Süddeutsche Zeitung

Ernährung:Mehlwürmer auf den Teller

Insekten könnten in Zukunft die ideale Eiweißquelle werden. Damit sie eine Mehrheit der Deutschen isst, braucht es aber einige Überzeugungsarbeit.

Kommentar von Christian Gschwendtner

Manche Essgewohnheiten verändern sich so schnell, dass selbst Wissenschaftler nicht mehr mithalten können. Insekten-Lebensmittel sind ein gutes Beispiel. Während Forscher im Labor noch brav untersuchen, ob sie auch hierzulande auf den Speiseteller gehören, ist die Realität viel weiter fortgeschritten. In ausgewählten bayerischen Traditionswirtschaften bekommt man inzwischen Rindergeschnetzeltes mit Mehlwürmern oder Grillen-Spaghetti vorgesetzt, in hippen Innenstadtbezirken liegen die Insektensnacks sowieso im Trend. Der Grund ist eine neue EU-Lebensmittelverordnung, die erst seit ein paar Monaten in Kraft ist. Sie erlaubt, was in Europa lange ein Tabu war: Insekten zum Verzehr zu züchten, sie zu Nahrungsmitteln zu verarbeiten und zu verkaufen. Auf wissenschaftliche Langzeitstudien will seitdem niemand mehr warten.

Ganz überraschend ist der Boom freilich nicht. Weltweit ernähren sich immerhin zwei Milliarden Menschen regelmäßig von Krabbeltieren. Nichts spricht dagegen, dass sich die Essgewohnheiten nicht auch in Europa fundamental ändern können. Die Welternährungsorganisation empfiehlt das Insektenessen schon länger - mit guten Gründen: Insekten verfügen über einen dreimal höheren Eiweißanteil als Wirbeltiere und über wichtige ungesättigte Fettsäuren.

Insekteneiweiß könnte unter Umständen leichter Allergien auslösen

Gleichzeitig schonen sie die Umwelt. Wer Insekten züchtet, verbraucht im Vergleich zur Rinder- und Mastschweinzucht deutlich weniger Wasser und produziert weniger Treibhausgase. Auch die ethischen Bedenken fallen weg: Mehlwürmer und Heuschrecken leiden nicht, wenn man sie auf engem Raum zusammenpfercht. Das prädestiniert sie besonders für die moderne Massentierhaltung. Insekten sind die ideale Eiweißquelle, wenn demnächst zehn Milliarden Menschen die Erde bevölkern.

Aufhalten lässt sich der Trend nicht. Dafür gibt es bereits zu viele Firmen und Institute, die essbare Insekten unter lebensmittelhygienischen Bedingungen züchten wollen. Die Frage ist nur, ob sich diese Insektennahrung auch in der breiten Masse durchsetzen wird. Hier spielt die Wissenschaft eine entscheidende Rolle.

Forscher haben zu Recht auf einige Gefahren hingewiesen. So könnte Insekteneiweiß unter Umständen leichter Allergien auslösen. Und wenn Heuschrecken als Ganzes zubereitet und verspeist werden, besteht zudem das Risiko, dass Bakterien leichter ins Essen geraten.

Berücksichtigt man den Ekel, den Insekten bei vielen Menschen auslösen, muss man noch einige Überzeugungsarbeit leisten. Die Mehrheit der Deutschen dürfte vergessen haben, dass zumindest Anfang des 20. Jahrhunderts im proletarischen Milieu Maikäfersuppe auf dem Speiseplan stand.

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Quelle:
SZ vom 19.05.2018/hach
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