Fall Amanda Knox:Auf Messers Schneide

Ein Messer mit winzigen DNS-, aber ohne Blutspuren gilt als entscheidendes Beweisstück im Fall Amanda Knox. Der Prozess wirft erneut die Frage auf: Wie beweiskräftig sind die Erbgut-Schnipsel?

Katrin Blawat

Ein Küchenmesser, 30 Zentimeter lang, und ein abgebrochener BH-Verschluss - von diesen beiden Gegenständen könnte die Zukunft von Amanda Knox, 22 Jahre, und Raffaele Sollecito, 25 Jahre alt, abhängen. Nach einem weltweit beachteten Gerichtsprozess hat ein italienisches Schwurgericht vor zwei Wochen die Amerikanerin Knox zu 26 Jahren und ihren damaligen Freund Sollecito zu 25 Jahren Haft verurteilt. Ihnen wird ein brutales Verbrechen vorgeworfen. Nach Ansicht des Gerichts haben die beiden jungen Leute zusammen mit einem dritten, bereits verurteilten Mann, vor zwei Jahren im italienischen Perugia Knox' Mitbewohnerin Meredith Kercher vergewaltigt und ihr anschließend die Kehle durchgeschnitten.

Amanda Knox im Gerichtssaal in Perugia.

Mörderin oder Justizopfer? Amanda Knox im Gerichtssaal in Perugia.

(Foto: Foto: AP)

Als zentrales Beweisstück in diesem Indizienprozess führte die Staatsanwaltschaft unter anderem Erbgut-Spuren an, die Ermittler an dem Küchenmesser und dem BH-Verschluss des Opfers gefunden hatten. Ein paar Milliardstel Gramm DNS an diesen Gegenständen haben die Diskussion aufleben lassen, wie verlässlich DNS-Spuren als Indizien in Kriminalfällen sind.

Im Fall Knox zweifeln nicht nur die Anwälte der Studentin an der Aussagekraft der Erbgut-Spuren. Inzwischen haben auch einige am Prozess unbeteiligte Wissenschaftler Skepsis geäußert, allen voran der Molekularforensiker Greg Hampikian von der amerikanischen Boise State University in Idaho. Im Mittelpunkt der Diskussion steht das Küchenmesser, das Ermittler in der Küche von Raffaele Sollecito sicherstellten. Die hochempfindlichen Analysegeräte eines Forensiklabors entdeckten am Griff des Messers Spuren des Erbguts von Amanda Knox sowie DNS-Spuren an der Klinge, die wohl vom Opfer stammen.

Knox habe das Messer als Mordwaffe benutzt, schlussfolgerte die Staatsanwaltschaft, und das Gericht folgte bislang dieser Auffassung. Knox' Anwälte hingegen argumentieren, das Messer passe wegen seiner Größe weder zu einem blutigen Abdruck auf dem Bett noch zu zwei der drei Wunden, an denen das Opfer starb. Zudem konnte auch ein hochempfindlicher Test mit der Substanz Tetramethylbenzidin kein Blut an der Klinge nachweisen. War das Messer also überhaupt die Tatwaffe - die bis heute nicht mit letzter Sicherheit identifiziert wurde? Aufschluss darüber sollte ein genetischer Fingerabdruck bringen.

Um einen solchen Abdruck zu erstellen, vervielfältigt man Abschnitte der DNS, die am Tatort oder auf verdächtigen Gegenständen gefunden wurden. Für die Identifizierung benutzt man Abschnitte des Erbguts, die keine konkrete Körperfunktion steuern, aber sich bei jedem Menschen in einem einzigartigen Muster wiederholen. Dieses Muster macht man im letzten Schritt in einem Profil sichtbar, das grafisch dargestellt wie das Höhenprofil einer Berglandschaft mit Spitzen und Tälern aussieht. Anhand der Position und Höhe der Spitzen lässt sich das Profil meistens so genau zuordnen, dass man damit eine einzige Person aus Milliarden anderer Menschen herauspicken könnte.

