Fernöstliche Heilkunst:Rätselhafte Stiche gegen den Schmerz

Zwei große Studien belegen, dass Akupunktur wirken kann - warum, weiß allerdings niemand.

Von Klaus Koch

Gute Wissenschaft, so lautet eine Forscherregel, wirft mehr neue Fragen auf, als sie beantwortet. Nimmt man das als Maßstab, dann sind die Studien, in denen einige Krankenkassen seit dem Jahr 2000 die Wirksamkeit der Akupunktur erproben, ein großer Erfolg.

Fernöstliche Heilkunst: Wirkt! - warum auch immer.

Wirkt! - warum auch immer.

(Foto: Foto: dpa)

Denn die Ergebnisse der weltweit größten Akupunkturstudien, die gestern auf dem Deutschen Orthopädenkongress in Berlin vorgestellt wurden, zeigen zwar überraschend klar, dass Akupunktur gegen chronische Rücken- und Knieschmerzen besser und dauerhafter wirkt als eine Standardtherapie mit Schmerzmitteln und Krankengymnastik.

5000 Jahre altes Ritual

Ob aber für den Effekt wirklich das 5000 Jahre alte fernöstliche Ritual nötig ist, bei dem die Nadeln bestimmte Punkte treffen, ist zweifelhaft. Die Nadeln haben Schmerzen jedenfalls fast genauso wirksam gelindert, wenn die Ärzte sie nicht in die in der Traditionellen Chinesischen Medizin beschriebenen Akupunkturpunkte gestochen haben.

"Wir können nicht erklären, warum Akupunktur wirkt", sagt Hans-Joachim Trampisch von der Universität Bochum, der Koordinator der Studien. Dennoch haben die Ergebnisse Konsequenzen für Schmerzpatienten. Denn der Anlass für die Studien war die Frage, wer eine Akupunkturbehandlung bezahlen soll.

Bei Patienten ist die Methode beliebt. Bundesweit bietet jeder sechste niedergelassene Mediziner (insgesamt etwa 20000 Ärzte) Akupunktur gegen verschiedenste Erkrankungen an, hinzu kommen viele Heilpraktiker.

Patienten müssen selber zahlen

Im Jahr 2000 weigerte sich aber der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, die Akupunktur zur normalen Kassenleistung zu machen, weil die Wirksamkeit nicht wissenschaftlich bewiesen war. Patienten müssen selbst zahlen.

Eine Ausnahme sind Patienten, deren Ärzte an zwei konkurrierenden Modellversuchen teilnehmen, die die Krankenkassen im Jahr 2000 gestartet haben, um die Akupunktur zumindest bei einigen Problemen zu erproben.

Barmer, DAK und Technikerkrankenkasse finanzieren derzeit ein Paket von mehreren Studien, die an der Charité in Berlin und an der TUMünchen betreut werden: Nach ersten Auswertungen, die Ende 2003 vorgestellt wurden, waren Schmerzpatienten mit der Akupunktur zumindest zufriedener als mit der Standardversorgung.

Die Studien laufen weiter

Das zweite Projekt haben die AOK und viele Betriebs- und Innungskrankenkassen finanziert. Zentrales Element sind vier Studien an jeweils über 1000 Patienten. Gestern nun haben die beteiligten Forscher die Ergebnisse von zwei dieser "Gerac"-Studien ("German Acupuncture Trials", Deutsche Akupunktur-Studien) vorgestellt, an denen Patienten mit chronischen Rücken- oder verschleißbedingten Knieschmerzen teilnahmen.

Zwei weitere Studien an Patienten mit Migräne oder Verspannungskopfschmerzen laufen noch bis nächsten April (www.gerac.de). Alle Arbeiten folgen dem gleichen Konzept: In der Kreuzschmerz-Studie etwa haben sich 1162 Patienten per Los einer von drei Gruppen zuteilen lassen. Ein Drittel erhielt die übliche Schmerzbehandlung, vor allem also Medikamente, Spritzen und Krankengymnastik.

Das zweite Drittel erhielt von ausgebildeten Ärzten innerhalb von zwei bis drei Monaten 10 bis 15 Akupunkturbehandlungen, die sich so weit wie möglich an die chinesische Lehre hielten. Demnach liegen die Akupunkturpunkte auf bestimmten Körperlinien (Meridianen). Zusammen mit internationalen Experten hatten die Forscher "obligate" Körperpunkte festgelegt, die bei jedem Patienten genadelt werden mussten.

Nur ein Placebo-Effekt?

