Ernährung:Fisch aus dem Stall

Was die Weltmeere nicht mehr hergeben, das züchten Aquafarmer in Bauernhöfen unter Wasser.

Von Patrick Illinger und Christina Maria Berr

Erst nach einer Weile lässt die grauschwarze Masse am Grund des Wassers ahnen, woraus sie besteht. Wenn plötzlich Bewegung hineinfährt, ein Zucken hier und da, und sich Schatten aus dem dunklen Gemenge lösen, um stoßweise durch das kreisrunde Becken zu schweben.

Ernährung: Lachs aus atlantischer Zucht

Lachs aus atlantischer Zucht

(Foto: Foto: Barbara Bonisolli)

Na klar: Das sind keine Steinbrocken, die den Boden des abgedunkelten, mit fahlem Grünlicht bestrahlten Bassins bedecken. Es sind zehntausende, in Schichten gestapelte Lebewesen. Langsam steigen einige Bewohner der düsteren Szenerie an die Oberfläche. Mit grotesk aufgesperrten Mäulern stemmen sie ihre schiefen Fratzen aus dem Salzwasser.

Der Besucher zieht unwillkürlich seine Füße vom Rand des niedrigen Laufstegs zurück, und Trons Sandvik muss grinsen: Die flachen Heilbutte der Art Hippoglossus hippoglossus nennt er nur "Biomasse".

Das ist der Jargon seiner Branche, in der Kreaturen der Tiefsee gezüchtet werden, die niemals den Meeresboden berühren. Als fünf Gramm leichte Besatztiere kamen die Plattfische aus Island hierher in die Testanlage, eine Motorbootstunde nördlich von Stavanger.

In mehreren Becken werden sie aufgepäppelt, bis sie nach vier Jahren der Aufzucht mit einem Gewicht von fünf bis sieben Kilogramm reif zum Abfischen sind. Nicht ohne Stolz präsentiert Sandvik die "weltgrößte Heilbuttproduktion". Der schneidende, zehn Grad kalte Wind im Fjord entlockt dem Norweger im T-Shirt nicht mal ein Frösteln.

2500 Tonnen Frischfisch soll die Test-Farm demnächst auswerfen. Das wäre ein Vielfaches der jährlichen, weltweiten Heilbuttzucht - und Teil einer aggressiven Zukunftsstrategie von Marine Harvest, dem weltgrößten Produzenten von Zuchtfisch.

Aquakultur nennt man den Betrieb, vergleichbar der Massentierhaltung an Land: ein nasses Geschäftsfeld, von dem sich Norwegen erhofft, eines Tages die Verluste abfedern zu können, wenn die Ölvorkommen des Landes zur Neige gehen. Wie das Öl in der Erdkruste wird auch die Ressource Wildfisch in den Weltmeeren knapp. Mit dem Unterschied: Fisch lässt sich züchten.

Fisch aus dem Stall

Warum soll man mit Fisch anders verfahren als mit Huhn, Schwein und Rind?

Ernährung: Antibiotika sind in der norwegischen Lachszucht fast abgeschafftQuelle: Norwegian Seafood Council

Antibiotika sind in der norwegischen Lachszucht fast abgeschafft

Quelle: Norwegian Seafood Council

(Foto: Illustration: Esjottes)

Seit fast zwei Jahrzehnten stagniert der weltweite Wildfang bei jährlich 90 Millionen Tonnen. Die Nachfrage aber hat diesen Wert längst überschritten: Ein Drittel aller weltweit verzehrten Fische muss heute in Aquakulturen aufgepäppelt werden. Allen voran der Lachs, dessen Verbrauch allein in Europa zwischen 1987 und 1999 jährlich um 14 Prozent gestiegen ist. 600.000 Tonnen Lachs pro Jahr kommen aus norwegischen Aquakulturen. Dreißigmal so viel wollen die Fisch-Farmer in den kommenden Jahren schaffen.

