Um es gleich zu sagen: Auch in hundert, ja sogar in tausend Jahren wird es noch Erdöl geben. Aber der begehrte Rohstoff wird dann nicht mehr so üppig aus dem Erdboden strömen, dass man täglich 86 Millionen Fässer damit füllen kann, wie heute, im Jahr 2009. In hundert oder in tausend Jahren wird Erdöl ein kostbares Gut sein, vielleicht wird es nur noch in kleinen Fläschchen angeboten, womöglich in Apotheken. Auf die blöde Idee, Erdöl in Motoren und Heizungen zu verbrennen, wird dann niemand mehr kommen.
Dass Erdöl eine begrenzte Ressource ist, verneinen nur ein paar Anhänger einer skurrilen Theorie, wonach permanent Erdöl im Inneren der Erde entsteht. Der Stand der Wissenschaft sagt anderes: Erdöl ist der Millionen Jahre alte Überrest vermoderter Pflanzen und Tiere aus früheren Zeitaltern. Und die Menschheit verbraucht zurzeit jedes Jahr so viel davon, wie in einer Million Jahre der Erdgeschichte entstanden ist.
Umso erstaunlicher ist es, wie die Erdölindustrie und Berufsoptimisten eine sachliche Debatte um das unausweichliche Ende der Ressource boykottieren. Da sind Vergleiche zu hören mit New York, wo vor hundert Jahren die Prognose umging, die Stadt könne angesichts der zunehmenden Zahl von Kutschen in Pferdeäpfeln ersticken.
Und immer wieder wird Häme ausgeschüttet über den Club of Rome, der sich in den siebziger Jahren mit aufsehenerregenden Prognosen über die Endlichkeit der Ressourcen gründlich verrechnete. Dabei wird oft unterstellt, die These der begrenzten Ressource Öl sei an sich falsch. Das ist sie aber nicht: In wenigen Generationen werden unsere Nachfahren aus Geschichtsbüchern von jener irren Epoche erfahren, in der die Menschen zehn Liter Erdöl verbrannten, um von München zum Chiemsee zu gelangen.
Die große Frage ist eigentlich nur, ob die Menschheit den Übergang in ein neues Energiezeitalter ohne massive Einbußen und Konflikte schaffen wird. Die Antwort darauf sollte nicht erst in einigen Jahrzehnten gesucht werden, so wie es viele Industrievertreter gerne hätten. Denn nicht der oft zitierte letzte Tropfen Erdöl wird den Übergang in eine neue Epoche der Menschheitsgeschichte markieren, sondern bereits der Moment, an dem die Erde weniger Öl hergibt, als verbraucht wird.
Die Ausbeute sinkt
Hierfür steht in der Fachwelt der Begriff "peak oil". Er bezeichnet den physikalischen Gipfel der Ölförderung, vergleichbar einem Wasserhahn, der nicht mehr hergibt, egal wie weit man ihn aufdreht. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass dieser Gipfel, das absolute Maximum der weltweiten Ölförderung, unmittelbar bevorsteht. Womöglich ist er sogar schon erreicht.
Der Welt wird dann das erleben, was viele der Erdöl fördernden Staaten bereits hinter sich haben. Die USA zum Beispiel haben das Maximum der heimischen Ölförderung im Jahr 1970 erreicht. Seither ist die Ausbeute gesunken. In Texas, wo in den fünfziger Jahren das Erdöl fast von selbst aus dem Boden quoll, braucht es heute die Energie von 17 Litern Erdöl, um 100 Liter aus den erschöpften Feldern zu pressen.
Auch viele der Länder, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von üppigen Ölexporten profitierten, haben ihr Fördermaximum überschritten: In Großbritannien gehen die Fördermengen seit 1999 zurück. In Venezuela kam die Wende 1998, in Syrien und Indien 1995, in Norwegen 2001 und in Russland erst vor zwei Jahren. Zu den Staaten, die ihr Fördermaximum noch vor sich haben, gehören Aserbaidschan, Iran, Irak und Brasilien.
Ganz genau weiß zwar kein Mensch, wie viel Öl noch in der Erdkruste steckt, aber die Statistik der in den vergangenen Jahrzehnten neu entdeckten Quellen spricht Bände. Etwa seit 1980 wird weltweit weniger Öl entdeckt als gefördert. Obwohl die Suchmethoden immer besser werden, gelingt es immer seltener, nennenswerte Mengen des fossilen Rohstoffs zu entdecken. Und wenn, dann sind die neuen Felder meist schwer erreichbar, so wie vor der Küste Brasiliens, wo man erst 5000 Meter Wasser und dann 3000 Meter Meeresboden durchstoßen müsste, um an neu entdeckte Vorkommen zu gelangen.
Wer mehr hat, darf mehr verkaufen
Die Erdöl fördernden Staaten der Welt, besonders die in der Opec organisierten Nationen, tragen das Ihre dazu bei, um eine realistische Schätzung der noch verfügbaren Ölvorkommen zu verwässern. Der Grund für diese Politik ist einfach: Gemäß den Opec-Regeln bemisst sich der erlaubte jährliche Export an den noch vorhandenen Ressourcen.
Es lohnt sich also für die Opec-Staaten, die eigenen Ölvorkommen schönzurechnen, denn wer mehr hat, darf mehr verkaufen. Als diese Regelung in den 1980er Jahren eingeführt wurde, geschah ein geologisches Wunder: Die Reserven fast sämtlicher Opec-Staaten stiegen sprunghaft in die Höhe.
Die größte Unbekannte ist Saudi-Arabien, das erdölreichste Land der Welt. Der Staat liefert 13,5 Prozent des globalen Erdöls, zehrt jedoch von wenigen, riesigen Ölfeldern. Dabei mehren sich die Anzeichen, dass die staatliche Fördergesellschaft Saudi Aramco die vorhandenen Ölfelder übernutzt.
Experten berichten, dass in die gewaltigen Quellen unter dem saudischen Wüstenboden bereits Wasser eingepresst wird, eine Technik, die eigentlich dazu dient, aus erschöpften Feldern das Letzte herauszuholen. Der Energiefachmann Jörg Schindler von dem Münchner Beratungsunternehmen Ludwig-Bölkow-Systemtechnik vermutet, dass die gesamten Ölreserven des Nahen Ostens um 300 Milliarden Barrel zu hoch angegeben werden. Schindlers Prognose zufolge muss die Welt bereits im Jahr 2030 mit weniger als der Hälfte des heute geförderten Öls auskommen.
Auch die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sieht "peak oil" kommen. Die dortigen Fachleute erwarten das globale Ölfördermaximum im Jahr 2020, eine vergleichsweise optimistische Annahme. Gemessen an den Modellzyklen der Automobilindustrie ist dieser Zeitpunkt allerdings weniger als zwei Fahrzeugenerationen entfernt.