Außerdem gab es "individuelle" Akupunkturpunkte, die der Arzt frei wählen durfte. Schließlich gab es noch eine dritte Gruppe von Patienten: Diese Freiwilligen wurden - ohne dass sie dies wussten- zwar in den gleichen Körperregionen gestochen, aber eben nicht in die festgelegten Akupunkturpunkte.

Das speziell für die Studie entwickelte Verfahren "sollte sicherstellen, dass Patienten die Gerac-Akupunktur nicht von einer traditionell-chinesischen Akupunktur unterscheiden konnten", sagt der Orthopäde Albrecht Molsberger aus Düsseldorf, der das Konzept entwickelt hat.

Das Ergebnis war sowohl für Schulmediziner als auch für Akupunkteure eine Überraschung: Sechs Monate nach Ende der Behandlung ging es zwei bis drei von zehn mit der Standardtherapie behandelten Patienten deutlich besser, unter den Akupunktierten aber waren es vier bis fünf von zehn.

Schwache Schulmedizin

"In der zweiten Studie an 1039Patienten, die unter Knieschmerzen litten, war die Akupunktur ebenfalls fast doppelt so wirksam wie die übliche Therapie mit Schmerzmittel wie Diclofenac oder Vioxx. Für Molsberger, der selbst Akupunktur praktiziert, "war das ein sehr erfreuliches Ergebnis".

Spannend" seien aber die Fragen, die sich aus dem Vergleich der beiden Akupunktur-Varianten ergeben. Denn die Gerac-Nadelbehandlung war fast ebenso wirksam wie die echte.

"Wir sind davon ausgegangen, dass die Gerac-Variante eine um zehn Prozentpunkte geringere Wirkung hat als echte Akupunktur", sagt Molsberger: Tatsächlich waren es dann lediglich drei Prozentpunkte.

Hauptsache ein Stich, egal wohin

Über die Erklärung für das überraschende Ergebnis sind sich die Beteiligten nicht einig: "Offenbar ist es für die Wirkung der Akupunktur entscheidend, dass ein Patient überhaupt gestochen wird, nicht wohin", sagt Trampisch.

Eine mögliche Erklärung wäre, dass nicht die Nadeln die lindernde Wirkung haben, sondern die damit verbundene Erwartung der Patienten den Unterschied auslöst. Denn es ist bekannt, das auch Scheinmedikamente Schmerzen lindern können.

Die Gerac-Forscher haben nun weitere Analysen ihrer Daten geplant, von denen sie sich Aufschluss erhoffen. Molsberger bezweifelt aber, dass die Wirkung der Nadeln allein auf dem Glauben der Patienten beruht.

Die traditionelle Akupunktur habe in den Studien in allen Fragestellungen leicht besser abgeschnitten als die manipulierte Variante. Das deute darauf hin, dass es tatsächlich besondere Akupunkturpunkte gebe.

Warum wirken Standardtherapien so wenig?

"Wenn wir für ein neues Schmerzmedikament nachgewiesen hätten, dass es fast ohne Nebenwirkungen Schmerzen so viel besser lindert, würde man das feiern", so Molsberger: "Die Frage ist eher, warum die schulmedizinische Standardtherapie so wenig Wirkung hatte."

Weitere Studien sollten nun klären, ob Akupunktur auch bei anderen Gesundheitsproblemen helfe, fordert der Orthopäde. Doch erst einmal ist der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen am Zug. Ende Juli 2005 steht das Thema erneut auf dessen Tagesordnung.

Dann muss sich zeigen, ob das Gremium die Ergebnisse für überzeugend genug hält, Akupunktur für Millionen von Rücken- und Knieschmerzpatienten zur kostenlosen Kassenleistung zu machen.

Bislang verdient der Arzt gut mit

Bei der Abstimmung spielt aber nicht nur die reine Wissenschaft eine Rolle. In dem Gremium stimmen drei "neutrale Mitglieder, sowie je neun Vertreter von Krankenkassen und Ärzten ab. Die Kassen wollten aus Marketinggründen schon lange die Behandlungskosten übernehmen - weil sie wissen, dass die Nadeln bei vielen Mitgliedern beliebt sind.

Bezeichnenderweise hatten die Ärzte daran kein Interesse: Bislang können sie die Behandlung privat in Rechnung stellen. Würde Akupunktur zur Kassenleistung, würde das Honorar im ohnehin pauschal ausgezahlten Praxisbudget untergehen. "Ich wage keine Prognose, wie das Votum ausfällt", sagt Molsberger.

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