Landwirtschaft:Hoffen auf die Wunderfliege

Powerriegel für Bello und Co. - Insekten als Tierfutt

Soldatenfliegen haben keinen Mund und keinen Stachel und können deshalb auch keine Krankheiten übertragen.

(Foto: Patrick Pleul / picture alliance / dpa)
  • Die Maden der Soldatenfliege können Müll in hochwertiges Eiweiß verwandeln.
  • Einige Forscher und Unternehmer halten sie deshalb für ein optimales Tierfutter.
  • Doch um sie in großem Stil einsetzen zu können, müssten noch viele Fragen geklärt werden.

Von Katrin Blawat

Ob sie tatsächlich einmal entdeckt werden wird, die Eier legende Wollmilchsau? Und falls ja: Wie würde dieses Wunderwesen wohl aussehen, dem zugetraut wird, auf einen Schlag jede Menge drängender Probleme zu lösen? Wie immer man sich eine solche Alleskönner-Kreatur vorstellt - wohl die wenigsten Menschen würden bei dem Gedanken daran an Maden denken: an pralle, gut zwei Zentimeter lange, bräunliche Maden.

Und doch haben es eben solche Tiere in letzter Zeit geschafft, jede Menge Hoffnung und viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Larven der Soldatenfliege könnten helfen, den enormen Fleischhunger einer stetig wachsenden Weltbevölkerung zu befriedigen - und zwar sowohl ökologisch wie auch ökonomisch verträglicher, als dies bisher möglich ist. Dabei geht es nicht einmal darum, dass die Soldatenfliege direkt auf dem menschlichen Speiseplan landet. Das empfehlen nur ein paar ganz Hartgesottene. Selbst in jenen Teilen der Welt, in denen regelmäßig Insekten gegessen werden, kommen diese Maden nur sehr selten auf den Tisch.

In Deutschland gibt es bereits Zuchtanlagen für die Insekten

Als nahezu unübertreffbar preisen ihre Fans die Fliegenlarven dagegen als Nahrungsgrundlage für Rind, Schwein, Geflügel und Fisch. Diese Tiere benötigen viel hochwertiges Protein im Futter. Bisher liefern vor allem Soja, Mais und Fischmehl das nötige Eiweiß. Doch riesige, als Monokultur bewirtschaftete Plantagen verursachen ebenso wie Aquakulturen ökologische Probleme. Ein Ausweg könnte die Soldatenfliege sein.

Die Maden liefern viel Eiweiß. Sie lassen sich leicht halten und vermehren, benötigen nicht viel Platz und sind sehr flexibel, was ihren eigenen Speiseplan betrifft. Sogar von Küchenabfällen, Mist und Gülle können sie leben. Es klingt perfekt: Indem die Soldatenfliege Abfall vernichtet, ohne selbst große Forderungen zu stellen, macht sie andere Nutztiere groß und stark.

Möglich, dass die Soldatenfliege einen Teil ihres Rufes als Problemlöser vor allem dem geschickten Marketing einiger Start-ups verdankt. Bisher verhindern zumindest in der Europäischen Union Sorgen um die Futtermittelsicherheit die Nutzung der Larven, und Experten warnen vor zu hohen Erwartungen. Dennoch halten auch Yu-Shiang Wang und Matan Shelomi von der National Taiwan University die Soldatenfliege als Futtermittel für "das Insekt der Wahl", wie sie in einer Übersichtsarbeit im Fachmagazin Food schreiben.

Wissenschaftlich unter dem Namen Hermetia illucens bekannt, stammt das Insekt ursprünglich aus den subtropischen und tropischen Lagen Amerikas. In den 1920er-Jahren tauchte die Soldatenfliege erstmals in Europa auf, 2010 auch in Deutschland. Die adulten Tiere sind ein bis zwei Zentimeter groß und zeichnen sich vor allem dadurch aus, was sie alles nicht haben und tun: keinen Mund, keine Beiß- oder Stechwerkzeuge - also auch keine Möglichkeit, Krankheiten zu übertragen.

Ausgewachsene Soldatenfliegen leben nur wenige Tage, in denen sie sich paaren und in denen ein Weibchen bis zu 500 Eier auf einmal legt. Die etwa vier Tage später geschlüpften Larven kennen für die nächsten zwei Wochen nur ein einziges Ziel: fressen. Pro Tag nehmen die Maden bis zum Doppelten ihres eigenen Gewichts zu sich.

Der unersättliche Appetit der Soldatenfliegenlarven kann für den Menschen überaus nützlich sein - zum Beispiel, wenn die Maden sich an Gülle, Mist oder Gemüseresten sattfressen. Nicht nur reduzieren die Tiere so den Abfall, sondern sie machen ihn auch weniger attraktiv für andere Fliegen und vermindern seinen Phosphat- und Stickstoffgehalt. Das kommt der Umwelt zugute, wenn Landwirte mit der Gülle düngen.

Rechtlich werfen die Maden Probleme auf

Das größte Potenzial der Tiere zeigt sich, wenn die vollgefressenen Larven kurz vor der Verpuppung stehen. Dann lassen sie sich leicht aufsammeln, trocknen, mahlen und so zu Tierfutter verarbeiten. 42 Prozent Protein, 29 Prozent Fett, dazu reichlich Kalzium, viele Mineralstoffe und Vitamine machen die Soldatenfliege zur idealen Nahrungsgrundlage für Nutztiere. Zumal Insekten zumindest für Hühner ohnehin zum natürlichen Speiseplan gehören. Studien mit Schweinen, Hühnern und Garnelen haben gezeigt, dass sich verarbeitete Soldatenfliegenlarven einwandfrei als Soja-, Mais- oder Fischmehlersatz im Futter eignen.

Hinzu kommt die ungewöhnliche Effizienz der Maden, die vielen Berechnungen zufolge über der anderer Insekten liegt. Man benötigt etwa eineinhalb Kilo Futter, um ein Kilo Fliegenlarven-Trockenmasse zu produzieren. Für ein Rind dagegen fällt das Verhältnis mit zehn zu eins besonders ungünstig aus.

Darüber hinaus spricht für die Soldatenfliege, dass sie sich leicht und auf wenig Fläche halten lässt, keine Treibhausgasemissionen verursacht und alles andere als wählerisch ist, was ihr eigenes Futter angeht. Sogar von Schlachtabfällen kann sie leben. So wundert es nicht, dass weltweit einige Unternehmen bereits auf Hermetia illucens als Futtermittel setzen. Große Zuchtanlagen gibt es vor allem in Südafrika und Kanada. Auch in mehreren europäischen Ländern wachsen die Larven in einigen Firmen heran, in Deutschland etwa in Sachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen.

Und doch steht dem Durchbruch der Soldatenfliege als Viehfutter in der Europäischen Union noch einiges im Weg. Bislang nämlich dürfen die verarbeiteten Larven lediglich an Haustiere und Fische in Aquakulturen verfüttert werden, nicht jedoch an Rinder, Schweine und Geflügel. Das Verbot beruht auf den BSE-Fällen in den 1990er-Jahren. Damals zeigte sich, wie riskant es sein kann, Nutztiere mit tierischem Protein zu ernähren. Derzeit prüft die EU zwar, ob verarbeitete Soldatenfliegenlarven künftig auch in Schweinetrögen und Hühnerställen landen dürfen; die Gesetzesänderung gilt als wahrscheinlich.

Doch selbst dann würden sich keineswegs alle an die Soldatenfliege geknüpften Hoffnungen auf einen Schlag erfüllen, sondern vielmehr neue Fragen aufkommen. Wenn die verarbeiteten Insekten als reguläres Futtermittel gelten, fallen die lebenden Larven offiziell in die Kategorie Nutztiere. Damit unterliegen sie strengen Bestimmungen. Unter anderem ist es in der EU verboten, Nutztiere mit Küchen-, Speisen- und Schlachtabfällen oder Gülle zu füttern.

Sinnvoll erscheint diese Regelung zum Beispiel angesichts der bislang offenen Frage, ob von den verarbeiteten Maden eine Infektionsgefahr ausgehen kann, wenn sie verseuchtes Futter gefressen haben. So bräuchte es vermutlich doch eigens hergestelltes Insektenfutter, wollte man Larven im großen Stil verfüttern. Dazu kommen ethische und veterinärmedizinische Bedenken: Leiden auch Maden unter Massentierhaltung? Empfinden sie Schmerzen? Sind Tierärzte für mögliche Seuchen in einer Larvenfarm gewappnet?

Wilhelm Windisch vom Lehrstuhl für Tierernährung der Technischen Universität München würden noch mehr solcher ungeklärter Punkte einfallen. Dabei hält er die Soldatenfliege durchaus für eine mögliche Bereicherung auf dem Futtermittelmarkt. Als "gamechanger", der zum Beispiel Soja im Tierfutter verdrängen könnte, sieht er die Maden jedoch nicht. "Derzeit herrscht ein Hype um die Soldatenfliege. Die Vorstellung, dass man Abfälle an die Larven verfüttert und diese dann in die Lebensmittelkette einschleust, ist absurd."

Dem stehe das - zu Recht - sehr strenge Futtermittelgesetz entgegen. Auch der Deutsche Verband Tiernahrung stimmt nicht uneingeschränkt ein in das Loblied auf die Soldatenfliege. "Ich glaube schon, dass sie ihre Nische finden wird. Aber ich bin vorsichtig mit der Prognose, ob sie so eine große Bedeutung haben wird", sagt Sprecherin Britta Noras. Derzeit lasse sich zur möglichen Marktbedeutung dieser Larven nichts sagen, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme des Branchenverbands. Auch mittelfristig würden durch das Insekt "vermutlich die traditionellen pflanzlichen Proteinquellen in der Tierernährung nicht abgelöst". So bleibt als Fazit: Die Soldatenfliege ist ein beeindruckendes Insekt - aber eher keine Eier legende Wollmilchsau.

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