Hinzu kommen neue Arten: Kabeljau, Yellowtail, Barramundi - und Heilbutt, der etwa viermal so viel einbringt wie Lachs, weil er als Bodenfisch seltener in die Netze geht.

Der moderne Lachsfischer ist längst kein Jäger zu Wasser mehr, sondern Farmer: Mit einem Videomonitor werden die Tiere überwacht, und eine Computer-gestützte Anlage schleudert vorausberechnete Futterportionen mit Luftdruckrohren in Unterwasserkäfige.

Zum Abfischen kommt ein schwimmender Schlachthof, der die Tiere tonnenweise mit Rohren aus ihren Zuchtgehegen saugt und in seinem gedrungenen Bauch zu dem weiterverarbeitet, was letztlich im Supermarkt ankommt: rosafarbene Filets mit dem Etikett "Fisch aus Aquakultur".

Wer diese Form der Fischerei mit Befremden sieht, den fragen Aquafarmer, warum bei Fischen nicht erlaubt sein soll, was für Schweine und Hühner längst Alltag ist. Zumal Aquakultur prinzipiell sogar effektiver ist als die Massenhaltung von Landtieren: Fische können zehntausende Nachkommen produzieren. Und um ein Kilo zuzunehmen, brauchen die Kaltblüter weniger als 1,3 Kilogramm Fischfutter in Form von Tabletten aus Fischmehl und -öl.

Fisch aus dem Stall

Ernährung: Nur Aquakultur kann den weltweiten Fischkonsum deckenQuelle: FAO

Nur Aquakultur kann den weltweiten Fischkonsum decken

Quelle: FAO

(Foto: Illustration: Esjottes)

Der Lachs, ein klassischer Räuber, soll nun zum Vegetarier erzogen werden

Am Futter jedoch entzündet sich der Streit. Denn es wird aus gefangenem Wildfisch gewonnen. "Fische zu züchten, um sie an andere Fische zu verfüttern, ist uneffizient", sagt Gerd Hubold, Leiter der Bundesforschungsanstalt für Fischerei.

Und Klaus Becker vom Institut für Tierproduktion in den Tropen und Subtropen der Universität Hohenheim sieht das noch drastischer: Schon in fünf Jahren, so seine Prognose, werde das Fischmehl knapp. Die Aquakultur gelange dann an ihre Grenzen. Becker forscht mittlerweile an einer pflanzlichen Alternative zu den tierischen Produkten. Der Lachs, ein klassischer Räuber, soll zum Vegetarier umerzogen werden.

Wie an Land, so auch zu Wasser zwingt die industrielle Tierproduktion zur Perversion der Natur und gerät damit in massive Image-Probleme. Dazu trugen auch asiatische Züchter bei, die Garnelen und andere Meerestiere so stark mit Antibiotika vollgestopft hatten, dass die EU 2002 den Import chinesischer Aquakultur-Produkte stoppte.

Seither sind die Kontrollen verschärft worden. Dabei gilt dieses Problem längst als gelöst: Wolfgang Koppe, Chefforscher beim Ernährungskonzern Nutreco, findet es geradezu "unfassbar, dass sogar Wissenschaftler noch immer die Antibiotika-Frage stellen".

Während Norwegen noch 1987 ein Kilogramm Antibiotika pro Tonne Zuchtlachs verfütterte, sind die Mengen heute auf ein Minimum gesunken (siehe Grafik links). Zu Koppes Aufgaben gehört es, herauszufinden, wie Fische auch ohne die umstrittenen Medikamente gesund bleiben.

So wird in der modernen Lachszucht heute jeder einzelne Jungfisch auf einem Förderband durch eine vollautomatische Impf-Anlage geschleust: Eine kleine Nadel piekst den Tieren in die Bauchhöhle. Vor fünf Bakterien- und einer Virenkrankheit schützt das Vakzin.

