Süddeutsche Zeitung

Ethikrat fordert strengeres Chimären-Verbot:Wer hat Angst vor Embryonenbastlern?

Wenn von der Forschung mit Mischwesen aus Mensch und Tier berichtet wird, sind die Überschriften regelmäßig so groß wie die Aufregung. Dabei geht es seriösen Wissenschaftlern nicht um gruselige Mensch-Kaninchen-Kreuzungen oder die Züchtung eines Zentauren. An den meisten Forschungen ist wenig auszusetzen. Für die anderen braucht es juristische Schranken.

Christina Berndt

Forscher haben Kaninchen-Menschen hergestellt! Als diese Meldung aus China vor acht Jahren deutsche Medien erreichte, waren die Überschriften fast so groß wie die Aufregung. Embryonen aus Mensch und Kaninchen - das klang wie eine Meldung direkt aus Frankensteins Labor, wie eine Grenzüberschreitung. Verständlicherweise sahen viele Kritiker in den chinesischen Experimenten einen Angriff auf die Menschenwürde, andere verteidigten die Versuche als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Behandlung von Krankheiten.

Es ist dem Deutschen Ethikrat deshalb hoch anzurechnen, dass er sich nun der heiß diskutierten Thematik angenommen und eine differenzierte, faktenreiche Stellungnahme zu Mischwesen aus Mensch und Tier in der Forschung vorgelegt hat. Denn nur Fakten sind es, die der Öffentlichkeit letztlich ein überlegtes Urteil ermöglichen werden, das die Chancen solcher Forschungsarbeiten einbezieht und nicht allein auf Grusel-Effekten beruht.

Dass umfassende Information oft zu klaren Bewertungen führt, zeigt auch das diesmal in den meisten Punkten einvernehmliche Votum des Ethikrats, mit dem das Gremium viele segensreiche Möglichkeiten der Forschung zu Recht bewahren, einzelne Auswüchse hingegen verhindern will. So sprach sich das Gremium klar für die Herstellung von Versuchstieren mit menschlichen Genen aus; Mischembryonen sollten aber nicht in die Gebärmutter einer Frau oder eines Tieres eingepflanzt werden dürfen.

Die grundsätzliche Andersartigkeit von Mensch und Tier scheint dem Menschen seit jeher unumstößlich zu sein. Zwar löst er in der Kunst seit Jahrtausenden, zugleich schaudernd und fasziniert, die Grenze zwischen seinesgleichen und anderen Wesen auf und ermöglicht so eine ganz neue Betrachtung der eigenen Daseinsform. Was jedoch nichts daran ändert, dass sich in allen Kulturen der Mensch über das Tier stellt.

Verständlicherweise schockiert es deshalb viele, dass Wissenschaftler die Barrieren zwischen Mensch und Tier willentlich einreißen. Seit Jahrzehnten schon, nicht erst seit den Mensch-Kaninchen-Embryonen aus China, vermengen Forscher Menschliches mit Tierischem. Das ist allerdings in den meisten Fällen nicht so brisant, wie es sich zunächst anhört. Was heutzutage in Labors erzeugt wird, ist weitaus weniger furchterregend als die wutschnaubende und feuerspeiende Chimäre, die durch Homers Ilias sprang.

Die Erkenntnisse der Biologie haben das Selbstverständnis des Menschen immer wieder bis ins Mark erschüttert. Die gedankliche Barriere, die der Mensch zwischen sich und der Tierwelt errichtet hat, lässt sich wissenschaftlich kaum mehr nachvollziehen. Eiweiße, Zucker, Fette und Nukleinsäuren - das ist letztlich der Baukasten des Lebens, gleichgültig um welches Leben es sich handelt.

Kühl betrachtet, liegt es deshalb buchstäblich in der Natur der Sache, dass sich die Lebensbausteine des Menschen mit jedem beliebigen Tier vermischen lassen. Trotzdem sind den Labors bisher Chimären und Zentauren nicht entsprungen. Denn Forscher arbeiten immer noch auf der Ebene von Genen oder Zellen. So tragen Ratten menschliche Krankheitsgene in sich, damit Wissenschaftler lernen, diese zu regulieren. Und um Behandlungsansätze zu erkunden, bekommen Mäuse menschliche Krebszellen verabreicht.

Sieht man vom Tierschutz ab, ist an diesen Forschungen wenig auszusetzen: Einige menschliche Zellen im Körper machen ein Tier noch lange nicht zum Menschen. Zahllose Patienten tragen heute Herzklappen vom Schwein. An ihrem Menschsein hat das nichts geändert.

Selbst einzelne Projekte, bei denen menschliche Hirnzellen in die Gehirne von Affen gespritzt werden, haben nicht die Brisanz, mit der sie oft wahrgenommen werden und die auch der Ethikrat ihnen zuschreibt. In den Köpfen der Affen werden kaum neue Gedanken entstehen, denn in den Nervenzellen selbst befindet sich nichts Menschliches.

Geist und Bewusstsein entstehen letztlich durch die große Zahl an Gehirnzellen und durch die Art ihrer Vernetzung. Wer aber zum Beispiel Zellersatz für Parkinsonkranke entwickeln will, dem werden Maus-Versuche auf Dauer nicht reichen. Einzelne, wohlüberlegte Experimente an Affen werden gerade deshalb nötig werden, weil sie ethisch nicht zu rechtfertigende Versuche an Menschen umgehen.

Der seriösen Wissenschaft geht es bei der Forschung mit Mischwesen also nicht um die Erschaffung von Zentauren und auch nicht um die bloße, ungebremste Neugier, was wohl passieren mag, wenn ein Kaninchen das Erbgut eines Menschen austrägt. Gleichwohl müssen solchen Ambitionen Riegel vorgeschoben werden. Denn eines Tages könnte die Kreation lebender Tier-Mensch-Chimären tatsächlich möglich sein.

Es mag auf diesem Planeten einzelne skrupellose Embryonenbastler geben, die versuchen, Menschentiere herzustellen. Richtig ist es deshalb, die Einpflanzung solcher Mischembryonen in eine Gebärmutter zu ächten. Dazu sind auch Gesetze nötig. Denn jene Grenze zur Tierwelt, die sich der Mensch in seinem tiefsten Inneren wünscht, können letztlich nur juristische Schranken aufrechterhalten. Die Biotechnologie überwindet sie allzu leicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1150550
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.09.2011/liv
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.