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Umweltbelastungen:Was hinter den Zahlen zu den Umwelttoten steckt

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Vor allem Feinstaub führt jährlich zu mehreren Hunderttausend verfrühten Sterbefällen. Der neue Bericht der Europäischen Umweltagentur EEA muss allerdings im Kontext gesehen werden.

Von Marlene Weiß

Umweltverschmutzung und Lärm verursachen in Europa jedes Jahr Hunderttausende vorzeitige Todesfälle, berichtet die Europäische Umweltagentur EEA. Das mit Abstand größte Problem ist demnach die Luftverschmutzung, die jährlich dazu beitrage, dass rund 450 000 EU-Einwohner vorzeitig sterben; allerdings waren es im Jahr 1990 noch mehr als eine Million Menschen. An zweiter Stelle steht die Lärmbelastung, die zu rund 12 000 Todesfällen beiträgt. Danach kommen die Folgen des Klimawandels, insbesondere Hitzewellen, sowie verschmutztes Wasser.

Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu betrachten; die Unsicherheit der Schätzung ist groß, und vieles hängt von den getroffenen Annahmen ab, Studien kommen teils zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. So zitiert die EEA für die Gesamtzahl der Todesfälle Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO aus dem Jahr 2012: Jeder achte Mensch, der in der EU stirbt, beziehungsweise eine Summe von 630 000 Todesfällen jährlich, stünden demnach im Zusammenhang mit Umweltbelastungen. Diesen Wert kann man nicht unmittelbar mit den von der EEA selbst errechneten Todesfällen durch Luftverschmutzung vergleichen. Dennoch zeigen die Zahlen die Größenordnung des Problems, und wie viel für die Europäer mit einer saubereren Umwelt zu gewinnen wäre.

3,8 Millionen Lebensjahre gehen jährlich allein durch Feinstaub verloren

Luft, die mit Feinstaub, Stickoxiden, Ozon oder anderen Schadstoffen verschmutzt ist, trägt zu einer Reihe von Krankheiten bei. Vor allem schädigt sie die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System. Die Folgen können eine verschlechterte Lungenfunktion, Infektionen der Atemwege oder verschlimmertes Asthma sein, aber auch Schlaganfälle, Herzinfarkte und Lungenkrebs. Hinzu kommen Hinweise, dass Luftverschmutzung auch Typ-2-Diabetes, Übergewicht und Demenz begünstigen könnte.

Am schwerwiegendsten wirkt sich dabei der Feinstaub aus: Allein auf Partikel, die kleiner als 2,5 Mikrometer sind ("PM2.5" genannt), entfielen laut EEA-Berechnungen im Jahr 2018 etwa 379 000 verfrühte Todesfälle. 54 000 weitere standen im Zusammenhang mit Stickstoffdioxid und 19 400 mit Belastung durch Ozon, das teils ebenfalls aus Stickoxiden entsteht. Unter den durch diese Schadstoffe begünstigten Krankheiten führt laut der EEA die koronare Herzkrankheit zu den meisten Todesfällen, unter anderem durch Herzinfarkt.

In einem Bericht aus dem vergangenen Jahr hatte sich die EEA ausschließlich mit den Effekten von Luftverschmutzung befasst und nicht nur die Anzahl verfrühter Todesfälle, sondern auch die dadurch verlorenen Lebensjahre beziffert. Schließlich macht es einen Unterschied, ob der Tod eines Menschen nur um wenige Monate oder um viele Jahre beschleunigt wird. Demnach gehen in der EU jährlich durch Feinstaub 3,8 Millionen Lebensjahre, durch Stickstoffdioxid 682 000 Lebensjahre und durch Ozon 137 000 Lebensjahre verloren. Die WHO schätzt, dass PM2.5-Feinstaub die Lebenserwartung in der EU um rund neun Monate senkt.

"Die vorzeitigen Todesfälle sind nicht das einzige Maß für die Gesundheitsfolgen durch Umweltbelastungen oder andere Risikofaktoren, aber das einfachste", sagt Barbara Hoffmann, Umweltepidemiologin von der Universität Düsseldorf. "Man kann diese Zahlen kritisieren, weil sie teils von getroffenen Annahmen abhängen. Man sollte aber im Kopf behalten: Wozu sind sie da, und was sagen sie aus?" Worauf es ankomme: Die Schätzungen machten den Einfluss unterschiedlicher Risikofaktoren, die Entwicklung über die Zeit oder die Situation in verschiedenen Ländern vergleichbar.

So zeigen die von der EEA zitierten WHO-Zahlen, dass die Unterschiede in Europa erheblich sind: In Schweden hängen nur zehn Prozent der Todesfälle mit Dreck und Lärm zusammen, in Rumänien sind es 19 Prozent - grundsätzlich sind die Probleme in Osteuropa größer.

Man müsse zudem davon ausgehen, dass die Zahlen der EEA die Gesundheitsfolgen eher noch unterschätzen, sagt Barbara Hoffmann: Neuere Studien hätten gezeigt, dass die zugrunde gelegten Risikosteigerungen etwa durch Luftverschmutzung erheblich zu niedrig sind. Hinzu kommt die Tatsache, dass selbst kleinste Mengen Feinstaub die Gesundheit schädigen; in Europa gilt aber ein Grenzwert von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel.

Epidemiologen wie Hoffmann fordern daher dringend, die Feinstaubbelastung der Bevölkerung insgesamt zu senken - statt auf Grenzwerte zu starren, die obendrein im Vergleich zur deutlich niedrigeren WHO-Empfehlung von zehn Mikrogramm pro Kubikmeter recht hoch angesetzt sind.

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