Forschung:Kapitulation vor der Wissenschaftsfeindlichkeit

Bibliothek Heinrich Heine-Universität

Bald könnte in den Universitätsbibliotheken auch das Journal of Controversial Ideas stehen.

(Foto: Maja Hitij/dpa)

Demnächst soll es eine Fachzeitschrift geben, in der Forscher nur noch anonym publizieren, um sich zu schützen. Ein fatales Zeugnis für das Ansehen der Forschung.

Kommentar von Patrick Illinger

Nun soll es nach Open Access und dem Preprint-Prinzip Arxiv eine weitere Innovation im wissenschaftlichen Publikationswesen geben: das anonyme Veröffentlichen. Eine Gruppe von Akademikern hat soeben das erste wissenschaftliche Journal angekündigt, welches die Namen der publizierenden Wissenschaftler verschweigt. Die Gründe für das Journal of Controversial Ideas sind einerseits nachvollziehbar, andererseits erschreckend: Das neue Journal soll es Forschern ermöglichen, stress- und angstfrei Studien und Thesen zu veröffentlichen, die aus welchem Grund auch immer Empörung oder Aggression auslösen können.

Wer Unterschiede zwischen den Geschlechtern beschreibt, muss mit heftigen Attacken rechnen

So weit ist es also gekommen? Dass Wissenschaftler ihre Namen verschweigen, um sich gegen Attacken, womöglich sogar physische Angriffe zu wappnen? Ist das nicht übertrieben? Tatsächlich kommen einem schnell einige Themen in den Sinn, die hochemotionale Reaktionen auslösen. Tierversuche zum Beispiel, die Evolutionsforschung, Aspekte der sogenannten Alternativmedizin, politische Wissenschaft sowieso, zunehmend aber auch ethnische und geschlechterspezifische Forschung.

Wer beispielsweise über biologische oder psychologische Besonderheiten von Ethnien oder Geschlechtern publizieren will, und sei es nur die unterschiedliche Wirkung eines Arzneimittels, muss mit heftigen Anwürfen rechnen - und zwar aus jeder Ecke. Sobald sich ein hauchdünner Unterschied zwischen Mann und Frau zeigt, gibt es jene, die das nicht akzeptieren wollen. In der akademischen Welt ebenso wie draußen.

Es ist also keineswegs mehr nur so, dass sich die Wissenschaft gegen äußeren Druck hüten muss, gegen die Attacken wissenschaftsfeindlicher Extremisten. Es gibt mittlerweile innerhalb des akademischen Betriebs Zwänge, die manche sachliche Auseinandersetzung im Keim ersticken. Und statt Daten oder Thesen, die man anzweifelt, rational mit den Methoden der Wissenschaft zu entkräften, geht man die dahinterstehenden Forscher persönlich an.

Es ist zum Teil ein Auswuchs der Fake-News-Phobie, die keineswegs mehr nur auf den Journalismus beschränkt ist. Der Begriff ist leider auch für erklärte Gegner des Trumpismus salonfähig geworden. Der inflationäre Gebrauch der Fake-News-Keule senkt inzwischen auch die Hürde, unliebsamen Studienergebnissen ein persönliches Motiv zuzuschreiben.

In diesem Sinne ist das neue Journal von Vorteil für den Fortbestand der Wissenschaft. Emotionsgeladene Themen können weiterhin beforscht, diskutiert - und publiziert werden. Für das Ansehen von Wissenschaft und Wissenschaftlern ist es ein fatales Zeugnis. Im Grunde ist es eine Kapitulation vor dem Erstarken antiaufklärerischer Kräfte.

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