Fake Science:Forscher dürfen die Pseudo-Publikationen nicht kleinreden

Mikroskop

Der kritische Blick ist wichtig: Wissenschaftler sollten die Debatte um Raubverlage nicht kleinreden.

(Foto: dpa)

Unter dem Deckmantel der Wissenschaft verbreiten Raubverlage jede Menge interessengeleiteten Unsinn. Das geht die seriöse Forschung sehr wohl etwas an.

Kommentar von Patrick Illinger

Gut, dass dieser Schlamassel endlich aufgeklärt wird, sagen die einen. Ach was, sagen die anderen, das sei alles längst bekannt und kein relevantes Problem für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Fest steht: In der Welt der Wissenschaft hat das Thema "Raubverlage" und der von diesen im wissenschaftlichen Gewand publizierte Unsinn mächtig für Wirbel gesorgt. Die Reaktionen auf entsprechende Recherchen von NDR, WDR und SZ könnten kaum unterschiedlicher ausfallen. Manche Wissenschaftler und Forschungsorganisationen rufen zum Kampf gegen den blühenden Unsinn auf. Erschreckend viele bemühen sich jedoch, das Problem kleinzureden.

Der Anteil räuberischer Publikationen am Gesamtvolumen liege in Deutschland zwischen 0,1 und einem Prozent twitterte die Max-Planck-Gesellschaft. Und ein Evolutionsbiologe ergänzte, die Unsinns-Journale seien in einschlägigen wissenschaftlichen Datenbanken ja gar nicht zu finden. Beides mag stimmen, ebenso wie viele weitere abwiegelnde Argumente aus der Wissenschaft. Doch die Abwehrhaltung enthält einem Grundfehler. Sie beschränkt sich auf die Binnensicht.

Innerhalb der Wissenschaft mag es ja sein, dass Raubjournale eine ähnliche Geringschätzung erfahren wie ein Anzeigenblättchen in der Redaktion einer Tageszeitung. Es mag ja sein, dass die "Papergräber" der Raubverlage in Fachkreisen auf Verachtung stoßen, zumal die übliche Messgröße für die Bedeutung einer Publikation, der impact factor, meist lächerlich ist. Unvorstellbar ist auch, dass die Aussagen einer solchen Pseudopublikation je Eingang finden in die Empfehlungen einer renommierten Wissenschaftsakademie - oder gar mit einem Nobelpreis ausgezeichnet werden.

Es geht die Forschung sehr wohl etwas an, wenn unter ihrem Mantel Unsinn verbreitet wird

Doch auf diesen Blickwinkel darf sich die Wissenschaft eben nicht beschränken. Es geht die etablierte Forschung sehr wohl etwas an, wenn unter dem Deckmantel der Wissenschaft massenhaft Unsinn veröffentlicht wird - und sei es noch so abwegiges, wertloses Zeug.

Der kaum mehr durchschaubare Wildwuchs an Raubjournalen bietet paradiesische Möglichkeiten für Betrügereien aller Art. Medizinischer Unsinn bis hin zu nachgerade gefährlichen Therapiemethoden können dort ebenso propagiert werden wie Lügen über den Klimawandel, Vorteile von Suchtmitteln, Verschwörungstheorien oder politische Ideologien jeder Art. Die Welt der Raubverlage bietet eine perfekte Plattform, um interessengeleiteten Unsinn wissenschaftlich aussehen zu lassen. Wenn dann auch nur ein Bruchteil aller seriösen Wissenschaftler - ob aus Versehen oder aus Geltungssucht - im gleichen Journal publiziert, ist die Katastrophe perfekt. Der wissenschaftliche Unsinn steht nun scheinbar gleichwertig neben den Ausführungen eines anerkannten Akademikers. Für jede Talkshow, jeden Stammtisch, jedes Flugblatt, jede Sonntagsrede ist das gut genug.

Statt diese Entwicklung zu negieren oder kleinzureden, sollte die Wissenschaft mit aller Kraft helfen, den Irrsinn einzudämmen und die Wissenschaftskompetenz der Öffentlichkeit zu stärken. Dazu gehört es, außerhalb der eigenen Komfortzone und außerhalb der eigenen Fachkreise klare Worte zu sprechen. Dazu gehört es, die Mühen und Rückschläge des empirischen Erkenntnisprozesses transparent zu machen, statt Wissenschaft als unfehlbaren Herstellungsbetrieb ewiger Wahrheiten darzustellen. Je besser Nichtwissenschaftler verstehen, wie gute Wissenschaft entsteht, desto mehr wird das Vertrauen in jene wachsen, die nach diesen Prinzipien arbeiten.

Radikale Transparenz wäre die beste Reaktion

Leider pflegen manche Forscher und Forschungsorganisationen noch immer ein befremdliches, oft bevormundendes Verhältnis zur Öffentlichkeit. Da wird Kritisches möglichst unter der Decke gehalten. Umso größer ist der Schaden, wenn punktuelle Fehlentwicklungen doch an die Öffentlichkeit dringen - seien es Missstände in einem Tierlabor, das Fehlverhalten eines hochdekorierten Forschers oder eben die erschreckende Einsicht, dass jährlich Hunderttausende Schrottpublikationen erscheinen. In allen Fällen wäre radikale Transparenz die beste Reaktion.

Anstoß nehmen viele Wissenschaftler derzeit auch an dem Begriff fake science, den die Medien als Schlagwort für die Recherchen zu Raubverlagen nutzten. Kritiker sehen eine gefährliche Anlehnung an den politisch missbrauchten Kampfbegriff fake news. Doch was sind die allermeisten Publikationen von Raubverlagen anderes als falsche oder gefälschte Wissenschaft? So falsch wie vieles, das in sozialen Medien und von Propagandasendern als news verkauft wird.

Dass man sich einen treffenden Begriff nicht von Ideologen aus der Hand nehmen lassen sollte, zeigten erst vor wenigen Wochen die in Lindau tagenden Nobelpreisträger. Der Kampf gegen fake news war in diesem Jahr offiziell ihr Motto. Es darf vermutet werden, dass die Granden der Wissenschaft diesen Begriff nicht im Sinne Donald Trumps gemeint haben.

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