Süddeutsche Zeitung

Elementarteilchen:Was die Physik voranbringt

Schon oft wurde die Physik für tot erklärt, aber so schnell sollte man sie nicht abschreiben. Das zeigen auch die jüngsten Experimente zu den exotischen Myonen.

Kommentar von Marlene Weiß

"It ain't over till it's over", heißt eine Redensart, die der Baseball-Spieler Yogi Berra geprägt hat. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Der Satz passt momentan auch ganz gut auf die Physik, deren Ende in den vergangenen Jahren ziemlich oft verkündet wurde. Aber nun zeigen die Ergebnisse der Myon-g-2-Kollaboration: Allzu eilig sollte man es nicht haben mit dem Ende, noch hat niemand abgepfiffen.

Zugegeben, man konnte zuletzt wirklich ganz schwermütig werden und den glorreichen Zeiten im 20. Jahrhundert hinterhertrauern, als das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik entwickelt wurde. Die Teilchen, die Forscher damals vorhersagten, wurden eins nach dem anderen mit Beschleunigern gefunden (manchmal auch schon vor der Vorhersage). Der Siegeszug endete mit der Entdeckung des Higgs-Bosons am Teilchenbeschleuniger LHC im Jahr 2012. Damit war der Teilchenzoo komplett, und seither wissen Physiker nicht mehr so recht, wonach sie suchen sollen.

Die Reise zur Erkenntnis ist noch lange nicht beendet. Zum Glück!

Statt der ersehnten Hinweise auf neue Physik wurde fast überall nur wieder und wieder festgestellt, worüber sich längst niemand mehr freuen konnte: Dass zwischen das bekannte Standardmodell und die Realität kein Blatt Papier passt. All die schönen Ideen, wie man das unordentliche und unperfekte Standardmodell vereinfachen könnte, ließen sich partout nicht bestätigen, ganze Theoriegebäude, bezugsfertig, standen als Luftschlösser da.

In diese Gemengelage hinein kam nun die lange erwartete Messung der Myon-g-2-Kollaboration. Das am Fermilab im US-Bundesstaat Illinois angesiedelte Experiment misst das "anomale magnetische Moment", das das Myon, ein mit dem Elektron verwandtes Teilchen, auf dem Weg durch ein Magnetfeld zum Wackeln bringt. Und die neuen Daten bestätigen nun frühere Beobachtungen: Der gemessene Wert ist minimal größer als die theoretische Vorhersage, die Myonen wackeln nicht so, wie sie sollten. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Unterschied reiner Zufall ist, beziffern die Physiker auf eins zu 40 000.

Noch ist völlig unklar, wie es zu der Diskrepanz kommt. Womöglich liegt der Unterschied daran, dass die theoretische Berechnung nicht stimmt; mit einer neuen Methode kommen andere Forscher auf einen Wert, der mit der Messung vereinbar wäre. Was aber wieder die Frage aufwerfen würde, warum die beiden Berechnungen nicht übereinstimmen. Irgendwo passt da etwas nicht zusammen.

Es sind solche Ergebnisse, die die Physik immer wieder vorangebracht haben; Messungen, die Fragen aufwerfen, Daten, die zunächst keiner versteht. Sie zeigen, dass die Reise zur Erkenntnis noch lange nicht beendet ist. Mag sein, dass vorerst kein neues Teilchen in Sicht ist. Na und? Man wirft ja auch nicht der Mathematik vor, dass seit Erfindung der Zahlen nichts mehr passiert sei.

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