Das System soll also sehen können, in welchem Verhältnis Menschen zueinander stehen, ob sie zur selben Familie gehören oder zusammen im Gefängnis gesessen haben. Zusätzlich entwickeln die Forscher für den künstlichen Wächter eine Suchmaschine, die Dokumente oder Bilder einer Person im Netz findet und relevante Stellen markiert.
Wann im Einzelfall welches der Organe Indects aktiv werden soll, ist noch völlig unklar. Einen Polizeieinsatz selbst auslösen darf der künstliche Polizist allerdings nicht. Zumindest in Deutschland schließt das Gesetz "automatisierte Einzelentscheidungen" aus. Im Klartext: Die Maschine darf niemanden festnehmen lassen. Als Mund dient deshalb eine Software, die echte Polizisten und Wachmänner alarmiert, sobald ihr künstlicher Kollege "abnormales Verhalten" erkennt.
Mit der Definition von "abnormalem Verhalten", das für Indect die Grundlage jeglicher Aktion bildet, tun sich die Projektverantwortlichen indes schwer. Deshalb haben sie Polizisten und Überwachungspersonal befragt, was abnormal sei. "Herumlungern" oder "sich umschauen" hielten die Beamten für Hinweise auf gefährliche Vorhaben, "nach dem Spiel im Stadion sitzen bleiben" oder "zu lange neben einem Auto stehen". Manchmal ist es ein plötzlicher Richtungswechsel oder lautes Geschrei. In einem Dokument demonstrieren die Forscher, wie das System jemanden erkennt, der bei Rot über die Ampel geht.
"In erster Linie bedeutet abnormal natürlich einen Hinweis auf kriminelles Verhalten", sagt Patrick Hasenfuß von der Firma Psi Transcom, die für Indect die technische Plattform liefern soll, die alle Informationsquellen verknüpft. "Das Erkennen von ungewöhnlichen Situationen führt zunächst dazu, dass ein Mensch sich das ansieht", sagt Hasenfuß. "Da ist keine automatische Verurteilung angeschlossen."
Psi Transcom ist spezialisiert auf Software, die U-Bahnhöfe und den öffentlichen Nahverkehr steuert. Hasenfuß hofft, mit dem System automatisch Brände zu erkennen. Oder ob jemand im Gleisbett liegt und Hilfe braucht. Oder ob er eine Schusswaffe trägt. Die Nähe zu Universitäten macht es für die Industrie verlockend, bei Indect mitzuarbeiten.
"Die EU-Kommission möchte uns mit dem Projekt Zugang zu Forschungseinrichtungen und Anwendern verschaffen", sagt Hasenfuß. Über Jahre hinweg könne man so beobachten, was an Hochschulen gelehrt werde "und wie technologische Weiterentwicklungen aussehen können".
Wo Indect hinführen soll, fragen sich mittlerweile auch einige EU-Parlamentarier. "Das ist nicht nur ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, der Einsatz von Indect würde unsere Gesellschaft von den Füßen auf den Kopf stellen", sagt der Europaabgeordnete Alexander Alvaro von der FDP. Die Tragweite einer Rundumüberwachung sei von keinem Verantwortlichen ausreichend berücksichtigt worden, meint der FDP-Innenexperte.
Zudem arbeite Indect in völliger Intransparenz. Zwar stellt das Konsortium online zahlreiche Dokumente über die Einzelkomponenten, wie etwa die Drohnen oder die Gesichtserkennung, zur Verfügung. Doch in welcher Phase sich Indect befindet, ob und wie das System bereits getestet wird und wie die Einzelteile genau zusammenarbeiten, ist nicht ersichtlich. Es gibt weder eine offizielle Telefonnummer noch einen Pressesprecher. Auch steht in den Dokumenten nicht, wann ein Einsatz dieser Technik rechtlich und moralisch gerechtfertigt wäre.