Evolution:Nachwuchs für die Menschen-Familie

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Fossilien aus Südchina gehören möglicherweise zu einer bislang unbekannten Menschenart. Das Besondere: Die archaisch wirkenden Rotwildhöhlen-Menschen existierten länger neben dem modernen Menschen als die Neandertaler.

Markus C. Schulte von Drach

Die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb des menschlichen Stammbaums sind noch erheblich komplizierter als man bislang dachte. Und das gilt offenbar auch für die jüngere Vergangenheit unserer Gattung: Noch vor einigen zehntausend Jahren lebten offenbar vier oder sogar fünf verschiedene Menschenarten gleichzeitig. Darauf deuten Fossilien aus Südchina hin, die jetzt analysiert wurden.

So soll einer der Menschen aus der südchinesischen Rotwildhöhle ausgesehen haben. (Foto: Peter Schouten)

Der Ursprung unserer Gattung liegt irgendwo in der Zeit von vor zwei bis drei Millionen Jahren, als sich Vertreter der Gattung Australopithecus so stark veränderten, dass ihre Nachfahren schließlich einer neuen Gattung zugeordnet wurden: Homo, der Mensch.

Innerhalb dieser Gruppe entstanden teilweise nacheinander und teilweise parallel etliche Arten, von denen fast alle bislang entdeckten bereits vor mehr als 100.000 Jahren wieder verschwunden waren.

Dazu gehören der Homo rudolfensis, H. habilis, H. ergaster, H. erectus und möglicherweise auch die als Homo antecessor und Homo heidelbergensis bezeichneten Fossilien, bei denen noch nicht geklärt ist, ob es sich um eigene Arten handelt.

In der Vergangenheit dachte man lange, dass gegen Ende der Altsteinzeit, vor 40.000 Jahren, nur noch die Neandertaler und die modernen Menschen übriggeblieben waren. Seit der Jahrtausendwende haben die Forscher jedoch festgestellt, dass außer diesen beiden Arten auf der indonesischen Insel Flores noch lange Zeit - möglicherweise bis vor 12.000 Jahren - der kleinwüchsige Homo floresiensis (Spitzname: Hobbit) lebte. Und vor 40.000 Jahren existierten in Sibirien noch die sogenannten Denisova-Menschen, denen bislang kein wissenschaftlicher Artname gegeben wurde. (Umstritten ist, ob der Fund von Fossilien eines Homo erectus nur 50.000 Jahre alt ist, oder 500.000 Jahre.)

Und nun berichten australische und chinesische Wissenschaftler, dass sehr junge Fossilien aus Höhlen im Südwesten Chinas eine außergewöhnliche Mischung aus Eigenschaften moderner und archaischer Menschen aufweisen. So besaßen diese offenbar ein eher flaches und breites Gesicht und ein relativ schmales Nasenbein. Mit Hilfe der Radiokarbondatierung bestimmten sie das Alter der Knochenfragmente auf 14.000 bis 11.500 Jahre.

Noch ist unklar, wie eng verwandt die Menschen von Maludong - der Rotwildhöhle - mit dem modernen Homo sapiens sind. Vielleicht handelt es sich nur um eine Unterart. Sie könnten jedoch auch "eine bislang unbekannte Art darstellen, die bis zum Ende der Eiszeit vor etwa 11.000 Jahren überlebt hat", vermutet Darren Curnoe von der University of New South Wales. Demnach hätten sie sich parallel zum Neandertaler und dem Homo sapiens entwickelt.

Im Fachmagazin PloS ONE bieten die Forscher zwei Erklärungen zum Ursprung dieser Menschen an: Sie könnten eine Population archaischer Homo sapiens darstellen, die von Afrika aus eingewandert waren und in Südchina ungewöhnlich lange überlebten. Oder Ostasien wurde von Afrika aus in mehreren Wellen besiedelt und die jetzt beschriebene Gruppe gehörte zu den frühen Migranten. Das aber würde bedeuten, dass die menschliche Population in Afrika bereits vor den Migrationswellen nach Asien und Europa aus sehr unterschiedlichen Gruppen zusammengesetzt gewesen war.

Der Schädel eines Rotwildhöhlen-Menschen weist deutliche Unterschiede zu dem eines modernen Menschen auf - aber auch viele Übereinstimmungen. (Foto: Lon/University of New South Wales)

Christ Stringer vom britischen Natural History Museum in London erklärte dem Fachmagazin New Scientist, es könnte auch eine Beziehung zu den Denisova-Menschen in Sibirien geben. Diese hätten sich auch mit dem modernen Homo sapiens fortgepflanzt - die Menschen aus der Rotwildhöhle könnten sogar ein Ergebnis dieser Treffen darstellen.

Überraschend ist der Fund vor allem deshalb, weil er belegt, dass archaische Menschen sehr lange existierten - deutlich länger als die Neandertaler - und in Südchina offenbar Hirsche jagten, während der moderne Mensch in derselben Region vermutlich bereits mit der Landwirtschaft experimentierte.

Die Wissenschaftler konnten Fossilien von mindestens drei Individuen analysieren, die 1989 in einer Höhle bei Maludong in der Provinz Yunnan entdeckt worden waren. Dazu kamen Überreste eines Skeletts aus der Longlin-Höhle in der benachbarten Provinz Guangxi, die bereits 1979 entdeckt worden waren. Aber die Wissenschaftler um Curnoe und Ji Xueping von der Yunnan University in Kunming hatten erst jetzt Gelegenheit, die Funde genau zu untersuchen.

Als Nächstes soll DNS aus den Knochen aus der Rotwildhöhle analysiert werden. Ein erster Versuch, Genmaterial daraus zu gewinnen, sei misslungen, sagte Curnoe dem New Scientist. Nun seien drei der weltweit wichtigsten Laboratorien, die mit Urzeit-DNS arbeiten, an dem Projekt beteiligt.

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