Süddeutsche Zeitung

Familienleben:Oma ist die Beste

Großmütter sind für das Wohlergehen ihrer Enkel wichtig. Doch es gibt Unterschiede: Omas mütterlicherseits spielen eine andere Rolle als die väterlicherseits.

Tina Baier

Wissenschaftlich betrachtet sind Großmütter ein Kuriosum. Nach der Evolutionstheorie versucht jedes Lebewesen, möglichst viele Nachkommen zu bekommen, um so viele eigene Gene in die nächste Generation zu retten wie möglich.

Wenn Kinderkriegen aus Altersgründen nicht mehr funktioniert, scheint das Leben aus biologischer Sicht auch keinen Sinn mehr zu haben. Tatsächlich sterben die meisten Tiere, kurz nachdem sie unfruchtbar geworden sind. Bei Menschen, bei einigen Affenarten und bei Elefanten ist das aber anders.

Welchen biologischen Sinn das haben könnte, haben Primatenforscher jetzt bei wilden Japanmakaken beobachtet (Primates, online). Im ersten Fall kümmerte sich ein 24 Jahre altes Weibchen, genannt GM1, um ihre zwei Monate alte Enkelin, als die Mutter eine Woche lang spurlos verschwand.

Die Oma, die schon seit sechs Jahren keine Kinder mehr zur Welt gebracht hatte, kraulte das Baby und ließ es sogar an ihrer Brust nuckeln. Tags trug sie ihre Enkelin auf dem Rücken, wenn sie den Anschluss an die Familie zu verlieren drohte. Nachts kuschelte sie sie in ihr warmes Bauchfell und bewahrte sie so vor dem Erfrieren.

Als die Mutter nach sechs Tagen zurückkehrte, war das Affenmädchen zwar stark abgemagert, weil aus der Brust der Oma keine Milch mehr gekommen war, hatte jedoch die Zeit ohne Mutter überlebt.

Die Großmutter-Hypothese

Die Beobachtung stützt nach Ansicht der Forscher die so genannte Großmutter-Hypothese. Demnach ist es der biologische Sinn von Omas, bei der Aufzucht der Enkel mitzuhelfen. Vorteil für die Großmutter: Je mehr Kinder ihrer Kinder überleben, umso mehr ihrer eigenen Gene werden weitergegeben.

Der zweite Fall, den die Primatenforscher beschreiben, stützt diese Überlegungen ebenfalls. Die Wissenschaftler beobachteten, wie die 23 Jahre alte Oma GM2 ihre 14 Monate alte Enkelin umsorgte, nachdem die Mutter ein zweites Junges geboren hatte und stillen musste.

Die Großmutter knuddelte das Kleinkind, trug es herum und erlaubte ihm ebenfalls an ihrer Brust zu nuckeln. Nach etwa einem Monat kam sogar Milch. Die Forscher glauben, dass die alte Dame vor allem das psychische Bedürfnis ihrer Enkelin nach Nähe befriedigte.

Womöglich war der Oma-Einsatz überlebenswichtig für das Kleinkind. Manche Makaken verfallen nach der Geburt eines jüngeren Geschwisters in Depressionen.

Auch beim Menschen gibt es Untersuchungen, die die Großmutter-Hypothese untermauern. In einer dieser Studien untersuchten Wissenschaftler die Lebensumstände kanadischer und finnischer Familien im 18. und 19. Jahrhundert.

Mehr Kinder dank Oma

In Familien, in denen eine Oma lebte, hatten deren Söhne und Töchter im Schnitt mehr Kinder und mehr Enkel erreichten das Erwachsenenalter als ohne Oma. Dabei war gleichgültig, wie arm oder reich die Familien waren. Frauen mit einer Oma in greifbarer Nähe bekamen durchschnittlich zweieinhalb Jahre früher ihr erstes Kind und die Abstände zwischen den Geburten waren kürzer.

Die Wissenschaftler errechneten sogar den "Fitnessgewinn" für die helfende Großmutter: Demnach gewinnt sie alle zehn Jahre, die sie über das 50. Lebensjahr hinaus lebt, zwei Enkel dazu.

Allerdings ließ sich dieser positive Effekt nur für Omas mütterlicherseits nachweisen. Bei Großmüttern väterlicherseits war er nicht erkennbar. In einer anderen Untersuchung an Familien der ostfriesischen Region Krummhörn hatten die Schwiegermütter sogar einen negativen Effekt auf das Wohlergehen ihrer Enkelkinder. Lebten sie in der Nähe, stieg das Sterberisiko der Babys auf das Zweieinhalbfache an.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2009/gal
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