Evolution:Jeder mal mit jedem

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Affen, Schmetterlinge und Vögel tun es: Sex zwischen verschiedenen Spezies kommt häufig vor. Jetzt sollen ihre Nachkommen auch fruchtbar sein.

Wiebke Rögener

Schüler haben es immer geahnt: Manchmal stimmt das Schulwissen nicht mit dem wahren Leben überein. Um zu erläutern, was eine Art ist, ziehen Biologiebücher oft noch das Beispiel von Pferd und Esel heran. Wenn diese sich miteinander paaren, ist der Nachwuchs - Maultier oder Maulesel - stets unfruchtbar.

Viele Tiere haben auch mit anderen Arten Sex. Neu an diesem Phänomen ist, dass ihre Nachkommen sich auch weiter fortpflanzen können. (Foto: Foto: dpa)

Ausnahmen von der Schulbuch-Regel

Die Schlussfolgerung dieses Phänomens ist, dass nur Eltern derselben Art Nachkommen bekommen, die sich selbst wieder fortpflanzen können. "Wenn wir hier Lehrer zu Besuch haben, ist es immer schwer, ihnen diesen Artbegriff auszureden", sagt Dietmar Zinner vom deutschen Primatenzentrum in Göttingen. In der vergangenen Woche trafen sich dort Biologen, um die gar nicht so seltenen Ausnahmen von der Schulbuch-Regel zu diskutieren: den Austausch von Genen über Artgrenzen hinweg.

Schmetterlinge tun es, Fische, Vögel, und auch viele Affen: Sie haben nicht nur Sex mit Partnern anderer Arten, sondern zeugen dabei auch fruchtbare Nachkommen. Auf diese Weise kann Erbgut von einer Spezies zur anderen wechseln - Wissenschaftler sprechen von Hybridisierung.

Gelegentlich entstehen beim Querverkehr der Gene sogar neue Arten. In der Evolution gibt es also nicht nur Verzweigungen, sondern auch Verknüpfungen. Man solle daher nicht vom Baum, sondern vom Netz des Lebens sprechen, sagt der Evolutionsforscher Michael Arnold von der University of Georgia in Athens, USA. Das könnte sogar für die Herkunft des Menschen wichtig sein, behaupten manche Forscher.

Verwirrende Ergebnisse

Dass Affen nicht immer ihrer Art treu bleiben, fiel zunächst nur zufällig auf, berichtet Zinner. Für verhaltensbiologische Studien galt es, genau zu bestimmen, wo welche Arten leben. Um die oft recht ähnlichen Spezies voneinander abzugrenzen, nutzten die Forscher genetische Methoden. Der Grundgedanke dahinter: Je mehr zufällige Mutationen zwei Arten unterscheiden, desto länger liegt ihre Trennung in der Evolution zurück, desto entfernter ist also die Verwandtschaft. Die Ergebnisse waren allerdings verwirrend. Je nachdem, welche Abschnitte der DNS-Erbgutmoleküle die Biologen analysierten, kamen sie zu unterschiedlichen Verwandtschaftsverhältnissen.

So gibt es in Afrika dem äußeren Anschein nach fünf Pavian-Arten. Doch betrachtet man nicht die Gene im Zellkern, die unter anderem das Aussehen bestimmen, sondern das Erbgut in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle, erhält man sehr viel mehr Gruppen. Einerseits fanden sich Tiere mit gleichem Mitochondrien-Erbgut, die zu verschiedenen Arten gehören, andererseits gibt es innerhalb einer Art Gruppen mit unterschiedlicher Mitochondrien-DNS. Die plausibelste Erklärung sind Kreuzungen über Artgrenzen hinweg, sagt Zinner. Alle Pavian-Arten können sich schließlich miteinander paaren. "Je mehr molekulare Methoden wir anwenden, desto mehr Hybriden entdecken wir."

Das fremde Erbgut wirkt sich auf das Verhalten der Tiere aus. So gibt es Paviane, bei denen die Weibchen bestimmen, und andere Arten, deren Männchen recht rabiat einen Harem weiblicher Tiere zusammenhalten.

Hybriden aus beiden sind dann weniger machohaft in ihrem Gehabe als Tiere ohne die Einsprengsel im Erbgut. Bei Pavianen muss es mehrmals Aufspaltungen und Wiederbegegnungen zwischen den Arten gegeben haben, nehmen Roos und Zinner aufgrund der Erbgut-Daten an.

Art-übergreifende Techtelmechtel

Wenn zwei eng verwandte Tierarten benachbarte Lebensräume bewohnen, sind Art-übergreifende Techtelmechtel im Grenzgebiet besonders häufig. So etwa bei den Mausmakis auf Madagaskar: Der Graubraune Mausmaki lebt in trockenen Waldgebieten, der Graue Mausmaki in feuchten Küstenwäldern. Wo beide Lebensräume aneinandergrenzen, kreuzen sich die Makis.

