Ethikrat:Genetischer Defekt

Egal, wie gut Gerhard Schröders Expertenrunde diskutiert - ihren Konstruktionsfehler wird sie nicht loswerden.

Heidrun Graupner

(SZ vom 8.6.2001) - Seinen ersten Streitfall hat er bereits auf dem Tisch, der Nationale Ethikrat, der sich heute konstituiert: Er muss sich mit den Plänen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement (SPD) befassen, den Import embryonaler Stammzellen aus Israel für Forschungsprojekte der Universität Bonn zu fördern. Er habe mit seiner Ankündigung Entscheidungen des Nationalen Ethikrates nicht vorgreifen wollen, sagte Clement in den vergangenen Tagen immer wieder. Nun treibt das Wort Entscheidungen die Grünen - und nicht nur sie - ziemlich um. Man sei nicht der Ansicht, dass der Nationale Ethikrat Entscheidungsbefugnisse habe, sagen Andrea Fischer oder Rezzo Schlauch.

Kein Ersatzparlament

Von Entscheidungen des Ethikrates war bisher offiziell nicht die Rede, er werde kein Ersatzparlament, sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder, auch wenn manche der vielen Kritiker in den vergangenen Wochen genau davor gewarnt haben. Von einer neuen vierten Gewalt im Staat war die Rede, von den Räten, die die Aufgabe der Politik übernehmen. In der großen Gentechnik- Debatte des Bundestags am 31. Mai sagten Abgeordnete aller Parteien immer wieder, dass nur das Parlament die Entscheidungen treffe, nicht aber der Ethikrat. Man kann jedenfalls sicher sein, dass der Streit um den Nationalen Ethikrat mit seiner konstituierenden Sitzung nicht zu Ende ist.

Moral und Arbeitsplätze

Begonnen hat der Streit im Januar mit dem Plan von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), einen solchen Rat zu gründen. Der Kanzler hatte eine alte Idee des Staatssekretärs im Forschungsministerium, Wolf-Michael Catenhusen (SPD) aufgegriffen, der es als Problem ansah, dass der Ethikbeirat des Gesundheitsministeriums nur für das Ministerium arbeite, die Enquete-Kommission des Bundestages "Recht und Ethik in der modernen Medizin" nicht auf Dauer angelegt sei. Die Diskussion über die Gentechnik müsse "ohne Scheuklappen" geführt werden, befand der Kanzler.

Mit dem Rücktritt der Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) im Januar war in der Regierung der Weg frei für ein Revirement im Bereich Gentechnik. Andrea Fischer wollte ihre Ablehnung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in einem Fortpflanzungsmedizingesetz verankern. Ihre Nachfolgerin Ulla Schmidt (SPD) und Forschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) dagegen kommen den Plänen des Kanzlers entgegen, bei der PID und der Forschung an überzähligen Embryonen aus der Befruchtung im Reagenzglas. Anfang April sagte Schröder in der Katholischen Akademie Berlin: "Es ist nicht unethisch, sich darüber Gedanken zu machen, ob es vertretbar ist, ökonomische Chancen nicht zu nutzen." Ohne einen Spitzenplatz in der Bio-, Gen- und Medizintechnik seien Potentiale der Wirtschaft nicht auszuschöpfen, und dies wäre "unseren Kindern und Enkeln gegenüber verantwortungslos". Der Kanzler hat diesen Gedanken in den vergangenen Wochen immer wieder geäußert, ob in seiner Antwort auf die "Berliner Rede" des Bundespräsidenten oder im Bundestag. Es gehe auch um die moralische Verantwortung nicht nur den Kranken, sondern auch den Bürgern gegenüber, auch diese Aspekte gehörten zu der Diskussion über Menschenwürde.

Ethikbeirat düpiert

Viele Mitglieder des Ethikbeirats im Gesundheitsministerium und der Enquete-Kommission des Bundestages fühlten sich durch die Installation eines dritten Ethikrates, den das Bundeskabinett am 2. Mai beschlossen hat, völlig düpiert. Ihre mehrheitlich kritische Haltung gegenüber der PID und der Forschung an embryonalen Stammzellen war durch Stellungnahmen und Voten bekannt. Es lag schon im Frühjahr auf der Hand, dass die beiden Gremien dieses Thema abgeben müssen.

