Süddeutsche Zeitung

Fahrrad:Wundermaschine der Mobilität

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Als das Fahrrad erfunden wurde, mochten viele nicht an das revolutionäre Konstrukt glauben. Heute - 200 Jahre später - scheint sich nicht allzu viel geändert zu haben.

Kommentar von Sebastian Herrmann

Das Fahrrad verbirgt keine Geheimnisse. Die Technik liegt offen vor dem Betrachter, zwei Räder, Rahmen, Lenker, Sattel, eine Kette, einige Zahnräder. Dennoch verknüpft sich damit ein Mysterium: Warum nur hat die Menschheit so ewig gebraucht, um auf die Idee für diese so offensichtliche Konstruktion zu kommen? Das Rad hatten Tüftler schon vor mindestens 5000 Jahren erfunden. Und fortan hockten die Menschen bräsig im Ochsenkarren und fanden, dass die höchste Form der Fortbewegung erfunden sei?

Nein, sie standen so lang auf dem Schlauch, weil es eben doch eine gewaltige kognitive Leistung darstellte, zwei Räder hintereinander statt nebeneinander anzuordnen. So offensichtlich das heute zu sein scheint, so absurd wirkte dieses technische Konzept vor 200 Jahren, als sich der badische Freiherr Karl von Drais mit der Urform des Fahrrads erstmals auf die Straße wagte.

Am 12. Juni 1817 rumpelte also der Freiherr mit unerhört hoher Geschwindigkeit von Mannheim in Richtung Schwetzingen. Er hockte auf einem Laufrad, einer klobigen Version jener Gefährte, auf denen Kleinkinder in der Gegenwart das Radfahren lernen. 12,8 Kilometer legte er auf dieser Jungfernfahrt binnen einer Stunde zurück. Zum Vergleich, eine Postkutsche schaffte damals gute drei Kilometer in der Stunde.

Mehr noch als die Geschwindigkeit irritierte das Publikum der Umstand, dass der Erfinder zwei Räder hintereinander angeordnet hatte. In der Natur existiert dafür kein Vorbild, Drais hatte sich von Schlittschuhläufern inspirieren lassen. Ein neues Wort fand seinen Weg in die Diskussion: Balancierangst. Auch in dieser Wortschöpfung zeigt sich, wie abgedreht die Idee das Fahrrads damals war.

Das Konzept war revolutionär - und schließlich entwickelten Tüftler das klobige Laufrad weiter, bis hin zum Fahrrad in seiner heutigen Form, dem effizientesten aller menschlichen Fortbewegungsmittel. 100 Kilokalorien reichen einem Radler, um etwa fünf Kilometer zurückzulegen. Ein Auto schafft mit dieser Energie allenfalls 85 Meter. In der Stadt ist das Fahrrad auf Strecken bis fünf Kilometer das schnellste Verkehrmittel der Wahl - und es schenkt Fahrern dabei Freiheits- und Glücksgefühle. 30 Prozent der Autofahrten ließen sich durch das Fahrrad ersetzen.

Daher sei an dieser Stelle die Frage erlaubt: Stehen die Menschen schon wieder auf dem Zweirad-Schlauch? Schließlich liegt der Gedanke doch sehr nahe, dass diese Wundermaschine die Mobilität der Zukunft dominieren wird - sie ist umweltfreundlich und im Gegensatz zu Elektroautos ausgereift. Aber diese Gedanken sind wohl schlicht zu offensichtlich, so wie das Fahrrad selbst.

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Quelle:
SZ vom 17.06.2017
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