Süddeutsche Zeitung

Fields-Medaille:Im Zahlendschungel

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Was den Mathematiker Peter Scholze auszeichnet, der als erst zweiter Deutscher mit dem höchsten Preis seiner Disziplin ausgezeichnet worden ist.

Von Patrick Illinger

Zur höchsten Kunst hochbegabter Menschen gehört es, anderen das Gefühl zu geben, sie könnten in ähnliche Sphären vordringen. Glaubt man seinen Fachkollegen, so ist dies eine der besonderen Fähigkeiten des Mathematikers Peter Scholze. Trotz der extremen Komplexität seines Fachgebiets, der arithmetischen Geometrie, der Verknüpfung von Zahlenkunde und Geometrie, seien Scholzes Publikationen und Vorträge von erstaunlicher Klarheit und Verständlichkeit, sagen sie. Dabei geht es um mathematische Konzepte, die nur wenigen Menschen auf der Welt zugänglich sind. Am Mittwoch wurde Peter Scholze beim Mathematiker-Kongress in Rio de Janeiro zusammen mit drei weiteren Rechenzauberern die höchste Auszeichnung seines Fachs zuerkannt, die Fields-Medaille.

Neben dem 30-jährigen Scholze ehrte die Internationale Mathematische Union in diesem Jahr Akshay Venkatesh von der Stanford University, Alessio Figalli von der ETH Zürich sowie Caucher Birkar von der britischen Cambridge University.

Da Alfred Nobel keinen Preis für Mathematiker gestiftet hatte, wurde in den 1930er-Jahren die Fields-Medaille eingeführt. Sie wird alle vier Jahre vergeben und gilt als dem Nobelpreis mindestens ebenbürtig. Peter Scholze ist nach Gerhard Faltings, der die Medaille 1986 bekam, der erst zweite Deutsche, der damit geehrt wird.

"Ich verstehe nichts so richtig, bis Peter es mir erklärt", sagte ein Mathematiker am legendären Massachusetts Institute of Technology einmal über den jungen Deutschen. Seine Zuhörer führt Scholze zunächst auf bekannten Pfaden ins Thema, um sie dann nach und nach in den Dschungel seines Spezialgebiets mitzunehmen. "Entfernt man sich auch nur ein bisschen vom Pfad, ist man in diesem Dschungel verloren", sagt ein Kollege aus Studienzeiten. Auf solche geistigen Ausflüge nimmt Scholze nicht nur einige wenige Granden seines Fachs mit. "Viele junge Leute haben Zugang zu ihm", sagt Ana Caraiani vom Imperial College in London. So sei es auch in der realen Welt. Bei einer gemeinsamen Wanderung im Hochgebirge habe sich Scholze ausgiebig um das Wohl und die Sicherheit aller gekümmert.

"Vortragstechnik, Klarheit der Ideen und Struktur, das ist, was jeder von ihm lernen kann", sagt Eugen Hellmann, der Scholze bereits seit Studientagen begleitet. Nur fachlich ebenso gut zu werden, könne man nicht lernen. Tatsächlich ist Mathematik vermutlich die Wissenschaft, für die es die größte Portion Begabung braucht. Die radikale Stringenz und die kristallklare Logik sind zwar im Prinzip objektivierbar. Doch der Weg zu einer neuen Erkenntnis, einem neuen Beweis, braucht eben doch Fähigkeiten wie Bauchgefühl und Intuition. Zudem haben die Konzepte der modernen Mathematik eine Komplexität erreicht, die mitunter nur noch wenige Menschen auf dem Erdball durchdringen. Dabei sieht Peter Scholze sein Fach ähnlich, wie Michelangelo die Kunst sah: Die Mathematik sei bereits vorhanden, der Mensch müsse sie sich nur noch durch Nachdenken erarbeiten.

In Scholzes Spezialgebiet kommt man allerdings als mathematischer Laie schon nach wenigen Sätzen ins Schleudern. Er befasse sich eigentlich nur mit Zahlen, beginnt Scholze bescheiden. Doch dann wird klar, dass Zahlen für ihn nicht das sind, was die meisten Zeitgenossen an ihren Fingern abzählen. Zahlen sieht er als "Funktionen auf einem dreidimensionalen Raum". Und die Primzahlen seien in diesem Raum nichts anderes als Knoten. Das gibt eine Ahnung davon, was Mathematiker unter der Verknüpfung von Zahlentheorie und Geometrie verstehen - Scholzes Spezialgebiet.

Das ist die fachliche Verbeugung eines Mathematik-Professors vor einem Mathematik-Genie

"Er hat das Mathematik-Gen", sagt Michael Rapoport, sein Doktorvater, über das Ausnahmetalent. Scholze könne "in kürzester Zeit die Tiefe einer Fragestellung erfassen" und finde schnell eine Lösung. "Ich kann seine Beweise nachvollziehen, wäre aber selbst nie draufgekommen." Wohlgemerkt: Das ist die fachliche Verbeugung eines Mathematik-Professors vor einem Mathematik-Genie.

Tatsächlich gehört es zum Wesen der modernen Mathematik, dass mitunter nicht einmal den Großen der Zunft klar ist, was die Kollegen da erarbeiten. Als der Russe Grigori Perelman im Jahr 2003 den Beweis der berühmten Poincaré-Vermutung vorlegte, eines der "Millennium-Probleme" deren Lösung mit einer Million Dollar Preisgeld belohnt wird, brauchte die Fachwelt lange, um zu verstehen, was Perelman getan hatte. Erst als ein hochrangiger britischer Kollege nachfragte, ob das der gesuchte Beweis sei, schrieb Perelman zurück: "Ja, das ist korrekt."

Peter Scholzes Offenheit wirkt dagegen erfrischend, nicht zuletzt dank seines sympathischen Lächelns. Beim Sprechen macht er mitunter Pausen zwischen Worten, um dann einen Halbsatz so hastig zu sprechen, dass einige Silben verloren gehen. Aber seine Überlegtheit, der Anspruch, seine Zuhörer nicht zu beeindrucken, sondern mitzunehmen, sind spürbar.

So wie große Kunst kaum unter Zeitdruck entstehen kann, so lässt sich auch Scholze bei seiner Arbeit Zeit für Probleme und ihre Lösungen, Zeit für Ausflüge in die mathematischen Sphären, die den allermeisten Zeitgenossen wie Planeten eines fernen Universums vorkommen. Nur einmal habe Scholze es eilig gehabt, erinnert sich eine Kollegin. Das sei 2013 gewesen, kurz vor der Geburt seiner Tochter. Der Mathematiker Scholze ahnte offenbar, dass er in der folgenden Phase wenig Zeit für Mathe haben würde.

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SZ vom 02.08.2018
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