Essen im All:"Astronauten mögen es gern etwas schärfer"

Tabasco, Doppelkeks und Drinks ohne Kohlensäure: Die Nasa-Mikrobiologin Vickie Kloeris bestimmt, was in der Raumstation ISS auf den Tisch kommt.

Claudia Fromme

Wenn die Nasa im All den Tisch deckt, hat Vickie Kloeris, 51, ein gewichtiges Wort mitzureden. Die Ernährungswissenschaftlerin leitet die Abteilung Space Food Systems am Johnson Space Center der Nasa in Houston, Texas, und ist verantwortlich für das leibliche Wohl an Bord der Internationalen Raumstation ISS wie auch auf den US-Shuttleflügen. Seit 21 Jahren erforscht die Mikrobiologin Astronautenkost.

Essen im All: Vickie Kloeris entwickelt für die Nasa Astronautenkost.

Vickie Kloeris entwickelt für die Nasa Astronautenkost.

(Foto: Foto: Nasa)

SZ:: Fast fünf Monate kreist Thomas Reiter nun schon im All. In jeder Liveschalte rühmt er den tollen Blick auf die Erde. Fragen zur Kost beantwortet er stets nur knapp mit "zufriedenstellend". Schmerzt Sie das, Mrs. Kloeris?

Kloeris: Na ja, bis jetzt hat sich Thomas Reiter noch nicht bei mir über das Essen beschwert. Es ist sicher nicht unbedingt Gourmetküche, dazu gibt es einfach zu viele Dinge zu beachten. Die Speisen müssen lange haltbar sein, mindestens ein Jahr. Getränke werden oft pulverisiert, Gerichte gefriergetrocknet. An Bord fügt man Wasser zu, knetet den Beutel durch - fertig. Oder die Gerichte werden extrem erhitzt, also thermostabilisiert, um haltbar zu bleiben. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre eine Lebensmittelvergiftung im All.

SZ: Aber Sie engagieren doch sogar Gourmetchefs fürs All, etwa den US-Koch Emeril Lagasse. Und am Wochenende wird ein Menü des französischen Drei-Sterne-Kochs Alain Ducasse serviert. Wachteln gibt es, Muskatnusspüree ...

Kloeris: Ja, aber das sind Ausnahmen. Und was am Ende rauskommt, unterscheidet sich sehr vom Originalrezept, da müssen wir im Labor ziemlich ran. Dennoch lieben die Astronauten solche "Special Event Meals", wie wir sie nennen. Um Ducasse haben sich meine russischen Kollegen gekümmert, wir teilen uns ja die Küche an Bord der ISS. Wir von der Nasa haben für die ISS Rezepte von Lagasse gefriergetrocknet. Das war Cajun- und kreolische Küche. Ehrlich gesagt sind Köche aber nicht die geeignetsten Personen, um Astronautenkost zu entwickeln.

SZ: Warum nicht?

Kloeris: Köche kochen Essen, das sofort verzehrt wird. Wir aber entwickeln Essen, das lange halten muss. Wir tüfteln im Labor auch mehr an der Verpackung herum als am Geschmack. Und wir achten streng auf den Nährwert. Köche machen sich wenig Gedanken über den Fettgehalt oder wie viel Salz sie beigeben. Dabei ist Salz knifflig. Durch salzige Kost im All wird den Knochen Mineralien entzogen und sie werden schneller brüchig.

SZ: Im All bewegt man sich ja kaum, da muss man sicher weniger essen, oder?

Kloeris: Es gibt keinen großen Unterschied beim Kalorienbedarf zwischen All und Erde. In der Schwerelosigkeit muss man immer arbeiten, um da zu bleiben, wo man gerade ist. Zudem setzt sofort der Muskelabbau ein. Darum ist eine gute Ernährung und ein Bewegungsprogramm sehr wichtig. An Bord macht die Crew täglich zwei Stunden Fitnesstraining.

SZ: Ducasse hat seine Astronautenkost von Prinz Albert II. von Monaco auf einer Nordpol-Expedition testen lassen. Haben Sie auch so berühmte Testesser?

