Süddeutsche Zeitung

Farbwahrnehmung:Rot ist die Liebe?

Schwarz für Trauer, Gelb für Freude: Weltweit assoziieren die meisten Menschen die gleichen Emotionen mit Farben. Was hinter dieser universellen Form der Wahrnehmung steckt.

Von Sebastian Herrmann

Manchmal steigt der Druck im Stresskessel in schmerzhafte Bereiche. Es braucht dann nicht mehr viel, bis die emotionalen Überdruckventile zischen und sich ein kleiner Zornesausbruch seinen Weg ins Freie bahnt. Wer weiß, was der Anlass für den Ausbruch war: Vielleicht ist beim Heimwerken die Schraube zum gefühlt 100. Mal heruntergefallen, obwohl es doch eigentlich ganz schnell gehen sollte, dieses lästige Dings zu reparieren. Vielleicht kommentiert der Partner dieses Missgeschick auch noch in hämisch-vorwurfsvollem Ton. Oder die Kinder trampeln in die Szene, bringen alles durcheinander und bewerkstelligen, dass die Schraube auch noch verloren geht.

Egal, was es ist: In dieser Situation sieht man schnell mal rot. Die Farbe des Zorns, der Wut und der Raserei ist eindeutig Rot. Aber sehen nur die Menschen in Deutschland und anderen europäisch geprägten Ländern sprichwörtlich rot, wenn sie ausflippen, oder handelt es sich weltweit um die Farbe des Wutanfalls? Verbinden sie überhaupt Wut und Zorn mit dieser Farbe oder denken sie stattdessen an Gelb, Blau oder Violett?

Einige regionale Unterschiede gibt es: Viele Griechen denken etwa bei Lila an Traurigkeit

Offenbar assoziieren Menschen weltweit sehr ähnliche Gefühle mit den jeweils gleichen Farben. Vermutlich existiere da eine universelle menschliche Weise, Farben mit Gefühlen in Verbindung zu bringen, schreibt ein internationales Team von Psychologen um Domicele Jonauskaite von der Universität Lausanne im Fachjournal Psychological Science. Natürlich existierten Unterschiede, so die Psychologen, die von linguistischen und geografischen Besonderheiten geprägt würden. Aber insgesamt diagnostizieren die Wissenschaftler nach Versuchen mit 4598 Probanden in 30 Ländern der Welt, dass es so etwas wie ein globales Assoziationsmuster von Farben und Emotionen gebe.

In den überaus meisten Ländern werde zum Beispiel die Farbe Rot mit Wut und Liebe verknüpft. Und darüber hinaus waren sich die meisten Probanden einig, dass Rot und Schwarz die Farben mit dem höchsten emotionalen Potenzial seien. Braun, so eine andere globale Übereinstimmung, sei hingegen die Farbe, welche die schwächsten Gefühle hervorrufe. Pink, Grün, Türkis und Schwarz weckten in den verschiedenen Ländern besonders ähnliche Assoziationen, während Lila und Gelb eine verhältnismäßig breite Streuung an damit verknüpften unterschiedlichen Gefühlen auslösten.

In Griechenland wird mit Lila Verblüffendes assoziiert

Im Zusammenhang mit Schwarz nannten Probanden weltweit sehr häufig Traurigkeit, Angst oder Hass; Pink verbanden sie mit Freude, Liebe oder Vergnügen; Grau mit Traurigkeit und Enttäuschung; Gelb mit Freude. Länderspezifische Eigenheiten waren zum Beispiel, dass Gelb in Ägypten mit keinerlei positiven Emotionen verknüpft wurde oder viele Griechen Lila mit Traurigkeit in Verbindung brachten, während fast überall sonst Menschen die Farbe mit guten Gefühlen assoziieren.

Die Frage nach der emotionalen Qualität von Farben ist keineswegs trivial. Zunächst handele es sich ja um zwei vollkommen "verschiedene Dinge", wie die Psychologen schreiben: Die Wahrnehmung von Farbe wird durch die Wellenlänge von Licht bestimmt; und Gefühle werden von Neurotransmittern ausgelöst und informieren einen Menschen quasi darüber, ob etwas irgendwie gut oder schlecht ist oder einen anderen Wert besitzt. Wenn also Farben mit Gefühlen in Verbindung gebracht werden, gilt das dann für alle Menschen auf die gleiche Weise? Dies wäre vermutlich der Fall, wenn Farb-Gefühl-Verknüpfungen durch Umwelterfahrungen erlernt werden und Farben mit spezifischen emotionalen Situationen von evolutionärer Bedeutung verknüpft sind. Die andere Möglichkeit ist, dass in jeder Kultur durch Sprache, Sitten, Gebräuche und Legenden eigene, spezifische Verknüpfungen erlernt werden.

"Beide Sichtweisen werden oft als Gegensätze betrachtet", berichten die Psychologen um Jonauskaite, "aber vermutlich ergänzen sie sich eher." Geteilte Erfahrungen der Menschheitsgeschichte sorgten also dafür, dass so etwas wie eine globale Farb-Gefühl-Gemeinsamkeit existiere. Und die Sprache sowie die Kultur würzten allenfalls noch ein paar wenige Besonder- und Eigenheiten in die emotionale Farbpalette der Menschen.

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