Nun ist es aber durchaus möglich, dass die Natur ein noch komplexeres Gefüge aus Bausteinen und Kraftfeldern errichtet hat, als es die heutige Physik für möglich hält. Zum Beispiel könnte es eine zusätzliche Kategorie sogenannter supersymmetrischer Partikel geben, die wie eine zweite Schattenwelt das bisher bekannte Universum ergänzen. Womöglich markiert das nunmehr am Cern entdeckte Teilchen die Eingangspforte zu diesem völlig neuen Bereich des kosmischen Gefüges.
Einige Theoretiker unter den Teilchenforschern spekulieren bereits über diese Möglichkeit, denn offenbar hat das neue Partikel ein paar Macken, die nicht perfekt zur Standardtheorie passen. So lassen die bisherigen Daten vermuten, dass dieses mutmaßliche Higgs-Teilchen etwas häufiger in zwei hochenergetische Photonen zerstrahlt, als es die bisherigen Formelwerke vorhersehen.
Doch mahnen die Theoretiker zur Vorsicht: Für derlei Spekulationen ist die Datenmenge noch nicht ausreichend. Das ist einer der Gründe, warum die Cern-Physiker ihre 27 Kilometer umfassende Protonenkanone jahrelang in Betrieb halten wollen.
Ob Standard-Higgs-Partikel oder nicht - die Experimentatoren der beiden großen Detektoren des Cern feiern die sich abzeichnende Entdeckung. "Es ist pure Begeisterung" berichtet ein Mitglied der Atlas-Gruppe auf der Website der Zeitschrift Nature. Dass es die Physiker ernst meinen werden an diesem Mittwoch zeigt auch die Gästeliste: Darauf steht neben einigen Nobelpreisträgern auch der Erfinder der Higgs-Theorie, der mittlerweile 83-jährige Peter Higgs.
Als schlechte Verlierer im Wettrennen um die Entdeckung des Higgs-Teilchens erweisen sich unterdessen die Kollegen von der anderen Seite des Atlantiks. Wohl wissend um die Datenlage am Cern und das angekündigte Seminar, berichteten am Anfang dieser Woche Forscher des seit Januar 2011 abgeschalteten Tevatron-Beschleunigers bei Chicago von Hinweisen auf das Higgs-Teilchen in ihren alten Datensätzen.
Während US-Medien und Nachrichtenagenturen die wohlklingende Mitteilung der Chicagoer begierig aufgreifen, beobachten Europas Physiker mit Kopfschütteln, wie die Tevatron-Kollegen krampfhaft versuchen, ihnen die Show zu stehlen.