Gegen Lachsläuse, die sich auf der Haut festsetzen und ganze Fischbestände ausrotten können, werden Putzerfische eingesetzt. Dass weiterhin Karotinoide wie Astaxanthin verfüttert werden, hat einen anderen Grund, sagt Koppe: "Wenn ein Lachsfilet nicht rosa leuchtet, fällt es beim Verbraucher durch."

Fisch aus dem Stall

Ernährung: Tigergarnele (Salzwasser)

Tigergarnele (Salzwasser)

(Foto: Foto: Barbara Bonisolli)

Mittlerweile erkennen selbst Anhänger ökologischer Nahrungsmittel den Zuchtfisch an. Im Dezember 2004 stellte die Stiftung Warentest fest: "Zuchtlachs ist der bessere Fisch". In einem Vergleich zwischen 14 atlantischen und sieben pazifischen Tiefkühlfilets lagen die Aquakultur-Produkte vorn.

Zwar schreckte im vergangenen Jahr eine Studie im Fachmagazin Science auf, nach der die europäischen Zuchtfische höhere Mengen an chlororganischen Stoffen enthielten als Wildlachse, darunter das Flammschutzmittel PCB. Doch als Reaktion auf die Veröffentlichung meldeten sich mehrere Wissenschaftler, die die Gefahr relativierten.

Ihrer Ansicht nach übersteigt der für den Menschen günstige Effekt der im Lachs enthaltenen Omega-3-Fettsäuren die chemische Belastung. Am Ende der Nahrungskette kehrte vorübergehend Ruhe ein.

Doch wie sieht es an deren Anfang aus? Welche ökologischen Veränderungen bringt die Aquakultur mit sich? Prinzipiell, sagen Aquafarmer, diene die Massenproduktion in Gehegen dem Schutz der Wildtiere im Ozean. Umweltschützer dagegen befürchten, dass die Zuchtanlagen als Brutstätte für Parasiten wirken könnten, die auf den Wildbestand überspringen.

Der World Wildlife Fund nennt Lachsläuse aus Aquakulturen sogar als Grund für die sinkenden Wildlachsbestände. Und wenn die Fütterung in den Zuchtgehegen nicht akribisch überwacht wird, sinken die Futter-Tabletten unverdaut zum Meeresgrund, wo sie zusammen mit dem Fischkot zum idealen Nährboden für Bakterien und Parasiten werden.

Ökologen sehen außerdem die Gefahr, dass Zuchtfische, die etwa bei Sturm aus ihren Gehegen entkommen, sich mit freien Populationen mischen und das Erbgut der Wildlachse nachhaltig verändern.

Mit den Unwägbarkeiten der Natur aber kämpft auch die Branche der Fischfarmer selbst, und Männer wie Trons Sandvik tragen ein hohes Risiko: Eine tödliche Epidemie unter seinen Heilbutten könnte die Millionen Euro teure Biomasse der Zuchtanlage auf einen Schlag vernichten.

Schon jeder Einzelne der fünf Gramm leichten Besatzfische kostete mehrere Euro. Und bis die Tiere mit fünf bis sieben Kilogramm ihre Schlachtreife erlangt haben, vergehen vier Jahre, in denen sie, stapelweise in Zuchtanlagen lebend, eine leichte Beute für Krankheitserreger sind.

Doch so wie Trons Sandvik den kalten Fjordwind ignoriert, so denkt er an neue Ziele, nicht an Hindernisse: Gelingt es etwa, die Methoden der Aquakultur vom Massenlachs auf neue Arten wie Kabeljau oder edlen Heilbutt zu übertragen, tut sich ein Milliardenmarkt auf. Vorausgesetzt jedenfalls, der Verbraucher spielt mit.

Die Spitzenköche der Gastronomie allerdings sind noch nicht überzeugt. "Das Fleisch von Zuchtlachs ist lapprig und strohig", sagt Hans Haas, Chefkoch im Münchner Restaurant Tantris. Andererseits gehört es nicht zu den Aufgaben eines Sternekochs, die Menschheit mit Omega-3-Fettsäuren zu versorgen

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