Evolution des Menschen:Lucys rätselhafte Großeltern

Überreste von gleich neun Vormenschen der Art Australopithecus anamensis haben Wissenschaftler in Äthiopien entdeckt - und sie sind eine Millionen Jahre älter als die berühmte Ur-Frau Lucy.

Das Rätseln um den Ursprung der Menschheit erhält neuen Schwung.

Paläontologen fanden in Äthiopien Überreste von mindestens neun Vormenschen der Art Australopithecus anamensis (Nature, Bd. 440, S. 883, 2006). Die Knochen sind 4,1 bis 4,2 Millionen Jahre alt, stellte das internationale Team um den Kalifornier Tim White fest.

Damit lebten diese "Südaffen" gut eine Million Jahre früher als die berühmte Australopithecus-Frau Lucy, deren Skelett Mitte der 70er-Jahre ebenfalls in Äthiopien ausgegraben wurde.

Lucy gehörte zur Art Australopithecus afarensis. Der Australopithecus gilt als Vorläufer des modernen Menschen, doch über seine Herkunft und die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb seiner Gattung wird heftig debattiert.

So ist strittig, ob Australopithecus anamensis, von dem Fossilien bis zum jetzigen Fund nur 1000 Kilometer weiter südlich in Kenia ausgegraben worden waren, Urahn von Lucy und ihren Artgenossen war oder nur eine von vielen Verzweigungen im "Stammbusch" der Menschheit.

Zeitlich und anatomisch liegen die neu entdeckten Fossilien, darunter Kiefer, Zähne und ein Oberschenkelknochen, zwischen dem Australopithecus afarensis und der noch älteren und affenähnlicheren Gattung Ardipithecus.

Das spreche dafür, so White, dass es eine Abstammungslinie von Ardipithecus über Australopithecus anamensis zu Australopithecus afarensis gibt.

Von dieser Ahnenreihe ist Friedemann Schrenk vom Frankfurter Forschungsinstitut Senckenberg jedoch nicht überzeugt. Die Fossilien belegen seiner Ansicht nach nicht, dass die drei Vormenschen in direkter Linie voneinander abstammen. Schrenk sieht in dem Fund vielmehr "einen weiteren starken Hinweis auf die Vielfalt geographischer Varianten früher Hominiden".

Der Australopithecus anamensis streifte offenbar durch Wälder. Denn zusammen mit seinen Überresten gruben die Forscher auch Knochen von Waldtieren aus der gleichen Periode aus. Zu Lebzeiten des Anamensis-Vormenschen regnete es in Äthiopien häufiger als heute.

Weshalb aber unterschiedliche Australopithecus-Varianten entstanden, kann sich White nicht erklären: Die Umwelt habe sich vor vier bis fünf Millionen Jahren in der Region nicht verändert, in der schon viele andere vormenschliche Fossilien entdeckt wurden, sagt er.

"Umweltveränderungen setzten aber schon mit dem Rückgang des Regenwaldes vor etwa acht bis sechs Millionen Jahren ein", argumentiert dagegen Schrenk. Dabei seien im Randbereich des Regenwalds vielfältige Lebensräume ("Mosaik-Habitate") entstanden. "Sie führten zu dem, was ich aus diesen Funden schließe: einer Zunahme der geographischen Varianten."

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