"Bei der geomantischen Begehung und Analyse im Projektteam erkannten wir die Präsenz von Nymphen auf dem Grundstück. Daher empfiehlt es sich, das Neubaugebiet in Bauabschnitten zu erschließen, um ausreichende Rückzugsmöglichkeiten für die Naturwesen zu ermöglichen."
Wer vermutet, diese Sätze würden aus einer modernisierten Fassung eines Grimm'schen Märchens stammen, täuscht sich. Sie sind Teil des Vorentwurfs zu einem Bebauungsplan der schwäbischen Gemeinde Mertingen bei Donauwörth.
"Durch die systemische Aufstellungsarbeit nahmen wir Kontakt zu den vorherrschenden Energien auf und erkannten die Notwendigkeit, für die Nymphen einen entsprechenden Raum zu schaffen", schreibt der Verfasser Norbert Mannes weiter. "Dieser sollte Platz zum Tanzen bieten und verspielt sein." Wie der Diplomingenieur weiter erklärt, sei daraufhin die Idee entstanden, "dem Neubaugebiet die Form einer Lotus- bzw. Seerosenblüte (bot. Nymphea) zu geben".
Doch nicht nur Hinweise auf Nymphen konnte Mannes wahrnehmen. Durch "Fernpeilung" identifizierte er einen strahlenden "Engelfokus" im Mertinger Gemeindewald spürbar "als helle, lichte und heilige Energie ". Engel sind ihm zufolge die Genien ganz besonderer Plätze. Aber auch den passenden Gegenpol konnte der Experte bestimmen: den Fokus der Unterwelt.
Seine Erkenntnisse hat Mannes vor allem mit Hilfe einer Wünschelrute gewonnen, er wendet also die sogenannte Radiästhesie an. Wobei, wie er in seiner Arbeit schreibt, auch das Pendel ein weiteres Hilfsmittel sein kann.
Von solcher Expertise beeindruckt stimmte der Gemeinderat dem geomantisch orientierten Vorentwurf für "Mertingen Süd" im Mai 2011 zu. Seit einigen Tagen kann der Bebauungsplan nun im Internet betrachtet werden.
Energetische und geistige Qualitäten von Orten
Bürgermeister Albert Lohner bestätigte sueddeutsche.de, dass der Gemeinderat und er voll hinter dem Plan stünden, der auf der Grundlage der Empfehlung von Mannes beruht. Begeistert weist Lohner auf das Organische hin, das in der lotosblütenähnlichen Konzeption stecke. Das Thema Geomantie selbst, jene Wissenschaft, derzufolge sich die energetischen, seelischen und geistigen Qualitäten eines Ortes mit Hilfe von Gefühlen und Geräten wie der Wünschelrute erfassen lassen sollen, will Lohner dagegen nicht diskutieren.
Die Mertinger sind nicht die Einzigen, die Neubaugebiete auf Grundlage geomantischer Untersuchungen oder nach Feng Shui planen ließen. Allein Mannes kennt sieben weitere entsprechende Projekte, wie er in seiner Diplomarbeit berichtet. Das ist, neben dem esoterischen Charakter, das Zweite, was an dem Bebauungsplan ungewöhnlich ist. Er beruht auf der Diplomarbeit "Geomantische Stadtraumerweiterung", die Mannes an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf angefertigt hat. (Nachdem dieser Artikel veröffentlicht wurde, hat Mannes seine Arbeit offenbar aus dem Netz genommen. Deshalb führte ein entsprechender Link hier ins Leere und wurde entfernt.)
Tatsächlich ist es gar nicht so ungewöhnlich, dass an deutschen Universitäten Studienabschlüsse auf der Grundlage der esoterischen Weltbilder gemacht werden, die hinter der Geomantie und Feng Shui stecken. Allein an der Hochschule in Weihenstephan bei Freising wurden mindestens fünf entsprechende Diplomarbeiten verfasst, weitere Abschlussarbeiten über Geomantie hat der überzeugte Wünschelrutengänger Professor Eike Georg Hensch an der FH Hannover betreut.
Und glaubt man Stefan Brönnle, einem Geomantie- und Feng-Shui-Experten, so wurden seine Spezialgebiete in den vergangenen Jahren an mindestens neun deutschen Fachhochschulen, Technischen Universitäten und an der LMU München in Form von Vorträgen oder Vorlesungen an die Studenten herangetragen. "Eine Fülle von Diplomarbeiten" sei darauf gefolgt, so Brönnle.
Überprüfen lassen sich seine Angaben nur schwer. Er selbst hat sein Diplom zum Thema "Spiritualität und Landschaft" an der TU München/Weihenstephan gemacht, schreibt Bücher und Artikel zum Thema, verpricht, Menschen das Hellsehen beizubringen und betreibt ein Büro für geomantische Planung.