Kloeris: Nein, wir testen zuerst alles selbst. Vor der Mission probieren es dann auch die jeweiligen Astronauten. Aus Kostengründen entwickeln wir im Jahr nur ein bis zwei neue Produkte. Derzeit arbeiten wir an gefriergetrocknetem Humus.

SZ: Klingt gewöhnungsbedürftig.

Kloeris: Das schmeckt, glauben Sie mir. Ich habe mal einen Monat lang nur Astronautenkost gegessen, und ich fand es gut. Und das ist schon ein paar Jahre her, da gab es noch keine große Auswahl. Bei der Nasa gibt es heute 150 Posten im Standardmenü. Und bei der ISS kommen noch 150 russische Artikel dazu. Die Crew wählt aus beiden Angeboten aus.

"Astronauten mögen es gern etwas schärfer"

SZ: Und was gibt es bei den Russen?

Essen im All: Favorit bei fast allen Crewmitgliedern ist der Shrimpscocktail.

Favorit bei fast allen Crewmitgliedern ist der Shrimpscocktail.

(Foto: Foto: AP)

Kloeris: Eher russische Küche. Roggenbrot oder Borschtsch zum Beispiel.

SZ: Wodka? Da gibt es ja Gerüchte ...

Kloeris: Das sollte nicht so sein. Von amerikanischer Seite jedenfalls schließen wir Alkohol an Bord aus.

SZ: Wie funktioniert so eine amerikanisch-russische Küche im All?

Kloeris: Bei Shuttle-Missionen gibt es nur US-Essen, klar. Auf der ISS teilen wir das ein. Jeden Tag gibt es vier Gerichte: Frühstück, Mittagessen, Abendessen und einen Snack. Zwei davon sind immer russisch, zwei amerikanisch.

SZ: Was kocht die Nasa?

Kloeris: Lasagne, Fajitas, Teriyaki Chicken, Gratins, Vanillepudding... Eine ganze Menge also.

SZ: Gibt es auch Elchfleisch?

Kloeris: Nein, wie kommen Sie darauf?

SZ: Christer Fuglesang kündigte unlängst an, dass er Elchfleisch mitnimmt, wenn er im Dezember als erster Schwede ins All geht.

Kloeris: Zusätzlich zum Basisangebot darf sich jeder Astronaut ein sehr begrenztes Kontingent an Bonusartikeln wünschen. Tatsächlich gab es diese Anfrage aus Schweden. Da kann ich Ihnen aber direkt sagen: Der Elch fliegt nicht mit. Ohnehin werden bei einem kurzen Shuttleflug nur wenige Extrawünsche erfüllt. Alles muss auf zwei Tabletts passen - für alle Astronauten. Wer länger im All ist, wie Thomas Reiter, darf sich mehr wünschen.

SZ: Was hat er sich denn gewünscht?

Kloeris: Da muss ich mal nachsehen. Ah ja. Westfälischen Pumpernickel, mittelscharfen Senf, Münchner Dunkelbierkäse, Hering in Burgundersauce ...

SZ: Sagten Sie Burgundersauce?

Kloeris: Keine Sorge, wenn wir im Labor mit den Heringen fertig sind, ist da garantiert kein Alkohol mehr drin.

SZ: Was isst Thomas Reiter noch?

Kloeris: Da sind noch einige deutsche Sachen, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Die wurden zu uns geschickt und wir haben sie verpackt. Warten Sie mal. Doppelkeks? Hanuta? Was ist das?

SZ: Cookies und Waffeln, die mit Schokolade gefüllt sind. Das Zeug krümelt wahnsinnig, nicht ideal fürs All, oder?

Kloeris: Nein, eher nicht. Wir empfehlen Astronauten immer, so etwas zu vermeiden. Einige aber bestehen darauf, dass sie mit den Krümeln schon klarkommen. Wenn sie dann aus dem All zurück sind, sagen sie oft: Ich hätte auf dich hören sollen. Wissen Sie, wenn die Krümel in der Schwerelosigkeit herumschwirren, können sie sich in Geräten festsetzen oder in die Augen oder Nase fliegen.