Wenn diese Hybriden besser mit dem Leben in der Übergangszone zurechtkommen, könnte daraus eine neue Art entstehen, erläutert Dietmar Zinner. Der in Südostasien beheimatete Stummelschwanzmakak verdankt seine Existenz wohl einem ähnlichen Zusammentreffen. Genetische Analysen deuten darauf hin, dass diese mit den Meerkatzen verwandte Affenart in der Evolution aus einer Vereinigung von Langschwanzmakaken mit einem gemeinsamen Vorfahren der heutigen Assam-Makaken und der Tibetanischen Bärenmakaken hervorgegangen ist.

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:Evolution im Zeitraffer

Ob solche Verknüpfungen im Netz der Primaten auch für die Evolution des Menschen ein Rolle spielten, ist unter Forschern derzeit heftig umstritten. Einiges spricht dafür, dass es nach der Aufspaltung zwischen den Vorfahren des Menschen und den Ahnen der Schimpansen noch zu sexuellen Kontakten zwischen beiden Linien kam.

Der Vergleich eines Großteils des Erbguts legt nahe, dass sich die beiden Linien schon vor mehr als sechs Millionen Jahren aufgespalten haben; doch es gibt auch einige Gene, die auf eine spätere Trennung hindeuten. Nick Patterson vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA, hält es daher für denkbar, dass die beiden Gruppen noch einmal miteinander angebandelt haben, bevor sie endgültig getrennter Wege gingen.

Vorteilhafte Gene besonders gut erhalten

Allerdings gibt es andere Erklärungsmöglichkeiten. So zeigte Graham McVicker von der University of Washington in Seattle kürzlich, dass die Unterschiede auch darauf beruhen können, dass vorteilhafte Gene besonders gut erhalten bleiben und weniger vorteilhafte aussortiert werden. Um solche Einflüsse auszuschalten, verwenden Forscher für die Zeitmessung im Erbgut eigentlich oft Bereiche, die nicht als Bauanleitung für Eiweiße dienen, wo Mutationen also weder Vor- noch Nachteile mit sich bringen.

McVicker stellte aber fest, dass in der Evolution auch solche Abschnitte bevorzugt konserviert werden, die nur in der Nähe vorteilhafter Gene liegen. In diesen Bereichen tickt die Erbgut-Uhr womöglich anders, als Forscher bisher glaubten.

Michael Arnold ist jedoch überzeugt, dass Hybridisierung ein wichtiger Mechanismus der Evolution ist - auch bei der Entstehung des Homo sapiens. Schließlich ist das Erbgut des Menschen ein Mosaik aus modernen Genen und Erbgut seiner Affenahnen. In manchen DNS-Abschnitten sind die Menschen zum Beispiel dem Gorilla ähnlicher als ihrem anerkannt nächsten Verwandten, dem Schimpansen. Doch muss das keineswegs bedeuten, dass die Vorfahren von Mensch und Gorilla Sex miteinander hatten.

Kuscheln mit homo erectus

Ursache der Gemeinsamkeiten ist möglicherweise ein Mechanismus, den die Fachleute "incomplete lineage sorting" nennen, erklärt Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig: Wenn bei den gemeinsamen Vorfahren aller Menschen und Menschenaffen verschiedene Varianten eines Gens gleichzeitig existierten, kann es durchaus sein, dass bei der Aufspaltung der Linien eine Variante zufällig bei Mensch und Gorilla überdauerte, während der Schimpanse eine andere Form abbekam.

Auch die alte Frage, ob es Schäferstündchen zwischen den Vorfahren des modernen Menschen und anderen frühen Menschenarten gab, bleibt weiter unentschieden. Arnold hält solche Liaisons für sehr wahrscheinlich. So vermutet er, dass unsere Vorfahren mit Homo erectus kuschelten, und sich dabei eine Läuseart zuzogen, die lange vor dem Homo sapiens entstanden war und bis dahin allein die ältere Menschenart plagte.

Etwas Erfreulicheres soll der moderne Mensch vom Neandertaler geerbt haben: Eine Genvariante, die die Hirngröße fördert, trat just zu der Zeit bei Homo sapiens auf, als dieser vor etwa 40000 Jahren das Siedlungsgebiet der Neandertaler teilte. Die Ergebnisse der EVA-Forscher bestätigen diese Spekulationen allerdings nicht.

Johannes Krause, der an der Sequenzierung des Neandertaler-Genoms mitarbeitet, stellt fest: "Weder in den Mitochondrien noch auf dem Y-Chromosom haben wir Hinweise auf einen Genaustausch zwischen Neandertalern und Homo sapiens gefunden." Hundertprozentig ausschließen will er gelegentliche Affären nicht, doch fehle es an Beweisen. Noch im Laufe dieses Jahres soll die Sequenzierung des Neandertaler-Erbguts abgeschlossen werden. Sie liefert dann sicher neue Argumente für den alten Streit.

© SZ vom 13.10.2009/jug - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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