Wie zuerst der Journalist Dirk Maxeiner berichtete, hat Diplomingenieur Brönnle unlängst eine weitere Aufgabe übernommen: Die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf hat ihm für das Wintersemester 2011 einen Lehrauftrag erteilt: Brönnle darf dort "Radiästhesie, Ätherwissenschaften, Geomantie & Feng Shui in der Stadtplanung, Geomantische Landschaftsinterpretation, Geomantie und Feng Shui in der Gartengestaltung u. a." vorstellen, wie er selbst verkündet.
Die Vorlesungen hält Brönnle für den Fachbereich "Landschaftsarchitektur", und zwar im Rahmen des Wahlpflichtfachs "Landschaftsästhetik & Geomantie und Feng Shui in der Landschaftsarchitektur". Das Thema "Landschaftsästhetik" wird dabei von Professor Frieder Luz übernommen.
Irritierend ist die Arbeit der Wünschelrutengänger an deutschen Hochschulen nicht nur wegen des esoterischen Weltbildes. Dazu kommt, dass sie zum Beispiel regelmäßig versagen, wenn sie in Experimenten ihre angebliche Fähigkeit, Wasser aufspüren zu können, beweisen sollen. Überhaupt legen die Anhänger der Radiästhesie einen gravierenden Mangel an geologischen Grundkenntnissen an den Tag, wenn sie etwa auf Wasseradern hinweisen. Grundwasser fließt normalerweise nicht in Adern, sondern auf breiter Fläche. Lediglich in verkarsteten Kalksteinformationen findet man gelegentlich unterirdische Bäche - von denen keine Strahlen ausgehen.
Und auch die von den Esoterikern beschriebenen Phänomene wie das Hartmanngitter - ein Gitter von erdmagnetischen "Reizstreifen" -, das Curry-Netz der Erdstrahlen und irgendwelche "feinstoffliche" Wirkung diverser Ursachen konnte noch niemand mit wissenschaftlichen Methoden nachweisen.
Dazu kommt, dass Wünschelruten und Pendel nicht auf die Umwelt, sondern auf unbewusste Muskelbewegungen reagieren. Man spricht hier vom Carpentereffekt.
Trotzdem werden Wünschelrutengeher nicht müde, gerade die angebliche Wissenschaftlichkeit ihrer Arbeit zu betonen. Sie berufen sich einerseits auf eine jahrhundertealte Erfahrung, bezeichnen ihre eigene Tätigkeit jedoch als moderne physikalische Radiästhesie.
Sie sprechen von frequenzgenauer Abstimmung der emittierten Wellenlängen, von disharmonischen Zonen, harmonisierenden Frequenzen und persönlichen Schwingungen. Um diese Wellen und Schwingungen wahrzunehmen, benötigt es allerdings eine gewisse Strahlenfühligkeit. Sowohl die Strahlen als auch ihre Wirkung auf den Menschen entziehen sich so natürlich elegant der direkten wissenschaftlichen Überprüfbarkeit.
Überprüfbar sind jedoch die Argumente der Wünschelrutengänger - und ihre angeblichen Erfolge. "Wäre der Rutenausschlag eine Fiktion, wie einige behaupten, so wäre sie längst aufgegeben worden", behauptet Brönnle auf seiner Homepage. "Denn allein durch Versuch und Irrtum hätte man wohl kaum über Jahrhunderte Wasseradern zur Brunnenbohrung oder Erzgänge finden können." Dann verweist er insbesondere auf das Buch De re metallica des berühmten Bergbauexperten und Vaters der Mineralogie, Georgius Agricola (1495-1555).
In seinem Buch stellte Agricola allerdings vor fast 500 Jahren bereits fest: " ... so ergibt sich notgedrungen, dass die Handhabung die Ursache für die Bewegung der Rute ist." Der einfache Bergmann glaube jedoch deshalb an die Brauchbarkeit der Wünschelrute, weil die Rutengänger manchmal Gänge durch Zufall fänden, schreibt er. "Aber viel öfter wenden sie die Mühe vergeblich aus ..." ( De re metallica, Libri XII, Basel 1556).
Das verschweigt Brönnle allerdings lieber, und bezieht sich stattdessen auf eine alte Studie von Professor Herbert König von der Technischen Universität München. Der sei "in seiner Untersuchung im Auftrage des Bundesforschungsministeriums durch Doppelblindversuche mit künstlichen Magnetfeldern und Wasserleitungen zu dem Schluss" gekommen, "dass der Ausschlag einer Wünschelrute bei einem Radiästheten mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9999 % nicht als Zufall anzusehen ist".
Tatsächlich hatte die Bundesregierung in den achtziger Jahren eine Studie finanziert, die sich ursprünglich mit Erdstrahlen und Krebserkrankungen beschäftigen sollte. Die mit der Untersuchung beauftragten Münchner Physikprofessoren Herbert König von der TU und Hans-Dieter Betz von der LMU beschlossen jedoch, zuerst einmal zu überprüfen, ob Rutengänger eine Strahlung aus der Erde überhaupt feststellen können.
