Süddeutsche Zeitung

Erinnerung bei Insekten:Was die Raupe lernt, weiß sie auch als Falter noch

Kann sich ein Schmetterling an seine Erfahrungen als Raupe erinnern? Douglas Blackiston von der Georgetown University kennt die Antwort.

Josephina Maier

Wer sich nach einem seriösen Fall von Wiedergeburt umsieht, wird im Tierreich fündig. Der Tabakschwärmer, ein ansonsten eher unspektakulärer Vertreter der Schmetterlinge, durchläuft in seinem ersten Leben als Raupe nicht weniger als fünf Erscheinungsformen. Anschließend verpuppt er sich für 20 Tage und startet beflügelt in seine zweite Existenz als Schmetterling.

Während des Totalumbaus vom Kriechtier zum Flatterwesen zerlegt die Raupe sich selbst in ihre Einzelteile - allerdings nicht ganz, wie ein Team um den Biologen Douglas Blackiston an der Georgetown University in Washington nun gezeigt hat. Ein Teil des Gehirns bleibt offenbar ganz. Denn die Schmetterlinge erinnern sich daran, was sie als Raupe gelernt haben.

SZ:Woher wissen Sie denn, dass sich die Falter an ihr Raupendasein erinnern?

Blackiston: Wir haben die Raupen dazu gebracht, den Geruch von Lösungsmittel zu verabscheuen. Die Tiere gingen daraufhin - im Gegensatz zu ihren untrainierten Artgenossen - diesem Geruch aus dem Weg. Und das taten sie auch noch als erwachsene Schmetterlinge:

Als wir die Tiere nach der Verpuppung zwischen geruchsloser Luft und dem Lösungsmittel-Aroma wählen ließen, trafen sie die gleiche Entscheidung wie zuvor als Raupe. Die Schmetterlinge konnten sich offenbar daran erinnern, dass wir ihnen als Raupe den Geruch des Lösungsmittels gründlich vermiest hatten.

SZ: Sie haben ihnen Elektroschocks verpasst, um genau zu sein. Wie lange haben die Raupen gebraucht, bis sie verstanden hatten, dass der Geruch unangenehme Konsequenzen hat?

Blackiston: Wir haben die Tiere zehn Sekunden lang dem Aroma ausgesetzt und dann mit den Elektroschocks begonnen, während sie weiter das Lösungsmittel riechen konnten. Nach acht Wiederholungen verbinden die Raupen das Lösungsmittel mit den Stromschlägen, der Zusammenhang hat sich dann in ihr assoziatives Gedächtnis eingebrannt.

Wir konnten den Versuch leider nicht mit einem positiven Reiz wie einer Futterbelohnung machen. Das hätten die Raupen nicht so eng mit dem Geruch assoziiert; Negatives bleibt besser im Gedächtnis.

SZ: Also überlebt das Gehirn der Raupen die Wandlung zum Schmetterling?

Blackiston: Einer von drei Teilen ihres Gehirns, ja. Der erste Hirnabschnitt entsteht schon, bevor die Raupen aus dem Ei schlüpfen. Der zweite kommt nach drei oder vier Wochen dazu, und der dritte entwickelt sich erst beim erwachsenen Schmetterling.

Während der Metamorphose wird nur der erste Abschnitt des Gehirns in seine Einzelteile zerlegt und ganz neu wieder aufgebaut. Wir haben drei oder vier Wochen alte Raupen trainiert. Sie konnten also zumindest das assoziative Gedächtnis aus dem zweiten Gehirnteil in ihr Erwachsenleben hinüberretten.

SZ: Haben Ihre Ergebnisse irgendwelche praktischen Konsequenzen?

Blackiston: Wir können ein Problem erklären, mit dem sich Wissenschaftler seit über 100 Jahren herumschlagen: Wie kann es sein, dass ein Schmetterling seine Eier genau auf solche Pflanzen legt, auf denen er als Raupe gelebt hat? Die Antwort ist: Er erinnert sich einfach an den Geruch.

SZ: Was können Raupen noch lernen?

Blackiston: Unsere Studenten experimentieren ziemlich viel mit Raupen herum. Wir können ihnen zum Beispiel beibringen, Farben zu mögen oder abzulehnen. Wir sind nicht ganz sicher, ob sie Rot sehen können - Blau, Gelb und Grün erkennen sie aber ganz bestimmt.

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Quelle:
SZ vom 11.3.2008/mcs
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