Süddeutsche Zeitung

Ernährung und Landwirtschaft:Rettet das Wollschwein

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15 Tierrassen machen heute 90 Prozent aller Nutztiere weltweit aus. Um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, brauchen wir aber genetische Vielfalt, warnen Experten.

Anke Fossgreen

Die dunkel behaarten Ohren des Wollschweins, die seine kleinen Augen bedecken, wippen auf und ab, als das Tier zum Zaun trottet. Die Schauer, die aus den tief hängenden Wolken über dem Freigehege abregnen, stören es nicht. Das robuste Tier kann sogar im Winter im Freien bleiben.

Trotzdem hält kaum mehr ein Züchter das pelzige Schwein - noch vor 150 Jahren war es in Europa verbreitet. Heute ist das Wollschwein eine Rarität, eine seltene Nutztierrasse, ausgestellt auf einer Wiese in Interlaken.

In dem Schweizer Ort trafen sich vergangene Woche Vertreter aus 120 Ländern, um darüber zu beraten, wie die verschiedenen Nutztierrassen weltweit geschützt werden können. Ein Anliegen, das nichts mit "Romantik" zu tun habe.

Vielmehr gehe es darum, "die Versorgung einer wachsenden Bevölkerung zu gewährleisten", betonte Alexander Müller von der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO).

Ziel der FAO ist es, die genetische Vielfalt der Nutztiere weltweit zu sichern. Manche Rassen trotzen Krankheiten, andere überstehen Trockenperioden oder Kälte - wie eben das Wollschwein. Doch viele dieser angepassten Spezialisten werden von modernen und oft anfälligen Hochleistungsrassen verdrängt: Heute machen nur 15 Tierrassen 90 Prozent aller Nutztiere weltweit aus. Die Holsteiner Kuh ist beispielsweise das am weitesten verbreitete Rind der Welt. Sie ist in 128 Ländern verbreitet, obwohl sie gar nicht für jede Umgebung geeignet ist.

Daten aus 169 Ländern

Über zehn Jahre lang hat die FAO nun all die verschiedenen Rassen von Nutztieren erfasst - und zwar weltweit. Der Bericht "Tiergenetische Ressourcen", in dem Daten aus 169 Ländern zusammengefasst sind, führt 7616 verschiedene Rassen auf: Ziegen, Schafe, Rinder, Schweine, Geflügel und selbst ungewöhnliche Nutztiere wie Meerschweinchen.

Bei 20 Prozent der erfassten Rassen sind die Bestände so niedrig, dass sie vom Aussterben bedroht sind. In den meisten Regionen der Welt sind zwei Drittel der Rassen lokale Züchtungen. Das heißt, sie kommen nur in einem einzigen Land vor.

Das ist auch in Europa der Fall. Dennoch sind in Europa die meisten Rassen vom Aussterben bedroht, gefolgt von Nordamerika. "Diese beiden Regionen haben eine hoch spezialisierte Nutztierproduktion, die durch eine kleine Anzahl von Rassen dominiert wird", hält der FAO-Bericht fest. So leben in Europas Schweineställen heutzutage fast nur noch die zahlreichen Nachkommen englischer Edelschweine. Sie haben lokale Landrassen, die sich nicht so gut für eine intensive Stallhaltung eignen, längst verdrängt.

Tiere lebend erhalten

Die FAO schätzt jedoch, dass weit mehr Rassen gefährdet sind als die bestätigten 20 Prozent. "Uns machen auch die fehlenden Bestandszahlen Sorgen", sagt Barbara Rischkowsky von der FAO. Die Mitherausgeberin des Berichts wies darauf hin, dass die FAO bei einem Drittel der aufgeführten Rassen die Anzahl der noch vorhandenen Tiere nicht kennt.

Zum Schutz der Nutztierrassen-Vielfalt beschlossen die Konferenzteilnehmer in Interlaken einen "strategischen Aktionsplan". Der verbindliche Plan muss nun von den einzelnen Ländern umgesetzt werden. Die vordringlichste Maßnahme sei es, die Tiere lebend zu erhalten, also nicht nur Samenbanken einzurichten, erläutert Fritz Schneider von der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft in Zollikofen einen der 23 Punkte des Papiers.

Um seltene Rassen zu bewahren, sollten Tierhalter ermutigt werden, diese zu züchten. Diese Rolle hat beim Wollschwein in der Schweiz die Stiftung Pro Specie Rara übernommen. Die Vereinigung setzt sich seit 25 Jahren für bedrohte Nutztierrassen ein.

Heute sind jedoch fast 70 Prozent der lokalen Nutztierrassen in den Entwicklungsländern zu finden. Doch auch in den ärmeren Ländern führt der Trend hin zu einer intensiven und zum Teil industrialisierten Landwirtschaft mit leistungsfähigen, hochgezüchteten Rassen. In Nordvietnam standen noch 1994 zu 72 Prozent einheimische Schweinerassen in den Ställen.

Innerhalb von nur acht Jahren fiel der Anteil auf 26 Prozent. "Von den lokalen 14 Schweinerassen sind jetzt fünf gefährdet, zwei im kritischen Zustand und drei vom Aussterben bedroht", sagt Carlos Seré, Leiter des Internationalen Nutztier-Forschungsinstituts in Kenia und Äthiopien (ILRI).

Friesen in Afrika

Der Bedarf an tierischen Lebensmitteln steigt beständig an. Kurzfristig bringen fremde Rassen aus Europa oder Nordamerika zwar einen Vorteil: viel Fleisch, Milch oder Eier. Doch sie sind das gemäßigte Klima gewohnt.

Die friesische Holsteinkuh liefert zwar eine Menge Milch, aber bei einer Dürre überlebt sie den weiten Weg zur Wasserquelle nicht - anders als ihre afrikanischen Verwandten. Ebenso kann sie nicht dem Erreger der Schlafkrankheit trotzen, wie einige in Westafrika heimische Rassen.

"Es gibt einen auffallenden Unterschied zwischen dem Schutz von Pflanzen und Nutztierrassen", stellte Rischkowsky fest. Nicht nur das Vertragswerk ist bei den Nutzpflanzen weiter fortgeschritten. "Die Pflanzenforscher können größere Genbanken anlegen. Man kann Pflanzensamen einfach besser lagern", sagt Schneider.

Die Samen, Eizellen oder Embryonen von Tieren müssen hingegen in flüssigem Stickstoff aufbewahrt werden, eine teure Methode, zu der nicht alle Länder Zugang haben. "Dieses Verfahren sollte nur ergänzend eingesetzt werden, um die genetische Vielfalt zu erhalten", sagt Schneider. Bisher gebe es in den USA, in Europa, China, Indien und Südamerika etablierte Genbanken, so Carlos Seré. "Leider ist das in Afrika nicht der Fall." Dieser Mangel sei besonders stark zu spüren, da Afrika eine der Regionen mit der größten verbleibenden Vielfalt ist.

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Quelle:
SZ vom 11.9.2007
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