Erdüberlastungstag:"Nachhaltigkeit ist wie Zähne putzen"

Weltkugeln in Hamburg

Wenn alle Menschen der Erde so leben würden, wie die Deutschen, bräuchte es drei Erden. Würde die Weltbevölkerung so konsumieren, wie die Amerikaner, wären fünf Erden notwendig.

(Foto: picture alliance / dpa)

An diesem Montag sind die Ressourcen der Erde für dieses Jahr verbraucht. Mathis Wackernagel hat das Konzept des ökologischen Fußabdrucks miterfunden und erklärt, warum Umsteuern so schwierig ist.

Interview von Julia Hippert

An diesem Montag ist Erdüberlastungstag, jener Tag im Jahr, an dem die Menschheit so viel von der Natur verbraucht hat, wie die Erde im ganzen Jahr regenerieren kann. Mathis Wackernagel ist einer der Gründer und Präsident des Global Footprint Networks, jener Nachhaltigkeitsorganisation, die das Datum für den Erdüberlastungstag und das Ressourcenbudget aller Länder errechnet.

SZ: Herr Wackernagel, was bedeutet der Erdüberlastungstag eigentlich?

Mathis Wackernagel: Ab dem heutigen Montag leben wir nicht mehr vom Einkommen der Natur, sondern wir bauen das Vermögen ab. Man kann es auch so ausdrücken: Die Nachfrage nach produktiven Flächen für die Nahrungsmittel- und Textilproduktion, für die Holzwirtschaft, für Straßen und Städte, für die Absorption des Kohlendioxids, was die Menschheit produziert, ist 75 Prozent höher als die produktiven Flächen, die auf unserem Planeten tatsächlich existieren.

Das heißt: Die Menschheit bräuchte 1,75 Erden anstatt einer.

Genau. Wenn alle Menschen auf der Erde so leben würden wie die Deutschen, bräuchte man sogar drei Erden. Wenn sie so leben wie die Bürger in den USA, wären es fünf Erden - und Japan benötigt eigentlich 7,7 Mal seine eigene Fläche, um den dortigen Ressourcenverbrauch zu befriedigen.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Welche Anreize gibt es denn, um den immensen Ressourcenverbrauch der Industrieländer reduzieren?

In unserem Wirtschaftssystem hat das Naturkapital heute praktisch keinen monetären Wert. Wir übernutzen die Erde, aber das zeigt sich monetär gar nicht, der Markt bekommt kein Feedback.

Sie wollen sagen: Innovationen, die den Ressourcenverbrauch senken würden, werden nicht getätigt, weil der Markt in seiner derzeitigen Form es den Unternehmen nicht abverlangt?

So kann man es sagen. Wir bauen das Naturkapital ab, wir merken das gar nicht und wir reagieren nicht darauf, weil der Markt uns keine Signale gibt.

In Deutschland wird gerade über eine CO-Steuer und über Abgaben auf Flugreisen diskutiert.

Beides ist absolut notwendig, aber selbst, wenn durch diese Maßnahmen die Preise für den Ressourcenverbrauch erhöht werden, gibt es Hemmnisse beim Umsteuern. Das Problem ist, dass die konventionellen Wirtschaftstheorien physikfremd sind.

Wie meinen Sie das?

Wir tun so, als ob Märkte und die Gesellschaft sich schnell anpassen könnten, wenn die Preise erhöht werden. Aber die Realität ist träge. Die Ökonomie ist eingebunden in die Infrastruktur, die wir zur Verfügung haben und die für sich genommen schon Ressourcen verbraucht. Es geht um die Frage: Wie sind unsere Städte gebaut? Welche Maschinen, Autos, Schienensysteme und Häfen haben wir? All das lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Ein erheblicher Teil unseres Ressourcenverbrauchs ist also von vornherein vorbestimmt. CO₂-Steuer und Flugabgaben haben also nur eine sehr begrenzte Wirkung. Hinzu kommt, dass sie so, wie sie gerade in Deutschland diskutiert werden, auch einen negativen Effekt haben.

Warum?

Mit einer Abgabe auf Flugreisen zum Beispiel, wird das Narrativ "Nachhaltigkeit kostet uns etwas" nur noch verstärkt.

Und was ist daran schlecht?

Dadurch wird verdeckt, dass Nicht-Nachhaltigkeit viel, viel teurer ist. Eigentlich ist Wettbewerbsfähigkeit fast identisch mit Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit bedeutet, dass ein Land im Stande ist, seine Wirtschaftskraft aufrechtzuerhalten. Beim Wirtschaftsforum in Davos gibt es zwei wesentliche Berichte. Der eine ist der "Global Risks Report", in dem es um die Wirtschaftsrisiken geht. Sechs bis sieben der zehn größten Risiken wurden in den letzten zehn Jahren konstant als umwelt- oder ressourcenbedingt erkannt. Und dann gibt es noch den Wettbewerbsreport mit 98 Indikatoren und nicht einer davon ist umwelt- oder ressourcenbedingt. Wie kann das sein? Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit stehen doch nicht in einem Spannungsverhältnis zueinander, die beiden Faktoren sind das Gleiche. Aber das versteht Davos noch nicht.

Erdüberlastungstag: Mathis Wackernagel ist der Gründer und Präsident des Global Footprint Networks, sowie der Miterfinder des Konzeptes des ökologischen Fußabdruckes.

Mathis Wackernagel ist der Gründer und Präsident des Global Footprint Networks, sowie der Miterfinder des Konzeptes des ökologischen Fußabdruckes.

(Foto: Global Footprint Network)

Wie ließe sich dem Ressourcenverbrauch politisch entgegenwirken?

Das ganze Klimaschutz-Narrativ baut darauf auf, dass man sagt: Nachhaltigkeit ist etwas Nettes, etwas Nobles. Häufige Formulierungen sind: "Das sollten wir tun" oder "Wollen Sie ein guter Mensch sein?". Es scheint, als sei Nachhaltigkeit ein nettes Hobby am Sonntagnachmittag. Was wir noch nicht erfasst haben in den politischen Theorien und den Wirtschaftstheorien ist, dass Nachhaltigkeit eine Notwendigkeit ist. Das ist wie beim Zähneputzen. Zähneputzen ist nicht nobel, sondern notwendig.

Also muss das Wirtschaftssystem sich ändern?

Es geht um jeden Einzelnen. Es geht darum, ob jeder Einzelne Nachhaltigkeit bloß als nobel oder als notwendig ansieht. Alle Leute sagen: Furchtbar, die Welt gerät aus den Angeln, aber was können wir tun, als kleines Deutschland? Das ist eine absurde Argumentation. Das ist ja, als säße man in Booten und sähe einen Sturm kommen. Und man sagt: "Ich flicke mein Boot nicht, solange die anderen ihr Boot nicht flicken." Eigentlich müsste man doch sagen: Wenn die anderen ihr Boot nicht flicken, muss ich mein Boot noch schneller flicken, denn es gibt kein anderes Boot, das mich retten kann.

Dann noch mal ganz konkret: Was kann jeder Einzelne tun, um zu verhindern, dass der Weltüberlastungstag im kommenden Jahr noch früher ist?

Ein wesentlicher Punkt ist, dass wir nicht mehr "sollen" sagen. Alle sagen "man sollte". Das Stärkste, was jeder machen kann, ist zu sagen: "Ich will." Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Uns fehlt der Wille.

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