Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Rekordregen durch Lockdown?

China erlebte im Frühsommer 2020 die mit Abstand extremsten Regenfälle in den vergangenen 40 Jahren - womöglich aufgrund der geringeren Luftverschmutzung während des Lockdowns.

Von Benjamin von Brackel

Im Juni 2020 bauten sich dicke Wolken über dem Osten Chinas auf, einer der bevölkerungsreichsten Regionen der Welt. Über zwei Monate ergossen sich sintflutartige Regenfälle über die Metropolen, Flüsse schwollen auf Rekordpegelstände an und liefen über. Millionen Menschen waren vom Hochwasser betroffen, Hunderttausende mussten in Sicherheit gebracht werden.

Für den Juni und Juli des Jahres wurden für den Osten des Landes Regenmengen gemessen, die nicht annähernd in den vergangenen 40 Jahren erreicht worden waren. In den Jahrzehnten zuvor hatten die Sommerregenfälle in der Region sogar kontinuierlich abgenommen. Womöglich haben die heraufziehenden dunklen Wolken wie die Ankündigung großen Unheils auf die Bewohner gewirkt. Schließlich kämpfte das Land wie der Rest der Welt mit der sich entfaltenden Covid-19-Pandemie.

Tatsächlich besteht aber wohl nicht nur ein symbolhafter Zusammenhang zwischen der Pandemie und den Rekordregenfällen- glaubt man chinesischen Wissenschaftlern. Erst der Lockdown habe dazu geführt, dass sich überhaupt so große Regenmengen im Frühling und Sommer 2020 über dem Osten des Landes entladen konnten, schreibt eine Gruppe von Forschern um den Atmosphärenwissenschaftler Yang Yang von der Nanjing-Universität für Informationswissenschaften und Technologie im Fachblatt Nature Communications.

Yang begann sich im Sommer 2020 mit der Frage zu beschäftigen, wie sich der Lockdown auf die globalen Temperaturen und auch auf Niederschläge auswirkt. "Und genau zu der Zeit ereignete sich die Zunahme an Niederschlägen", erzählt er. Während er wie die meisten anderen Bewohner von Nanjing zu Hause blieb, plante er, mit Computersimulationen herauszufinden, was die Regenfälle so gewaltig hat werden lassen.

Durch den Lockdown hatte sich einerseits der Ausstoß von Treibhausgasen verringert, aber andererseits auch der Ausstoß von Kleinstpartikeln, sogenannten Aerosolen, die vor allem in geringer Höhe in der Luft umherschwirren und aus Kraftwerken und Auspuffen stammen, aber auch aus natürlichen Quellen wie dem Mineralstaub aus der Wüste oder Seesalz. "Wir wissen, dass Aerosole nicht nur die Luftqualität, sondern auch das Klima beeinflussen", sagt Yang. Heißt: Sie können die Atmosphäre unter Umständen kühlen, und damit der Erderwärmung entgegenarbeiten.

Die saubere Luft führte dazu, dass sich das Land stark aufheizte

Die Wissenschaftler um Yang verglichen die Wirkung beider Faktoren auf die Regenfälle und kamen zu einem interessanten Ergebnis: In erster Linie sei die Abnahme der Aerosole für den Extremregen verantwortlich gewesen. Die Aerosol-Reduktion würde mindestens ein Drittel der beobachteten Regenmengen erklären.

Weil der landesweite Verkehr infolge des Lockdowns eingebrochen war und Industrieanlagen stillstanden, gelangte weniger Schwefeldioxid, Ruß und andere Partikel als gewöhnlich in die Atmosphäre. Die saubere Luft führte dazu, dass sich das Land stark aufheizte, während sich der Ozean leicht abkühlte, weil sich der CO₂-Ausstoß verringert hatte. Damit verstärkte sich das Temperaturgefälle zwischen Land und Ozean, was wiederum die Luftzirkulation ankurbelte. Die Folge: Feuchte Luftmassen aus dem Südchinesischen Meer wehten nach Ostchina.

Der umgekehrte Effekt lässt sich seit einigen Jahrzehnten für den indischen Monsun beobachten: Weil die Luftverschmutzung zugenommen hat und damit die Erwärmung des Indischen Subkontinents gebremst wurde, hat sich das Temperaturgefälle zwischen Land und Ozean verringert. Die Regenmengen nahmen deshalb insgesamt um rund zehn Prozent seit den 1950er Jahren ab.

Der Atmosphärenwissenschaftler Raghu Murtugudde, der am Indian Institute of Technology Bombay zum indischen Monsun forscht, bezeichnet die Studie der chinesischen Forscher deshalb als "interessant", würden sie doch ausnahmsweise mal die atmosphärischen Folgen einer Abnahme von Luftverschmutzung untersuchen. Allerdings würden die Computermodelle die Effekte der Aerosole nicht immer vollständig darstellen, also die Dämpfung der Sonneneinstrahlung sowie die Wolkenmikrophysik. "Und selbst wenn sie es tun, arbeiten die Modelle heute noch nicht so furchtbar gut", gibt Murtugudde zu bedenken. "Besonders wenn es darum geht, Regen abzubilden."

Yang Yang will die neuen Erkenntnisse keineswegs als Plädoyer dafür verstanden wissen, die Bekämpfung der Luftverschmutzung nun etwas gemächlicher angehen zu lassen, um etwaige Wetterextreme zu vermeiden. "Natürlich sollten wir allein aus Gesundheitsgründen die Luftverschmutzung weiter reduzieren", sagt er.

Stattdessen komme es darauf an, die richtigen Aerosole abzubauen. Denn verantwortlich für die starken Regenfälle sei vor allem die Abnahme von Kleinstpartikeln, die das Sonnenlicht reflektieren - wie Sulfat. Und weniger die Abnahme von Kleinstpartikeln, welche das Sonnenlicht absorbieren - wie Ruß. "Wir sollten uns vor allem darauf konzentrieren, die absorbierenden Aerosole zu reduzieren", empfiehlt Yang. "Weil diese Aerosole auch die Luft erwärmen, würde das sowohl dem Klima als auch der Luftqualität zugutekommen."

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