Psychologie:Je extremer die Ansicht, desto stärker die Gewissheit

Psychologie: Je bekloppter eine Aussage ist, desto ausgeprägter die Gewissheit, mit der sie vertreten wird.

Je bekloppter eine Aussage ist, desto ausgeprägter die Gewissheit, mit der sie vertreten wird.

(Foto: Robert Hanson/imago images/Ikon Images)

Anhänger der linken wie der rechten politischen Ränder gleichen sich darin, dass sie eines nicht kennen: Zweifel.

Von Sebastian Herrmann

Die Bescheidwisser dieser Welt haben das Internet als Megaphon entdeckt. Dort brüllen sie ihre Gewissheiten heraus, hacken einander die Augen aus und provozieren Abscheu in den stillen Mitlesern. Die Faustregel dieser weltanschaulich gefärbten Dauergefechte lautet offenbar: Je bekloppter eine Aussage ist, desto ausgeprägter die Gewissheit, mit der sie vertreten wird.

Im Reich des Politischen stellt das, natürlich, ein immenses Problem dar - da knallen die Betonköpfe beider Lager die Schädel aneinander und wirbeln eine Menge Staub auf, der die Debatten vernebelt. Der Philosoph Karl Popper ist einst so weit gegangen, diesen Hang zur Gewissheit als fundamentale Komponente des Totalitarismus zu bezeichnen: Wer die eigene Weltanschauung mit absoluter Sicherheit für den einzigen Weg in eine glückliche Zukunft hält, kann damit abscheuliche Taten rechtfertigen und Gegner als böse sowie niederträchtig abstempeln oder gleich niedermachen.

Nun besitzt keines der Lager das Monopol auf totalitäre Tendenzen und Verblendung, vielmehr sind dafür beide Ränder des politischen Spektrums gleichermaßen anfällig. Gerade haben die Psychologen Thomas Costello und Shauna Bowes eine Studie publiziert, die Aspekte dieses Phänomens nachzeichnet. Zu den extremen Enden des politischen Spektrums hin steigt das Ausmaß an gefühlter Gewissheit darüber, dass die eigenen Meinungen absolut korrekt seien, wie sie im Fachjournal Social Psychological and Personality Science berichten. Unter linken und rechten Eiferern glaubte jeder Dritte der Befragten, dass die eigene Weltanschauung zu 100 Prozent korrekt sei und die Realität perfekt beschreibe. Unter den Moderaten in der sogenannten politischen Mitte war hingegen nur einer von 15 Befragten davon beseelt, mit der Gabe des absolut objektiven Blicks auf das Geschehen gesegnet zu sein.

Politische Gegner diagnostizieren jeweils mangelnde Intelligenz bei der Gegenseite

Dazu passende Ergebnisse haben gerade auch Psychologen um Rachel Hartman in einer weiteren Studie publiziert. Demnach halten Anhänger der beiden großen US-Parteien die Wähler der Gegenseite weniger für unmoralisch oder gar böse, sondern vor allem für: blöd. Es sei mangelnde Intelligenz, die Angehörige der politischen Gegenseite zu ihren Ansichten treibe. Auch diese Haltung trieft vor Selbstgewissheit: Wir kennen die einzige Wahrheit, deswegen müssen alle Andersdenkende dumm wie Brot sein. Ist ja logisch.

Nun neigen so gut wie alle Menschen dazu, sich in manchen oder gar vielen Dingen zu überschätzen. Bildung, Autofahrkünste, Hausarbeit, Moral und Tugend - in diesen und anderen Feldern stellt sich die Mehrheit gerne ein Selfiezeugnis mit überdurchschnittlichen Zensuren aus. Die psychologische Forschungsliteratur zu alltäglicher Hybris ist prall gefüllt. An den extremen Rängen der politischen Arena hebt die Selbstüberschätzung nur schlicht in besondere Höhen ab.

Dabei ziehen linke wie rechte radikale Strömungen Personen an, die sich in ihren psychischen Merkmalen ähneln. Sie gleichen sich in ihrem Dogmatismus, ihrer Selbstgewissheit, ihrer Irrationalität und ihrem starren Denken. So lässt sich die aktuelle Studie auch als Argument für die sogenannte Hufeisentheorie deuten. Laut diesem Konzept stehen Links- und Rechtsextremisten einander in vielen Positionen oder Dispositionen oft verblüffend nahe und pflegen hingegen eine im Vergleich größere Distanz zur moderaten politischen Mitte. Die artigsten Putin-Versteher finden sich gerade zum Beispiel unter ganz rechten und ganz linken Bescheidwissern.

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