Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Dienstag ein Urteil mit gravierenden Folgen für die Honigindustrie gefällt: Europas höchste Richter entschieden, dass Honigsorten, in denen sich geringste Spuren gentechnisch veränderter Pollen befinden, eine Zulassung benötigen, bevor sie auf den Markt gebracht werden dürfen. Nach Einschätzung des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums könnten damit "30 Prozent der in Europa erzeugten Honige und nahezu alle aus Drittländern eingeführten Honige aufgrund fehlender Zulassung nicht mehr verkehrsfähig" sein.
Geklagt hatte ein Hobby-Imker aus Bayern, in dessen Nachbarschaft ein staatliches Versuchsfeld mit Mais der gentechnisch veränderten Sorte Mon 810 angelegt worden war. Ein Jahr nach Beginn des Feldversuchs waren in seinem Honig Spuren von gentechnisch veränderten Pollen nachweisbar. Der Fall landete vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, der ihn dem Europäischen Gerichtshof vorlegte.
Die Richter entschieden nun in vollem Umfang zugunsten des Imkers und kippten damit die bislang herrschende Rechtsauffassung. Selbst Gen-Pollen, die nur unbeabsichtigt in den Honig gelangten, seien eine "Zutat", urteilten sie. Daher sei dieser Honig ein Lebensmittel, das aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt worden sei. Solche Lebensmittel aber benötigten eine eigene Zulassung. "Ein Verstoß dagegen ist nach deutschem Recht sogar strafbar", sagte Rechtsanwalt Achim Willand, der den Imker vor Gericht vertreten hat.
Das Urteil könnte vor allem deshalb weitreichende Folgen haben, weil eine ganze Reihe von Honigsorten, die sich in den Supermärkten befinden, nachweislich ebenfalls Spuren von Gen-Pollen enthalten. Zwar gibt es bislang in Europa kaum Felder, auf denen Gen-Pflanzen angebaut werden. Ein Großteil des Honigs wird aber importiert, unter anderem aus Nord- und Südamerika, wo der Gen-Anbau sehr verbreitet ist. Ob das heißt, dass in den kommenden Tagen viele Honigsorten aus dem Supermarkt entfernt werden müssen, war am Dienstag noch offen. Aus mehreren Verbraucherschutz- und Landwirtschaftsministerien der Länder, die für die Lebensmittelüberwachung zuständig sind, war zu hören, man müsse das Urteil erst in Ruhe prüfen.
"Bahnbrechendes Urteil"
Ebenso äußerte sich der Honigverband, der in den vergangenen Tagen allerdings beschwichtigt hatte. Zum einen gehe es bei den Gen-Pollen keinesfalls um "gesundheitsgefährdende Mengen, sondern um deutlich weniger als 0,1 Prozent eines Honigglases", hatte Heinrich Schulze gesagt, Vorsitzender des Verbands.
Zum anderen habe man in Erwartung des Urteils bereits Import-Honige testen lassen. Mit Ausnahme von Gen-Raps aus Kanada stammten demnach fast alle vorgefundenen Gen-Pollen von Pflanzen, die in Europa als Lebensmittel zugelassen seien, wie etwa Soja oder Raps. Daher benötigten diese Honige keine extra Zulassung mehr, meinte er. In Ministeriumskreisen zweifelte man das allerdings an und verwies darauf, dass zwar bestimmte Erzeugnisse aus Gen-Soja und -Raps als Lebensmittel zugelassen seien, nicht aber die Pollen der Pflanzen.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz sprach von einem "bahnbrechenden Urteil". Die Bundesregierung müsse das Gentechnikgesetz ändern, um Honig vor Gen-Verunreinigungen zu schützen.