"Astronauten mögen es gern etwas schärfer"

Essen im All: Lieber nicht: Kohlensäurehaltige Getränke im All bringen einen Blähbauch.

Lieber nicht: Kohlensäurehaltige Getränke im All bringen einen Blähbauch.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Wie sieht es mit Cola aus?

Kloeris: Nein, besser nicht. Denn wer kohlensäurehaltige Getränke im All trinkt, kriegt einen Blähbauch, und das kann richtig unangenehm werden. Wenn man auf der Erde rülpst, sind das trockene Rülpser. Wenn man das im All macht, kommt ein Teil des Essens wieder hoch.

SZ: Also besser keine Cola. Was ist das beliebteste Gericht im All?

Kloeris: Shrimpscocktail in Tomatensauce. Das gibt es seit dem Start des Shuttle-Programms 1981. Viele mögen das, weil es pikant ist, da ist Meerrettich drin.

SZ: Ändert sich nicht der Geschmack mit wachsender Entfernung zur Erde?

Kloeris: Wissenschaftlich nachgewiesen ist das nicht, aber viele Astronauten berichten, dass ihnen im All alles viel fader schmeckt. Die Schwerelosigkeit beeinflusst auch stark, wie wir riechen. Gerüche steigen nicht zur Nase auf, sondern wabern einfach durch den Raum.

SZ: Es könnte also passieren, dass ein Astronaut auf der Erde Essen auswählt, das ihm im All gar nicht mehr schmeckt?

Kloeris: Der Geschmack ändert sich ja nicht um 100 Prozent, es sind nur kleine Veränderungen. Viele Astronauten mögen es im All etwas schärfer, daher bestellen sie meist viel Würze: Ketchup, Tabasco, Senf. Die Russen bringen gerne Knoblauch und rohe Zwiebeln mit. Angeblich soll das sogar schmecken. Gut, der Geruch, das ist eine andere Sache.

SZ: Haben Sie mit einem Gericht auch schon einmal so richtig daneben gelegen?

Kloeris: Oh ja. Wir haben mal Schwertfisch in Tomatensauce entwickelt, und dachten, uns wäre da etwas ganz Feines gelungen und etwas sehr Schlaues obendrein, weil die Tomatensauce den fischigen Geruch überdecken sollte. Das hat nicht funktioniert, es muss ziemlich übel gerochen haben im Shuttle. Danach gab es so viele Beschwerden, dass wir das Produkt aus dem Angebot genommen haben.

SZ: Was ist in Ihrer Arbeit die größte Herausforderung?

Kloeris: Sicherlich, dass wir keine Kühlung an Bord haben. Wenn ein Produkt ein Jahr lang bei Raumtemperatur haltbar sein muss, fallen viele Sachen weg. Japanische Astronauten wünschen sich oft Sushi. Roher Fisch geht natürlich gar nicht ohne Kühlung. Seit einiger Zeit testen wir auch, wie Astronautenkost für Marsmissionen aussehen könnte.

SZ: Und?

Kloeris: Das ist noch ein langer Weg, weil die Produkte fünf Jahre lang haltbar sein müssen. Allein der Flug zum Mars dauert ein halbes Jahr. Das begrenzt uns in der Auswahl. Zudem ist es eine Geldfrage. Heute kostet es 20.000 Dollar, ein Kilo Material ins All zu bringen. Zum Mars wäre es ein Vielfaches. Daher machen wir uns auch schon Gedanken über Gewächshäuser auf dem Mars. Darin könnte man Soja, Kartoffeln und Getreide anbauen. Eines ist aber schon heute klar: Je länger die Aufenthalte im All werden, desto mehr nimmt die Bedeutung des Essens zu.

SZ: Warum?

Kloeris: Es ist psychologisch wichtig. Das Essen ist eines der wenigen Dinge im All, die Variation zulassen, die zum Wohlbefinden beitragen. Auch wenn Kreppband die Sachen auf dem Tablett festhält, Besteck mit Magneten fixiert ist und man viel aus Tüten lutscht, sagen mir Astronauten immer wieder, dass sie sich richtig auf die gemeinsamen Mahlzeiten freuen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: