Ernährung:Macht Fleisch krank?

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Rotes Fleisch hat einen schlechten Ruf.

(Foto: imago images/Cavan Images)

Eine neue Studie warnt vor Steak, Schinken und Co., doch die Beweislage ist dünn. Hinter den Kulissen tobt ein handfester Streit um die beste Ernährung.

Von Werner Bartens

Höchste Zeit, das Steakmesser für immer fallen zu lassen. So würden vermutlich Ernährungsextremisten die Studien deuten, in denen Fleisch, besonders rotem Fleisch, ein ungesundes Zeugnis ausgestellt wird. Schließlich sollen Wurst, Aufschnitt, Schwein und Rind auf dem Speiseplan für etliche vorzeitige Todesfälle, vermehrte Herzkreislaufleiden und die Häufung von Darmkrebs verantwortlich sein. Eine umfangreiche Untersuchung im Fachmagazin JAMA Internal Medicine scheint diese Einschätzung jetzt erneut zu bestätigen. Allerdings ist längst ein heftiger Streit ums Fleisch entbrannt; die Debatte um das, was gesunde Ernährung eigentlich bedeutet, wird äußerst verbissen und ideologisch geführt.

Der neuen Studie von Forschern der Northwestern University in Chicago zufolge verstärken rotes Fleisch, verarbeitetes Fleisch und auch Geflügel das Risiko für Infarkt, Schlaganfall und frühen Tod. Der entsprechende Risikoanstieg fällt jedoch ziemlich gering aus, das betonen die beteiligten Wissenschaftler selbst. Um drei bis sieben Prozent steigt demnach die Wahrscheinlichkeit für einen Herz- oder Hirnschlag, um drei Prozent für einen vorzeitigen Todesfall, wenn an zwei Mahlzeiten in der Woche rotes Fleisch auf den Tisch kommt. Die Risikoerhöhung bei einer entsprechenden Menge Geflügel auf dem Teller fällt noch geringer aus. Wird hingegen hauptsächlich Fisch verzehrt, ist keine Gefahr für die Gesundheit zu befürchten.

Viele Ernährungswissenschaftler bekommen Geld von der Nahrungsmittelindustrie

"Es ist zwar nur ein ziemlich kleiner Unterschied, aber es lohnt sich, rotes und verarbeitetes Fleisch wie Salami, Wurst und Schinken auf dem Speiseplan zu reduzieren", sagt Präventionsmedizinerin Norrina Allen, die an der Studie beteiligt war. "Man sollte es auf jeden Fall versuchen, denn rotes Fleisch wird ja auch immer wieder mit anderen Gesundheitsgefahren wie Krebs in Verbindung gebracht." Die Wissenschaftler hatten fast 30 000 Erwachsene über 19 Jahre begleitet und ihre Gesundheitsdaten ausgewertet und Krankheitsverläufe verfolgt. Die Angaben über ihre Ernährungsweise machten die Teilnehmer allerdings selbst, was über einen so langen Zeitraum kaum anders möglich ist, die Aussagekraft der Ergebnisse aber verringern kann. Anhand der Erkrankungen und Todesfälle zeigte sich, dass rotes Fleisch etwas schädlicher als Geflügel und Fisch am günstigsten für die Ernährung ist. Jedoch wurden die Ernährungsgewohnheiten in dieser langen Beobachtungszeit nur einmal erhoben und nicht nach der Zubereitungsart gefragt. Ob Fisch oder Geflügel in Fett frittiert, gedünstet oder gebraten werden, macht schließlich einen Unterschied.

Linda Van Horn, die ebenfalls an der Untersuchung beteiligt war und zudem Mitglied der US-Kommission für Ernährungsempfehlungen ist, rät Verbrauchern zu Fisch, Meeresfrüchten und pflanzlicher Kost auf dem Teller. "Nüsse und Gemüse, darunter Erbsen und Bohnen, sind eine ausgezeichnete pflanzliche Eiweißquelle und eine gute Alternative zu Fleisch", sagt sie. "Davon wird in den USA sowieso viel zu wenig gegessen." Tierische Proteine in der Nahrung einzuschränken, sei deshalb die richtige Strategie, um sich gesünder zu ernähren.

Die Studie steht in starkem Kontrast zu einer Untersuchung aus dem Herbst 2019, in der keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit bei regelmäßigem Fleischkonsum festgestellt wurden. Die wissenschaftliche Beweislage sei zu dünn, um Konsumenten von rotem Fleisch abzuraten, stellte seinerzeit ein Team um die Epidemiologin Dena Zeraatkar im Fachblatt Annals of Internal Medicine fest. Bis diese Studie überhaupt erscheinen konnte, tobte hinter den Kulissen eine ideologisch und finanziell motivierte Schlacht um die Wahrheit, die mit allen Mitteln geschlagen wurde, wie Mitte Januar im Fachblatt JAMA nachzulesen war.

Als bekannt wurde, dass die Fleischkonsumenten entlastende Studie erscheinen würde, sah sich Christine Laine, die Herausgeberin der angesehenen Annals of Internal Medicine, innerhalb einer halben Stunde mit mehr als 2000 Mails konfrontiert, die ihr E-Mail-Fach geflutet hatten. Alle Absender wollten in einer konzertierten Aktion die entsprechende Publikation verhindern. "Wir haben schon viele Artikel zur Prävention von Gewalt durch Handfeuerwaffen veröffentlicht", sagt Laine in JAMA. "Die Reaktionen der Waffenlobby waren weniger gewalttätig als das, was jetzt von diversen Ernährungsaktivisten kam."

In der JAMA-Analyse wird akribisch nachgezeichnet, dass zahlreiche angesehene Ernährungswissenschaftler enorme Interessenkonflikte haben, weil sie seit Jahren fünf- bis sechsstellige Beträge von der Nahrungsmittelindustrie beziehen. Das Geld fließt auf beiden Seiten: Sowohl die Befürworter einer fleischarmen oder gar vegetarischen Kost bekommen große Summen, als auch die Lobbyisten für Fleisch und andere tierische Produkte. Eier-Großhändler, Süßwarenhersteller, Diät-Anbieter, Wurstproduzenten aber auch Gemüse- und Obstverbände sind unter den Finanziers. Für Laine ist es besonders schade, dass die Glaubwürdigkeit von Diätratschlägen und Ernährungsempfehlungen auf der Strecke bleibt und oftmals die Verbraucher in die Irre geführt werden. "Die Öffentlichkeit sollte wissen, dass wir wenig zuverlässige Informationen zur Ernährung haben", sagt sie. "Deshalb sollten wir niemandem Angst machen, dass er einen Infarkt bekommt oder Darmkrebs, wenn er rotes Fleisch isst."

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