Nicht wiederholbare Ergebnisse
In Versuchen mit mehreren hundert Rutengängern auf Teststrecken im Freiland stellten sie 1989 fest: "dass der Anspruch, durchschnittlich ausgebildete Rutengänger könnten nach eindeutigen Kriterien bestimmte Orte identifizieren, in das Reich des Wunschdenkens verwiesen werden muss".
Dann aber unternahmen sie ihr berühmtes " Scheunenexperiment", bei dem Rutengänger vom ersten Stock einer Holzhütte aus Wasserleitungen im Stockwerk darunter aufspüren sollten. Die Leitungen wurden zufallsgesteuert verschoben. Dabei stellten die Forscher fest: "Die durchschnittliche Trefferwahrscheinlichkeit muss als gering eingestuft werden".
Einige der Rutengänger aber orteten Wasser zwar nicht so häufig, wie sie selbst vorhergesagt hatten. Doch immerhin lagen sie so oft richtig, "dass die Existenz des Phänomens rutengängerischer Ortserkennung im statistischen Sinn mit hoher Signifikanz nachgewiesen werden konnte".
Die Ergebnisse ließen sich in späteren Versuchen allerdings nicht wiederholen. Und 1995 überprüfte James Thomas Enright, Experte für Biorhythmen und Biosensorik an der University of California in San Diego die Daten der Münchner Physiker. Sein Ergebnis: Selbst die besonders erfolgreichen Rutengänger hatten im Scheunenexperiment doch nur zufällig getroffen.
Das aber hindert Hans-Dieter Betz, der in München Atomphysik lehrte, nicht, weiterhin an seiner Überzeugung festzuhalten. Er verweist, wie viele Esoteriker, zur Erklärung auf quantenphysikalische Phänomene: "Wir haben hier beim Rutengänger offensichtlich ein makroskopisches System, wo auch eine noch unerklärte Informationskopplung, Informationskorrelation vorliegt", sagte er noch 2005 in Arte.
Zitiert wird er von Professor Friedrich H. Balck von der Technischen Universität Clausthal. Auch Balck hat an der TU in den vergangenen Jahren Vorlesungen und Vorträge gehalten zu Wellen und Wahrnehmung. Er ist überzeugt davon, dass wir Menschen "im Verlauf der Evolution manche unserer früher erlernten Fähigkeiten zur Kommunikation mit der Umwelt wieder verlernt" haben. Aber immerhin gebe es noch Menschen mit Resten dieser natürlichen Fähigkeiten, sich auch ohne das übliche Sehen und Hören räumlich orientieren zu können, schreibt er.
Auf Studien von Biologen kann er sich dazu nicht stützen. Er beruft sich stattdessen zum Beispiel auf eine Doktorarbeit der Universität Innsbruck: Dort hatte der Diplomingenieur Jörg Purner 1981 mit Hilfe von Rutengängern festgestellt, dass Kirchen und Kultstätten auf besonderen Plätzen stehen.
Andere Experten gehen allerdings davon aus, dass Purners Ergebnisse die Folge von Autosuggestion sind. Friedrich Balck hält solche Arbeiten trotzdem für hilfreich, um das Weltbild zu erweitern. Schließlich diskutiere man in der Forschung zurzeit ja auch, "ob das Bewusstsein eines Menschen ausschließlich in seinem Gehirn untergebracht ist". Tut man das? Wer solche Angaben überprüft, macht in der Regel die Erfahrung, dass sich hier die Vertreter esoterischer Weltbilder gegenseitig zitieren. Auch Balck beruft sich nicht auf einen seriösen Forscher, sondern auf einen niederländischen Parapsychologen.
Angesichts der vielen Lehrstühle, die sich in Deutschland mit Architektur und Landschaftsarchitektur beschäftigen, erscheint die Zahl der Anhänger der esoterischen Lehren der Geomantie und des Feng Shui gering. Doch wenn man den Anspruch der Hochschulen ernst nimmt, die Studenten zur "Anwendung wissenschaftlicher Methoden" zu befähigen ( Präsident Herrmann Heiler von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf), wundert man sich über jede einzelne entsprechende Veranstaltung.
Die Diplomarbeit von Norbert Mannes, der in der Umgebung von Mertingen den Nymphen auf die Spur gekommen ist, wurde übrigens mit einer glatten Eins benotet - von Professor Frieder Luz. Auf eine Nachfrage, wie es in Weihenstephan zu dieser Arbeit und zu der Vorlesungsreihe mit Stefan Brönnle gekommen ist, haben weder Hochschul-Präsident Heiler noch Professor Luz reagiert.