Gelangten die DNS-Spuren erst im Labor an den BH?

Zwar reichen heute wenige Milliardstel Gramm des Erbguts, um einen genetischen Fingerabdruck zu erstellen. Doch die Erbgut-Menge an der Messerklinge im Mordfall Kercher war selbst für die empfindlichen Laborgeräte zu klein, um eine eindeutige Aussage zu liefern. 21 der insgesamt 29 Spitzen des DNS-Profils lagen unterhalb eines Wertes, den viele Labore als Schwelle für ein verlässliches Ergebnis ansetzen.

"Das Profil ist durch die geringe Höhe der Spitzen sicherlich nur bedingt aussagekräftig", sagt Burkhard Rolf, Experte für DNS-Spuren im Münchener Forensiklabor Medigenomix. Üblich wäre es, das Profil ein zweites Mal zu erstellen. "So würde ich in meinem Labor vorgehen, gerade bei einem Tötungsdelikt", sagt Rolf. Doch eine zweite Analyse der Messerspuren ist nicht mehr möglich, weil bereits im ersten Durchgang die gesamte DNS verbraucht wurde.

Der US-Forscher Greg Hampikian interpretiert die Laborergebnisse so: "Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keinen glaubhaften Beweis dafür, dass das Messer in Zusammenhang mit dem Mord an Meredith Kercher steht." Weil das DNS-Profil unscharf sei, könnte das Erbgut des Opfers auch erst im Labor durch schludriges Hantieren der Mitarbeiter an die Klinge gelangt sein, argumentieren Hampikian und seine Kollegin Elizabeth Johnson. Oder Kerchers DNS an der Klinge und Knox' Erbgut am Griff des Messers könnten schon vor dem Mord zufällig dorthin gelangt sein, zum Beispiel durch eine herabgefallene Hautschuppe. Schließlich hätten beide Frauen oft bei Raffaele Sollecito, dem Besitzer des Küchenmessers, gekocht.

Streit gibt es auch um eine weitere DNS-Spur an einem abgebrochenen BH-Verschluss des Opfers. Dass sich dort Erbgut-Spuren von Raffale Sollecito fanden, wertete die Staatsanwaltschaft als Indiz für dessen Mitschuld. Allerdings belegen Videoaufnahmen und die Aussagen der leitenden Forensikerin Patrizia Stefanoni, dass die Ermittler den Verschluss erst in einem zweiten Durchgang der Spurensicherung mehrere Wochen nach dem Verbrechen vom Boden aufsammelten und er zuvor an anderer Stelle im Zimmer gelegen hatte. Da sich zudem am übrigen BH weder Erbgut von Sollecito noch von Knox befand, vermutet Hampikian, dass die DNS-Spur durch Verschmutzung während der Spurensicherung oder im Labor an den BH-Verschluss gekommen ist.

Die Forensikerin Stefanoni bestreitet diese Möglichkeit und sagte der italienischen Presse: "Angesichts der Tatsache, dass DNS nicht fliegen kann, ist es unmöglich, dass die Probe verändert wurde."

Knox und Sollecito bestreiten den Mordvorwurf nach wie vor, doch hat sich Knox während der Vernehmungen in Widersprüche verwickelt. Anfangs beschuldigte sie einen Unschuldigen, weshalb sie an Glaubwürdigkeit verloren haben dürfte. Beide nennen den in einem getrennten Verfahren bereits zu 30 Jahren Haft verurteilten dritten Beschuldigten Rudy Guede als Alleintäter. Die Beweise gegen ihn wogen schwerer.

Welche Rolle die DNS-Spuren für die Verurteilung von Knox und Sollecito spielten, wird erst mit Begründung des Gerichts in spätestens zehn Wochen bekannt. Dann können Knox und Sollecito auch verlangen, dass die Verhandlungen erneut aufgenommen werden.

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