In Frage gestellt wird, auch von der Opposition, die Unabhängigkeit des Rates. Der Kanzler hat die Gentechnik zur Chefsache gemacht: Er beruft die Mitglieder des Rates für vier Jahre, der Rat selbst ist beim Kanzleramt angesiedelt, nicht, wie vielfach gefordert, in neutraler Position beim Bundespräsidenten. 25 Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und den Kirchen hat Schröder zu seinen Ratgebern gemacht, und die Gewichte, die er dabei gesetzt hat, werden heftig kritisiert. Die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim und der ehemalige Verfassungsrichter Wolfgang Böckenförde, der als Vorsitzender im Gespräch war, lehnten den Ruf nach Berlin ab. Beide Kirchen überlegten lange, ob sie einen Vertreter entsenden sollten, sie hielten es dann für besser, an der Diskussion beteiligt zu sein, mit dem Bischof der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, und dem Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst. Und weil der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Karl Lehmann mit dem Rückzug der katholischen Kirche drohte, wurde noch Mitte Mai der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff nominiert.

Behindertenverbände fühlen sich unterrepräsentiert

Ein Gleichgewicht zwischen Wissenschaft und Gesellschaftsvertretern wurde aber auch dadurch nicht erreicht. Behindertenverbände fühlen sich unterrepräsentiert, Cristiane Lohkamp von der Huntington-Hilfe ist die einzige Vertreterin. Es wird die Frage gestellt, ob der SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel, der Gewerkschaftler Heinz Putzhammer oder der Industrievertreter Lothar Späth die Breite der Gesellschaft ausreichend vertreten können. Und die Bioethikerin Regine Kollek, eine von nur acht Frauen im Gremium, wunderte sich in einem Zeit-Interview, dass der Erfahrungshorizont von Frauen als Hauptbetroffenen in der Debatte keine große Rolle spiele.

Auf den Rat wird einige Arbeit zukommen. In seiner ersten Sitzung wird er sich eine Geschäftsordnung geben - wozu auch der Abstimmungsmodus gehört - und sich einen Vorsitzenden und Sprecher wählen. Der Ethikrat soll die interdisziplinäre politische und gesellschaftliche Diskussion zu Fragen der Lebenswissenschaften zusammenführen, den Bürgern Informationsangebote liefern, sich am internationalen Ethikdiskurs beteiligen. Er soll dem Kanzler berichten, Stellungnahmen zu ethischen Fragen neuer Entwicklungen auf dem Gebiet der Biowissenschaften und Empfehlungen an die Politik erarbeiten, alle Berichte und Stellungnahmen werden veröffentlicht. Die Geschäftsstelle ist in der Berliner Akademie der Wissenschaften, den Etat, der mit 4,2 Millionen Mark veranschlagt ist, trägt der Bund.

"Eine Tabuverflüssigung"

Die entscheidende Frage nach der Unabhängigkeit des Rats wird auch die erste, die konstituierende Sitzung nicht beantworten. Als ein großes Problem bezeichnet die Bioethikerin Kollek das Plädoyer der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und deren Präsidenten Ernst-Ludwig Winnacker, der ebenfalls Ratsmitglied ist, für eine Forschung an überzähligen Embryonen. Darin erkenne sie die Absicht, sagte Kollek der Zeit, "eine Entscheidung des Ethikrats vorzustrukturieren. Das nährt den Verdacht, dass Wissenschaft und Politik die Institution des Ethikrates für die Durchsetzung der Embryonenforschung instrumentalisieren wollen." Nicht nur Regine Kollek macht sich Sorgen um die Unabhängigkeit von Forschern in einer zunehmend kommerzialisierten Wissenschaft.

Nagelprobe: die nordrhein-westfälischen Forschungspläne

Die Hypothek, mit der der Nationale Ethikrat seine Arbeit beginnt, ist jedenfalls schwer. Die erste Nagelprobe wird die Diskussion über die nordrhein-westfälischen Forschungspläne sein, über den Import von embryonalen Stammzellen. Nach dem elf Jahre alten Embryonenschutzgesetz ist er nicht verboten, da diese Entwicklung damals noch nicht bekannt war.

Ob der Rat eine Lösung findet in einem ethischem Diskurs, der die Volksparteien spaltet? Ob er sich unter Druck setzten lässt von den Bonner Wissenschaftlern, die ein Import-Moratorium bis zu einer Parlamentsentscheidung Ende 2002 zurückweisen? Die Entwicklung, sagen sie, werde international davonlaufen. Nicht nur internationale Forscher schauen nach Deutschland. Die Neue Züricher Zeitung befürchtet eine "Tabuverflüssigung" durch den Rat. Auch diesen Vorwurf wird er entkräften müssen.

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