind auch Rohstoffe. Das sind Gegenden, auf die man irgendwann später wieder zurückkommen wird. Ich verstehe die Gegner, wenn sie sagen, das ist nicht akzeptabel.
Sie haben unterschiedliche Protestkulturen im Film porträtiert - in Deutschland Menschen, die sich an Gleise ketten, in Japan Bürger mit Megaphonen, in Australien Proteste von Fahrradfahrern. Gab es Gemeinsamkeiten zwischen diesen Protesten?
Die Gemeinsamkeit ist die Kompetenz, die sich aufgebaut hat. Die Leute beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit der Atomenergie. Das ist eigentlich ein Versuch, das Schweigen zu brechen, das uns von der Atomindustrie auferlegt wird. Es ist kein guter Weg, nicht über diese Gefahren zu sprechen. Es ist keine gute Idee, über Fukushima nicht mehr zu sprechen. Für Jahrzehnte wird das Folgen haben, was da passiert. Das ist für mich die Gemeinsamkeit der Gegnerschaft: dass da wirklich Leute sind, die sich damit beschäftigen.
McCombie in der britischen Aufbereitungsanlage Sellafield
(Foto: W-Film)Am interessantesten fand ich Nevada. Dor bezahlt der Staat teilweise die Gegner, weil sich der Staat Nevada gegen das Endlager gestellt hat. Der Staat hat Leute angestellt, um eine Opposition gegen das Yucca Mountain-Projekt aufzubauen. Dort hat McCombie mir übrigens die Gegner als Ansprechpartner vorgeschlagen, das war sehr aufrichtig von ihm.