Süddeutsche Zeitung

Erdplattenverschiebung:Spannung unter dem Dach der Welt

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Geologen finden Hinweise dafür, dass im Himalaya ein monströses Erdbeben bevorsteht. Millionen Tote wären die Folge.

Axel Bojanowski

Im Himalaya braut sich eine Katastrophe zusammen. Unter der Gebirgskette schiebt sich die Indische Erdplatte wie ein Sporn jede Woche einen Millimeter in den Eurasischen Kontinent hinein. Regelmäßig rumpelt dabei der Boden.

Bei jedem Ruck erhebt sich der Himalaya ein wenig. Nepal, das genau in der Knautschzone liegt, verkürzt sich im Jahr um zwei Millimeter - entlang seiner 600 Kilometer langen Grenze verliert es jährlich die Fläche zweier Fußballfelder.

Der interkontinentale Crash könnte jedoch weitaus gravierendere Folgen haben, warnen Geologen nun im Fachblatt Nature (Bd. 444, S. 165, 2006): Nepal und seinen Nachbarn Indien, Pakistan, Bhutan und Bangladesch drohe die schlimmste Naturkatastrophe aller Zeiten.

Zuletzt wurde die Region am 8. Oktober 2005 von einem Erdbeben erschüttert. Doch der Schlag der Stärke 7,6, der mehr als 70 000 Tote forderte, war schwach im Vergleich zu dem, was passieren kann. Bei der Erdplatten-Kollision habe sich vielerorts Spannung für bis zu 100-mal so starke Beben angestaut, schreiben Nicole Feldl und Roger Bilham von der University of Colorado.

Das letzte Mega-Beben ereignete sich vor genau 501 Jahren im Zentral-Himalaya. Andere Regionen warten seit mehr als 1000 Jahren auf einen solchen Schlag. In Metropolen wie Katmandu, Delhi, Islamabad, Lahore oder Kalkutta könnte ein Beben dieser Stärke Millionen Tote fordern, warnt Bilham.

Bislang wähnten sich Regionen in Tibet, Nepal und Bhutan, die bereits in den vergangenen 200 Jahren von schweren Beben getroffen wurden, in Sicherheit. Wissenschaftler argumentierten, dass sich dort die Spannung im Gestein abgebaut habe, die Gefahr gebannt sei. Ein Trugschluss, wie Bilham und Feldl nun erkannten.

Die Stärke eines Bebens hängt davon ab, wie weit die Erdkruste aufreißt - je länger der Bruch, desto schwerer der Schlag. Auch dort, wo das Gestein jüngst gerissen ist, kann ein Megabeben entstehen, sagt Bilham. Das Tsunami-Beben vor Sumatra vor knapp zwei Jahren habe auch Zonen zerbrochen, in denen sich die Spannung zuvor abgebaut hatte.

Alle 2000 Jahre

Feldl und Bilham simulierten das drohende Riesenbeben am Computer. Mit Daten über den Aufbau der Erdkruste, von GPS-Navigationssatelliten und früheren Erdbeben berechneten sie den Erdplattencrash.

Dabei zeigte sich, dass sich fast auf der gesamten 2100 Kilometer langen Kollisionsfront im Himalaya große Spannung aufgestaut hat, die nur bei massiven Beben abgebaut werden kann. Zwar würden solche extremen Erdstöße nur alle 2000 Jahre passieren, doch im Himalaya sei diese Frist mancherorts bereits überschritten.

Ihre Studie verstehen die Forscher als Weckruf: In der Himalaya-Region würden nur wenige Bauten einem Beben standhalten, zudem drohten Gasleitungen zu platzen und Brücken einzustürzen. Menschen würden durch Mega-Beben selbst nicht getötet, betont Bilham, sondern durch zusammenstürzende Bauten.

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Quelle:
SZ vom 9.11.2006
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